Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Konkurs- und Ausgleichsrechts, BGBl 233/1985 Art1
IESG §1 Abs1
IESG §12 Abs1 Z5
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Konkurs- und Ausgleichsrechts, BGBl 233/1985 Art1
IESG §1 Abs1
IESG §12 Abs1 Z5
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Vertreters die mit 27.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit dem angefochtenen Berufungsbescheid des Landesarbeitsamtes wird ein Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste Wien bestätigt, womit das Begehren des Beschwerdeführers auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld nach dem Insolvenz-EntgeltsicherungsG, BGBl. 324/1977 (IESG), abgewiesen wird, weil der in der Bundesrepublik Deutschland eröffnete Konkurs das Vermögen eines Arbeitgebers betreffe, der im Inland weder eine Niederlassung noch Vermögen habe.
Die dagegen erhobene Beschwerde rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz. Der Beschwerdeführer habe seine Arbeit von einem österreichischen Wohnsitz aus ausschließlich im Inland geleistet. Er genieße in der Bundesrepublik Deutschland keinen Schutz vor Insolvenz des Arbeitgebers. Die ausländische Konkurseröffnung werde durch das deutsch-österreichische Konkursabkommen im Sinne des letzten Satzes des §1 Abs1 IESG anerkannt. Die von der belangten Behörde behauptete Einschränkung auf den Fall einer inländischen Niederlassung oder des Vorhandenseins inländischen Vermögens sei weder aus dem IESG noch aus dem Anerkennungsvertrag abzuleiten. Die Behörde handle willkürlich. Zudem habe die Tätigkeit des Beschwerdeführers im Inland eine inländische Betriebsstätte seines Arbeitgebers konstituiert und dieser habe in Österreich auch Vermögen.
II. Die Beschwerde ist begründet.
1. Nach §1 Abs1 Satz 1 IESG haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, wenn über das Vermögen des Arbeitgebers im Inland der Konkurs eröffnet wird. Nach dem letzten Satz dieser Bestimmung besteht der Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld auch, wenn ein ausländisches Gericht eine derartige Entscheidung getroffen hat und diese aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen im Inland anerkannt wird. Der Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Konkurs- und Ausgleichs(Vergleichs-)rechts vom 25. Mai 1979, BGBl. 233/1985, bestimmt in Art1, daß sich die Wirkungen des im zuständigen Vertragsstaat eröffneten Konkurses nach Maßgabe der Bestimmungen des Vertrages auf das Gebiet des anderen Staates erstrecken.
2. Der angefochtene Bescheid räumt ein, daß der deutsch-österreichische Vertrag das Vorhandensein eines Betriebsteils, einer Niederlassung oder eines Unternehmens in Österreich nicht expressis verbis verlange. Es müsse aber aufgrund der ständigen Bezugnahme auf solche Umstände auf dieses Erfordernis geschlossen werden. So bestimme zB Art13 für den Fall eines Sitzes oder einer Niederlassung im Ausland, daß der Einfluß des Konkurses auf ein von dort aus geschlossenes, nicht oder nicht vollständig erfülltes Rechtsgeschäft sich unter Umständen nach dem Recht dieses Staates richte. Auf das Arbeits- und Sozialrecht erstreckten sich die Rechtsfolgen des Vertrages nicht. Das IESG stelle aber auf die Konkurseröffnung über das Vermögen eines Arbeitgebers im Inland ab:
"Es kann keineswegs Sinn des Konkursvertrages in Verbindung mit dem Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz sein, für Arbeitnehmer unabhängig von einer Nahebeziehung des insolventen Unternehmens zum Inland einen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zu begründen. Dies würde nämlich bedeuten, daß, sobald im Ausland der Konkurs über das Vermögen eines Unternehmens eröffnet wurde, dessen Arbeitnehmer in Österreich einen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld stellen können. Es ist also zumindest erforderlich, daß Vermögen des insolventen Unternehmens im Inland vorhanden ist, weil es sonst an einem Grund für die Erstreckung der Rechtsfolgen des Konkurses fehlt."
