VfGH B1321/88

VfGHB1321/889.3.1989

Zuständigkeit der Finanzbehörden in Wien zur Entscheidung über einen Antrag der Steiermärkischen Ärztekammer auf Rückerstattung von Zinsertragsteuer; kein Anlaßfall zu VfSlg. 11666/1988; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Normen

B-VG Art83 Abs2 / Zuständigkeit
B-VG Art140 Abs7 erster Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
BG BGBl 587/1983, über die Zinsertragsteuer Abschnitt XIV, §6 Abs4
BAO §59
BAO §240 Abs3
EStG 1972 §96 Abs1
VfGG §87 Abs2
B-VG Art83 Abs2 / Zuständigkeit
B-VG Art140 Abs7 erster Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
BG BGBl 587/1983, über die Zinsertragsteuer Abschnitt XIV, §6 Abs4
BAO §59
BAO §240 Abs3
EStG 1972 §96 Abs1
VfGG §87 Abs2

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Körperschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Körperschaft durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Finanzlandesdirektion für Steiermark hat mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. Dezember 1987 einen Antrag der Ärztekammer für Steiermark auf Rückzahlung von Zinsertragsteuer hinsichtlich eines bestimmten Betrages abgewiesen und hinsichtlich eines anderen bestimmten Betrages den erstinstanzlichen Bescheid wegen örtlicher Unzuständigkeit des Finanzamtes Graz-Stadt ersatzlos aufgehoben. Der aufhebende Teil des Berufungsbescheides wurde damit begründet, daß sowohl für die Erhebung als auch für die Rückzahlung von zu Unrecht erhobener Zinsertragsteuer jenes Finanzamt zuständig ist, in dessen Bereich sich die Geschäftsleitung der Kreditunternehmung befindet, welche den jeweiligen Abzug von Zinsertragsteuer vorgenommen hat. Dies sei hier das Finanzamt für Körperschaften in Wien, an welches - wie die Berufungsbehörde informativ hinzufügte - der Rückzahlungsantrag weitergeleitet werde.

Dieser Berufungsbescheid wurde von der Ärztekammer für Steiermark beim Verfassungsgerichtshof zur Gänze angefochten. Er war Gegenstand des zu B93/88 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Verfahrens und einer der Anlaßfälle im Normenprüfungsverfahren G7-36/88, G66,67/88, in welchem mit Erkenntnis vom 17. März 1988 die Bestimmungen über die Zinsertragsteuer in den Bundesgesetzen BGBl. 587/1983, 531/1984 und 327/1986 als verfassungswidrig aufgehoben wurden. Infolgedessen hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. März 1988, B93/88 auch den oben angeführten Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 10. Dezember 1987 (zur Gänze) wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze aufgehoben.

2. Über den dem Finanzamt für Körperschaften in Wien übermittelten Antrag auf Rückerstattung von Zinsertragsteuer hat (im Instanzenzug) die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Bescheid vom 15. April 1988 entschieden und diesen Antrag abgewiesen.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die vorliegende, beim Verfassungsgerichtshof am 12. Juli 1988 eingelangte Beschwerde der Ärztekammer für Steiermark, in welcher sich die beschwerdeführende Körperschaft in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt erachtet, die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

In der Beschwerde wird vorgebracht, die belangte Behörde übersehe, daß der vorliegende Fall ebenfalls als Anlaßfall zur (oben zitierten) Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 17. März 1988 zu betrachten sei. Der Verfassungsgerichtshof habe den (zu B93/88 angefochtenen) Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark zu Recht als Anlaßfall angesehen und zur Gänze aufgehoben, ohne daß hinsichtlich der beiden Teile der Berufungsentscheidung (meritorische Erledigung in Form einer Abweisung und formelle Erledigung in Form einer ersatzlosen Aufhebung) unterschieden worden wäre. Zum vorliegenden Verfahren sei es lediglich dadurch gekommen, daß die Finanzlandesdirektion für Steiermark eine Weiterleitung des Antrages insoweit veranlaßt habe, als nach ihrer Rechtsansicht eine örtliche Unzuständigkeit gegeben sei. Die Aufhebung des Bescheides der Finanzlandesdirektion für Steiermark durch den Verfassungsgerichtshof bedeute nicht nur eine Bindung dieser Behörde an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes für das fortgesetzte Verfahren, sondern darüberhinaus, daß die Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Verfahren so zu behandeln sei, als ob die aufgehobenen gesetzlichen Bestimmungen nicht existierten. Die belangte Behörde hätte dem Rückerstattungsantrag daher Folge geben müssen.

Da die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit der hier angefochtenen Berufungsentscheidung in einer der Rechtskraft fähigen Weise über die Rückerstattung der Zinsertragsteuer negativ abgesprochen habe, könne die beschwerdeführende Körperschaft nicht ausschließen, daß die Finanzlandesdirektion für Steiermark in dem im Anschluß an das Erkenntnis zu B93/88 zu erlassenden Ersatzbescheid eine durch den hier angefochtenen Bescheid eingetretene Bindungswirkung annehme "oder gar von res judicata" ausgehe.

