VfGH G144/87

VfGHG144/879.3.1988

Länderweise unterschiedliche Regelungen des Bundesgesetzgebers müssen auf Unterschieden im Tatsächlichen beruhen; Zusammenhang mit Angelegenheiten, deren Regelung Ländern zusteht - Rechtfertigung für Differenzierungen. Reichsgesetz vom 24.02.1905, wirksam für das Land Vorarlberg, womit besondere grundbuchsrechtliche und Exekutionsbestimmungen hinsichtlich der als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten erlassen werden, RGBl. Nr. 33; ArtI und II betreffend Nichtaufnahme von Felddienstbarkeiten in das Grundbuch nicht gleichheitswidrig

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art15
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art140 Abs1 / Sachentscheidung
ReichsG vom 24.02.1905. RGBl 33 ArtI und ArtII
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art15
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art140 Abs1 / Sachentscheidung
ReichsG vom 24.02.1905. RGBl 33 ArtI und ArtII

 

Spruch:

Dem Antrag wird keine Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach §481 ABGB kann das dingliche Recht der Dienstbarkeit an Gegenständen, die in den öffentlichen Büchern eingetragen sind, nur durch die Eintragung in diese erworben werden. Das Lastenblatt jeder Grundbuchseinlage hat unter anderem alle eine Liegenschaft belastenden dinglichen Rechte anzugeben (§11 Allgemeines GrundbuchsanlegungsG).

Das Reichsgesetz vom 24. Februar 1905, wirksam für das Land Vorarlberg, womit besondere grundbuchsrechtliche und Exekutionsbestimmungen hinsichtlich der als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten erlassen werden, RGBl. Nr. 33, bestimmt jedoch:

"ArtI. Als Felddienstbarkeiten sich darstellende Wege-, Wasserleistungs- und Holzriesenservituten sind von der Eintragung in das Grundbuch ausgenommen.

Hienach finden diejenigen gesetzlichen Bestimmungen, welche die Erwerbung, Beschränkung und Aufhebung von Dienstbarkeiten und von dinglichen Rechten überhaupt, die grundbücherliche Eintragung solcher Rechte und die Anmeldung derselben zum Zwecke der grundbücherlichen Eintragung zum Gegenstande haben, entsprechend eingeschränkte Anwendung.

Dasselbe gilt von jenen gesetzlichen Bestimmungen, welche sich auf den Schutz des Vertrauens in die öffentlichen Bücher beziehen.

ArtII. Alle in den bisher angelegten Grundbüchern vorkommenden Eintragungen bezüglich der in Artikel I bezeichneten Felddienstbarkeiten sind unwirksam und sind die betreffenden Grundbuchsblätter unter Hinweglassung dieser Eintragungen neu anzufertigen.

ArtIII. Die in Artikel I bezeichneten Felddienstbarkeiten sind bei der Zwangsversteigerung von Liegenschaften, auf denen sie haften, vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen.

ArtIV. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Kundmachung in Wirksamkeit.

ArtV. Mit dem Vollzuge dieses Gesetzes ist Mein Minster der Justiz beauftragt."

Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind durch die Erlassung des Allgemeinen GrundbuchsanlegungsG, BGBl. 2/1930, unberührt geblieben (§72 AllgGAG).

1. Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht beantragt, die ArtI und II des Gesetzes aus 1905 aufzuheben. Es legt dar, daß es über einen Rekurs gegen einen Beschluß des Bezirksgerichtes Dornbirn zu entscheiden habe, der gemäß §130 GrundbuchsG die Löschung der Eintragung einer Dienstbarkeit der unterirdischen Trink- und Nutzwasserdurchleitung mit der Begründung anordnet, es handle sich nach §477 ABGB um eine Felddienstbarkeit, die nach ArtI des Gesetzes aus 1905 von der Eintragung in das Grundbuch ausgenommen sei. Das Rekursgericht hätte daher dieses Gesetz anzuwenden. Es habe dagegen aber folgende Bedenken aus dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes:

