VfGH B1383/88

VfGHB1383/8812.6.1989

Zum Inhalt des Gleichheitsgebotes; Begriff der "Klasse"; Standesrecht; verfassungskonforme Auslegung des §10 Abs2 RAO und §2 DSt

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Allg
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung keine
DSt 1872 §2
RAO §10 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Allg
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung keine
DSt 1872 §2
RAO §10 Abs2

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Zur Vorgeschichte genügt es, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 1987 B334/86 zu verweisen.

Mit (Ersatz-)Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) wurde der Berufung des Dr. P P gegen seine Verurteilung in den Punkten 1. bis 3. des Erkenntnisses des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. Jänner 1985 keine Folge gegeben, der Strafausspruch zu Punkt 4. dieses Erkenntnisses jedoch aufgehoben und Dr. P P insoferne freigesprochen. Für die dem Beschuldigten weiter zur Last liegenden Disziplinarvergehen wurde über ihn die Disziplinarstrafe einer Geldbuße verhängt.

Der in Rede stehende Bescheid der OBDK bestätigt, Dr. P P sei zu Recht für schuldig erkannt,

"1. als Rechtsvertreter des Hans Fehringer im Strafverfahren wegen Ehrenbeleidigung gegen Karl Ruhland beim Bezirksgericht St. Pölten ... eine Ablehnungserklärung beim Bezirksgericht St. Pölten eingebracht zu haben, in welcher nachstehendes ausgeführt wird:

'Bei der Behandlung der von mir erstatteten Strafanzeige gegen den Beschuldigten (R) wegen des Vergehens der Körperverletzung ist es nämlich zu Unkorrektheiten gekommen, die eindeutig als kriminell anzusehen sind. Das eben beschriebene kriminelle Verhalten im Bereiche der Bundespolizeidirektion St. Pölten hat dazu geführt, daß sich der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht St. Pölten dazu bringen lassen hat, die Einholung eines Gutachtens über die Dauer meiner verletzungsbedingten Gesundheitsstörung zu beantragen.'

2.a) in seiner Äußerung an den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 22.Jänner 1981 ... ausgeführt zu haben:

'Insgesamt empfinde ich Ihr Schreiben vom 22. Dezember 1980 (der Aufforderung zur Äußerung betreffend einen am 16. Dezember 1980 in den St. Pöltner Nachrichten erschienenen Zeitungsartikel) als bedenklich. Der Verdacht einer willkürlichen Vorgangsweise (§302 StGB) scheint nicht völlig denkunmöglich',

b) in seiner Äußerung vom 13. April 1981 an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland ... ausgeführt zu haben:

'Auch der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, der das genannte Schreiben ... offenbar ohne förmliche Beschlußfassung dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland gleichsam unter der Hand zugespielt haben dürfte, hat irgendwelche konkreten Vorwürfe gegen mich nicht zu erheben vermocht'.

3. in einer als Disziplinaranzeige bezeichneten Eingabe an den

Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich

und Burgenland vom 27. Jänner 1982 ... zur Person des Dr. H R ...

folgende Sätze und Ausdrücke verwendet zu haben:

- 'in nicht mehr zu überbietender Unverfrorenheit meint er

(Dr. R) ... es wäre meine Aufgabe gewesen ...'