In der Gegenschrift beruft sich die Behörde auf eine Stellungnahme der Finanzprokuratur, wonach aus dem Wesen und Zweck des IESG, insbesondere der Aufbringung der Mittel durch einen vom Arbeitgeber zu tragenden Zuschlag zum Arbeitslosenversicherungsbeitrag folge, daß der Arbeitgeber in Österreich zumindest einen Betriebsteil, eine Niederlassung oder einen Sitz haben und der Arbeitnehmer dort beschäftigt gewesen sein müsse. In diesem Sinne sprächen auch die Erläuterungen zu §22 des deutschen Ausführungsgesetzes zum Vertrag davon, daß die Regelung keinen selbständigen Anspruch auf Konkurs-Ausfallgeld begründe. Das Bundesministerium für Justiz sei dieser Auffassung mit dem Hinweis auf eine Formulierung im gemeinsamen Bericht zum Vertrag beigetreten.
Aus der Verpflichtung zur Entrichtung eines Zuschlages zum Arbeitslosenversicherungsbeitrag könne kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld abgeleitet werden, weil die Kriterien für die Beitragsleistung nicht dieselben seien wie für die Anspruchsberechtigung. Es sei daher nicht erheblich, ob und in welchem Umfang der Beschwerdeführer in Österreich sozialversicherungspflichtig gewesen sei.
3. Mit dieser Auslegung unterstellt die Behörde dem Gesetz fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt. Sie läuft nämlich darauf hinaus, daß einem im Inland tätigen und wohnhaften Arbeitnehmer die Sicherung vor den Folgen der Insolvenz seines ausländischen Arbeitgebers nur deshalb versagt wird, weil dieser Arbeitgeber in Österreich keine Niederlassung oder Betriebsstätte und kein Vermögen hat. Die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld von diesen Kriterien abhängig zu machen wäre aber im gegenwärtigen System der Insolvenz-Entgeltsicherung unsachlich:
a) Mit der Tatsache, daß der Konkurs im Ausland eröffnet worden ist, hat die in Rede stehende Unterscheidung offenkundig nichts zu tun. Daß der Akt des ausländischen Konkursgerichts in seinen Voraussetzungen und Wirkungen der vergleichbaren österreichischen Entscheidung entspricht, ist durch die Anerkennung der ausländischen Entscheidung für den Bereich des Insolvenzrechts klargestellt. Diese Gleichwertigkeit hängt nicht von der Frage ab, ob der Arbeitgeber auch in Österreich eine Niederlassung oder einen Betriebsteil besitzt. Daß mangels Vermögens in Österreich trotz Anerkennung der ausländischen Entscheidung möglicherweise keine praktischen Auswirkungen insolvenzrechtlicher Art eintreten, verschlägt nichts, weil es hier nicht um insolvenzrechtliche Auswirkungen in Österreich, sondern um die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld an einen Arbeitnehmer geht, dessen Arbeitgeber im Ausland als insolvent betrachtet wird. Fragen dieser Art regelt aber der Staatsvertrag nicht. So heißt es in den - die vom Bundesministerium für Justiz zitierte Stelle des gemeinsamen Berichtes (offenbar wörtlich) wiedergebenden - Erläuterungen zur Regierungsvorlage 77 BlgNR 15. GP, 9, ausdrücklich:
"Rechtsfolgen, die z.B. das Arbeits- oder Sozialrecht an den Tatbestand der Konkurseröffnung knüpft und die nicht dem Gebiet des Konkursrechts angehören (z.B. die Zahlung von Konkursausfallgeld, Ansprüche nach dem österreichischen Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, BGBl. Nr. 324/1977, die Insolvenzsicherung von Betriebsrenten), erstrecken sich dagegen nach dem Vertrag nicht. Für die Anwendung dieser außerkonkursrechtlichen Regelungen kann jedoch die Eröffnung des Konkurses im anderen Vertragsstaat insofern von Bedeutung sein, als diese der Konkurseröffnung im Inland gleichgestellt wird."