"Das Argument der erheblichen Erschwerung in bezug auf die Grundbuchsanlegungsarbeit, wie dies im Zusammenhang mit der Einführung dieser Sonderreglung für das Land Vorarlberg herangezogen wurde (vgl. Bericht des Justizausschusses, 2133 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, XVII. Session 1905, Protokoll der

301. Sitzung der XVII. Session des Abgeordnetenhauses vom 8. 2. 1905) wie auch daß das Grundbuch unübersichtlich werde, kann angesichts der heute bei der Führung des Grundbuches gegebenen technischen Möglichkeiten nicht mehr zum tragen kommen.

Zwischen dem Land Vorarlberg und den anderen Bundesländern der Republik Österreich bestehen keine solchen wirtschaftlichen, kulturellen oder sonstigen Unterschiede, die eine solche Differenzierung in der grundbuchsrechtlichen Behandlung von sich als Felddienstbarkeiten darstellenden Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesendienstbarkeiten notwendig erscheinen ließen. Das Land Vorarlberg als Land mit starker Industrialisierung hat nicht mehr landwirtschaftliche Betriebe aufzuweisen, als andere Bundesländer. In der Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Ausgestaltung des Grundbuchsrechtes auch in bezug auf die angeführten Dienstbarkeiten in der im übrigen ausgenommen die angeführten Sonderfälle bundesweit einheitlichen Form ist kein Unterschied zu anderen Bundesländern. Auch in der Ausgestaltung der Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesendienstbarkeiten weisen die tatsächlichen Gegebenheiten im Land Vorarlberg im Vergleich zu anderen Bundesländern keine solchen Unterschiede auf, die allenfalls eine solche abweichende grundbuchsrechtliche Regelung rechtfertigen würden, wie sie hier durch ArtI. und ArtII. des Gesetzes vom 24. 2. 1905, RGBl. 1905/33, jedoch tatsächlich gegeben ist.

Nachdem dingliche Rechte, zu denen Dienstbarkeiten zählen, gegenüber jedermann wirksam sind, ergibt sich für diese Rechte ein erhöhtes Publizitätserfordernis. Dem trägt der Bundesgesetzgeber Rechnung durch den Eintragungsgrundsatz, wie er sich für Dienstbarkeiten aus §481 ABGB ergibt. Dadurch wird zugunsten der Berechtigten und des Rechtsverkehrs Klarheit über die Belastung von Liegenschaften, auch soweit dies Dienstbarkeiten im Sinne des §481 ABGB betrifft, geschaffen. Im Zuge der Einführung der Sonderregelung durch das Gesetz vom 24. 2. 1905, RGBl. 1905/33, wurde zugrundegelegt, daß es sich bei solchen von ArtI. des zitierten Gesetzes umfaßten Dienstbarkeiten in der Regel um offenbare Dienstbarkeiten handle, die also auch für jeden Dritten in der Natur erkennbar seien. Bedingt durch die zeitliche und wirtschaftliche Entwicklung sind insoweit jedoch erhebliche Veränderungen eingetreten, in deren Folge im besonderen Wege- und Wasserleitungsdienstbarkeiten, deren Ausgestaltung und der Umfang der sich daraus ergebenden Berechtigungen bzw. Belastungen in der Regel in der Natur für Dritte nicht mehr erkennbar sind. So werden Wege- und Wasserleitungsdienstbarkeiten selbst dann als Felddienstbarkeiten (im Sinne des §481 ABGB) eingestuft, wenn sie im Einzelfall einem (städtischen) Wohnhaus zustehen (JBl. 1983, 645, EvBl 1982/193). Das Eintragungsprinzip verbunden mit dem Publizitätsprinzip entspricht in diesem Zusammenhang dem Bedürfnis der Bevölkerung an überschaubaren Liegenschaftsverhältnissen.