Dadurch habe er die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, daß Dr. P P nicht ein Verhalten zum Vorwurf gemacht werde, das in der Ausschöpfung der in §9 RAO eingeräumten Rechte, unumwunden und deutlich auf Fehlverhalten hinzuweisen, bestehe, sondern, daß ihm ausschließlich angelastet werde, er habe einerseits ohne sachlich ausreichende Grundlage einen erhebenden Polizeibeamten eines eindeutig kriminellen Verhaltens (Mißbrauch der Amtsgewalt) bezichtigt und andererseits in einer weit über das zulässige Maß hinausgehenden Reaktion ohne Prüfung der Grundlagen den Kammerausschuß sowie einen Kollegen krimineller Handlungen verdächtigt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf "Einhaltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Delikte und der Strafen gemäß Art7. Abs1 MRK" und auf freie Meinungsäußerung geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf Erstattung einer Gegenäußerung jedoch verzichtet.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Der Beschwerdeführer betont zunächst, er stelle nicht in Frage, daß die belangte Behörde mit dem angefochtenen (Ersatz-)Bescheid der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, die dessen Erkenntnis vom 2. Juli 1987 B334/86 zugrunde lag, gefolgt ist, daß er aber mit der vorliegenden Beschwerde - die ansonsten "unsinnig wäre" - der Bestimmung des Art26 MRK Rechnung trage, die vor Anrufung der EKMR die Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtszuges anordne. Unbeschadet seiner Ansicht, daß er sich zumindest zum Teil einer anderen Ausdrucksweise hätte befleißigen sollen, behauptet er, ohne die Beschwerde insoferne weiter auszuführen, in den bereits genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein. Der Beschwerdeführer vertrete jedoch die Ansicht, daß die gesetzlichen Bestimmungen, auf denen das angefochtene Erkenntnis beruhe, verfassungswidrig seien, da sie von einem Rechtsanwalts-"Stand" ausgingen, weshalb sie einen Fremdkörper in der Rechtsordnung eines demokratischen Staates bildeten. Stände seien mit dem Wesen einer demokratischen Republik unvereinbar, weshalb Art7 B-VG Vorrechte des Standes auch ausdrücklich ausschließe; daraus ergebe sich, daß auch Benachteiligungen eines Standes naturgemäß ausgeschlossen sein müßten. Die Verfassungswidrigkeit der bekämpften gesetzlichen Bestimmungen erweise sich auch dadurch, "daß die Frage, für welches Delikt welche Strafe vorgesehen ist, im anwaltlichen 'Standes'-Recht nicht ausreichend genau festgelegt ist". Aber auch dann, wenn man von der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen ausginge, müsse die gegen ihn eingeschlagene Vorgangsweise als willkürlich bezeichnet werden.

3.2. Soweit in der vorliegenden Beschwerde Vorwürfe erhoben werden, die bereits Gegenstand des Verfahrens B334/86 waren, genügt es, auf die Begründung des dieses Verfahren abschließenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 1987 zu verweisen. Zu dem vom Beschwerdeführer neuerlich erhobenen Vorwurf, im Recht "auf Einhaltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Delikte und der Strafen gemäß Art7. Abs1 MRK" verletzt zu sein, der auf die Verfassungswidrigkeit des §2 DSt abzielt, ist zusätzlich auf das (inzwischen ergangene) Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1988 B1286/87 zu verweisen. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich auch aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht veranlaßt, hievon abzugehen.

Was den mit der vorliegenden Beschwerde erstmals vom Beschwerdeführer erhobenen Vorwurf betrifft, das anwaltliche "Standes"-Recht verstoße gegen Art7 B-VG, weil nach diesem Verfassungsgebot Vorrechte - aber auch Benachteiligungen - des Standes ausgeschlossen seien, ist auch dieses Vorbringen offenkundig verfehlt. Die in Rede stehende Verfassungsanordnung richtet sich, wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 1452/1932 ausgesagt hat, gegen Bevorrechtungen bestimmter Klassen auf Grund einer sozialen Gliederung nach einer gesellschaftlichen Rangordnung und nach Berufsklassen. Dabei ist unter Klasse eine Gruppe von Menschen zu verstehen, deren gesamte Lebensführung sich von der Lebensführung anderer Gruppen von Menschen unterscheidet (vgl. VfSlg. 384/1925). Das Gleichheitsgebot des Art7 B-VG bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 2717/1954, 2724/1954, 2884/1955, 3240/1957) die Verpflichtung von Gesetzgebung und Vollziehung, sich bei der rechtlichen Behandlung der Staatsbürger nur von sachlich gerechtfertigten Momenten leiten und subjektive, nur in der Person - des Standes - begründete Erwägungen beiseite zu lassen. Beruht eine verschiedene Behandlung jedoch darauf, daß objektive Merkmale verschieden sind, dann wird dadurch der Gleichheitssatz nicht verletzt (vgl. VfSlg. 4036/1961, 5356/1966). In diesem Sinne sind §10 Abs2 RAO und §2 DSt als im Beschwerdefall maßgebliche Grundlagen des (Disziplinar-)Standesrechtes verfassungskonform zu sehen (vgl. hiezu auch die im Erkenntnis vom 2. Juli 1987 B334/86 enthaltenen Rechtsprechungshinweise, insbesondere auch VfSlg. 7494/1975 und 11007/1986). Der Verfassungsgerichtshof hegt aber auch keine Gleichheitsbedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid konkret zugrunde gelegte Standesauffassung.

3.3. Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde und angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen auch ausgeschlossen ist, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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