Deshalb könnte sich eine Einschränkung der von der Behörde behaupteten Art auch nur aus dem die Gleichstellung vertraglich anerkannter ausländischer Akte anordnenden IESG, nicht aus dem Vertrag ergeben.
b) Aus dem Blickwinkel des IESG ist nun aber eine inländische Niederlassung oder ein inländischer Teilbetrieb ebensowenig erforderlich wie die Existenz inländischen Vermögens. Das Vermögen des Arbeitgebers spielt im System der Sicherung von Arbeitnehmerforderungen keine Rolle. Mit Recht weist die Beschwerde darauf hin, daß der Konkurseröffnung die Abweisung des Konkursantrages mangels Vermögens gleichgestellt ist (§1 Abs1 Z3 IESG): Je weniger Vermögen der Gemeinschuldner hat, desto dringlicher ist ja die Sicherung der Arbeitnehmeransprüche. Nirgends wird daher die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld an das Vorhandensein eines Vermögens des Arbeitgebers geknüpft. Weder hängt der Anspruch auf Ausfallgeld von den Rückgriffsaussichten des Fonds, noch die Möglichkeit des Rückgriffs vom Vorhandensein inländischen Vermögens ab.
Denkbar wäre allerdings, die Versagung von Ausfallgeld an Arbeitnehmer von Arbeitgebern ohne Niederlassung oder Betriebsstätte in Österreich mit einer etwa fehlenden Beitragsleistung für solche Arbeitnehmer zu rechtfertigen (vgl. zu dieser Möglichkeit VfSlg. 9372/1982 Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigung S. 256 = ZAS 1982/33, S. 231 Ende). Auch für Arbeitnehmer solcher Arbeitgeber sind aber Zuschläge zu dem vom Arbeitgeber zu leistenden und gemäß §62 ArbeitslosenversicherungsG von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung gemeinsam mit dem Beitrag zur Krankenversicherung einzuhebenden Anteil des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung im Sinne des §12 Abs1 Z5 IESG zu leisten:
Arbeitslosenversicherungspflichtig sind Dienstnehmer, die in der Krankenversicherung pflichtversichert sind (§1 Abs1 lita AlVG), mithin alle im Inland beschäftigten Dienstnehmer (§1 iVm §4 Abs1 Z1 ASVG), das sind die unselbständig Erwerbstätigen, deren Beschäftigungsort im Inland gelegen ist (§3 Abs1 ASVG), und zwar auch Dienstnehmer eines ausländischen Betriebes, der im Inland keine Betriebsstätte unterhält, wenn sie nur ihre Beschäftigung (Tätigkeit) von einem im Inland gelegenen Wohnsitz aus ausüben und nicht aufgrund dieser Beschäftigung einem System der sozialen Sicherheit im Ausland unterliegen (§3 Abs3 Satz 2 ASVG). Zwar haben Versicherte, deren Dienstgeber im Inland keine Betriebsstätte hat, den Beitrag zur Gänze - also mit Einschluß des Dienstgeberanteils - selbst zu entrichten (§61 Abs6 litb AlVG), doch ändert das nichts an der Pflicht, auch den in §12 Abs1 Z5 IESG vorgesehenen Zuschlag zu zahlen. Das im vorletzten Satz dieser Gesetzesstelle ausgesprochene Gebot an den Arbeitgeber, den jeweiligen Zuschlag "zu tragen", bewirkt für diese Fälle eben einen Rückgriffsanspruch des zur Zahlung herangezogenen Arbeitnehmers gegen den solcherart belasteten Arbeitgeber. Wird aber für Arbeitnehmer, die von einem inländischen Wohnsitz aus ihre Beschäftigung in Österreich ausüben, ohnehin auch der Beitrag zum Aufwand des Ausfallgeld-Fonds geleistet, dann kann das Fehlen einer inländischen Betriebsstätte die Versagung von Ausfallgeld auch aus dem Blickwinkel der Aufbringung der Mittel nicht rechtfertigen (sodaß offen bleiben kann, wie weit sich der Zeitraum, für den Ausfallgeld beansprucht wird, mit jenem decken muß, für den Beiträge angefallen sind).
Da auch eine andere Rechtfertigung für die aufgezeigte Differenzierung nicht zu finden ist, verstößt die von der Behörde gewählte - durch nichts gebotene - Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen gegen den Gleichheitssatz. Der auf dieser Auslegung beruhende Bescheid verletzt den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz. Er ist aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind 4.500 S an Umsatzsteuer enthalten.
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