Als Anlaßfall gelte auch die Zuständigkeitsregelung des §6 Abs4 Satz 2 des sogenannten ZESt-Gesetzes nicht für die beschwerdeführende Körperschaft. Die Finanzlandesdirektion für Steiermark könne im Ersatzbescheid, den sie zu erlassen haben werde, die Zuständigkeitsfrage nicht unter Zugrundelegung dieser Gesetzesstelle lösen. Die beschwerdeführende Ärztekammer vertrete daher die Ansicht, daß die Finanzlandesdirektion für Steiermark auch für die Entscheidung über die Frage der Rückerstattung jenes Teilbetrages an entrichteter Zinsertragsteuer zuständig sei, welcher den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bilde. Die hier belangte Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland sei daher nicht zuständig und habe somit die beschwerdeführende Körperschaft (auch) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3. Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorweg ist folgendes festzuhalten:

Gegenstand des Verfahrens zu B93/88 vor dem Verfassungsgerichtshof waren die Rechtmäßigkeit der Rückerstattung eines Betrages von S 4,680.863,10 an die Ärztekammer für Steiermark sowie die Frage der Zuständigkeit der Finanzlandesdirektion für Steiermark zur Entscheidung über die Rückerstattung eines (weiteren) Betrages von S 1,044.522,88 an für diese Körperschaft entrichteter Zinsertragsteuer. In diesem (Anlaß-)fall wurde also über die Rückerstattung des letztgenannten Betrages als solche nicht abgesprochen, insoweit war der angefochtene Bescheid (nur) ein verfahrensrechtlicher. Die Anlaßfallwirkung konnte daher auch nur in diesem Umfang eintreten.

Ergänzend sei hinzugefügt, daß der Verfassungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis B93/88 vom 18. März 1988 den angefochtenen Bescheid deshalb auch in seinem verfahrensrechtlichen Teil aufgehoben hat, damit die Finanzlandesdirektion für Steiermark nach Wegfall der - präjudiziellen - Zuständigkeitsvorschrift des §6 Abs4 zweiter Satz im Abschnitt XIV des Bundesgesetzes BGBl. 587/1983 auf der Basis der bereinigten Rechtslage neuerlich über die Zuständigkeit entscheidet (wobei der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang keine von der Behörde zu beachtende Rechtsanschauung im Sinne des §87 Abs2 VerfGG geäußert hat; der Gerichtshof hat insbesondere nicht zum Ausdruck gebracht, die belangte Behörde werde bei Anwendung der bereinigten Rechtslage in der Zuständigkeitsfrage zu einem anderen Ergebnis kommen müssen).

2. Die vorliegende, beim Verfassungsgerichtshof erst nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung im Normenprüfungsverfahren zu G7-36/88, 66,67/88 eingebrachte Beschwerde betrifft die Sachentscheidung über die Rückerstattung von S 1,044.522,88 an entrichteter Zinsertragsteuer. Da ein solcher Beschwerdefall - wie oben unter Punkt 1. dargelegt - zu Beginn der mündlichen Verhandlung im Normenprüfungsverfahren am 8. März 1988 beim Verfassungsgerichtshof nicht anhängig war, ist der vorliegende Fall im Sinne der ständigen Rechtsprechung (siehe VfSlg. 10.616/1985) nicht einem Anlaßfall gleichzuhalten.

3. Bei ihrem Vorbringen betreffend die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geht die beschwerdeführende Körperschaft von der Prämisse aus, die oben angeführte Zuständigkeitsbestimmung im Bundesgesetz BGBl. 587/1983 sei im vorliegenden Fall nicht (mehr) anzuwenden. Diese Annahme ist aber, da es sich hier um keinen Anlaßfall handelt, unzutreffend.

Nach der Bestimmung des 2. Satzes im §6 Abs4 leg.cit. richtet sich die Zuständigkeit für die Erhebung der Zinsertragsteuer nach der Zuständigkeit für die Erhebung der Kapitalertragsteuer. Nach den (verwiesenen) Vorschriften über die Abfuhr der Kapitalertragsteuer (§96 Abs1 EStG iVm §59 BAO) ist das Betriebs-Finanzamt des Abfuhrpflichtigen örtlich zuständig. Die hier umstrittenen Beträge an Zinsertragsteuer entfielen auf Einlagen bei - abfuhrpflichtigen - Kreditunternehmungen, deren Geschäftsleitung sich in Wien befindet. Die zuständigen Finanzbehörden in Wien (und somit auch die belangte Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland) sind daher nach §240 Abs3 zweiter Satz BAO auch zur Entscheidung über den vorliegenden Rückerstattungsantrag zuständig.

4. Da die beschwerdeführende Körperschaft somit durch den angefochtenen Bescheid weder wegen der behaupteten Verstöße in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten noch wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt wurde und da auch sonst vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Rechtsverletzungen nicht hervorgekommen sind, wird die Beschwerde abgewiesen.

Die antragsgemäße Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof stützt sich auf Art144 Abs3 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung erfolgen.

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