Dem gegenüber ist durch ArtI. des Gesetzes vom 24. 2. 1905, RGBl. 1905/33, der Eintragungsgrundsatz ausgeschlossen und das Publizitätsprinzip, soweit es die in ArtI. des zitierten Gesetzes angeführten Dienstbarkeiten betrifft, außer Wirksamkeit gesetzt. ArtI. des zitierten Gesetzes schafft somit eine Sonderregelung ohne sachliche Rechtfertigung. ArtII. des zitierten Gesetzes stellt zu der von ArtI. des zitierten Gesetzes geschaffenen Sonderregelung die Ergänzung dar für jene Dienstbarkeiten, die bis zur Erlassung dieser Sonderregelung einverleibt worden sind und erzwingt deren Löschung. Diese Durchbrechung des Eintragungsprinzips wie des Publizitätsprinzips im Gegensatz zu der - ausgenommen der Regelung für das Land Tirol - bundeseinheitlichen Regelung erscheint daher nicht als sachlich gerechtfertigt, nachdem entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen nicht vorliegen."

2. Die Bundesregierung hat von einer Äußerung in der Sache abgesehen und die Frage des Gerichtshofs nach den Auswirkungen einer stattgebenden Entscheidung dahin beantwortet, daß eine Aufhebung der angegriffenen Bestimmungen die bestehenden Dienstbarkeiten in ihrem Bestande nicht berühre und auch keine vermehrten Rechtsstreitigkeiten zur Folge haben würde, vielmehr im Gegenteil solche vermeiden helfe. Da jeder künftige Erwerber mit dem Bestand solcher Dienstbarkeiten aus der Zeit vor der Gesetzesaufhebung rechnen müßte, würden selbst nicht offensichtliche Dienstbarkeiten nicht gefährdet sein, bis sie (im gewöhnlichen Grundbuchsverfahren) eingetragen seien.

Der VfGH hat auch den Landesregierungen von Vorarlberg und (wegen einer ähnlichen Ausnahmeregelung für dieses Bundesland) von Tirol Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

Die Vorarlberger Landesregierung tritt dem antragstellenden Gericht bei. Die Sonderregelung sei in den Erschwernissen für die Grundbuchsanlegung und der Unübersichtlichkeit gerechtfertigt gewesen, aus heutiger Sicht bestünde jedoch dafür keine Notwendigkeit mehr:

"Die Verhältnisse dürften heute weitgehend anders liegen als zur Zeit der Erlassung der fraglichen Sonderregelung. So sind die Grundbücher längst angelegt und in Vorarlberg zum Teil bereits automationsunterstützt geführt. Was in der Anlegungssphase der Grundbücher als unüberwindbares Hindernis empfunden wurde, kann bei einem bestehenden Grundbuch durchaus als ohne besonderen Aufwand durchführbar angesehen werden.

Auch dürfte die Bedeutung der Felddienstbarkeiten im Vergleich zur Zeit der Grundbuchsanlegung bedeutend nachgelassen haben. Insbesondere ist anzunehmen, daß die Wegdienstbarkeiten durch die weitgehende Erschließung von Grundstücken durch das öffentliche Wegenetz an Bedeutung und Umfang abgenommen haben.

Wenn davon ausgegangen werden kann, daß die tatsächlichen Verhältnisse in Vorarlberg im Vergleich zu den anderen Bundesländern eine Sonderregelung bezüglich der grundbuchsrechtlichen Behandlung der erwähnten Feldservituten weder geboten, noch sonst gerechtfertigt erscheinen lassen, dann dürfte das zur Aufhebung beantragte Gesetz tatsächlich gleichheitswidrig sein.

Das Eintragungsprinzip und Publizitätsprinzip sind tragende Grundsätze bei der Erwerbung, Übertragung, Beschränkung und Aufhebung dinglicher Rechte. Ein Abgehen von diesen Grundsätzen selbst in allgemeiner Form, wonach etwa Feldservituten in den öffentlichen Büchern nicht einzutragen sind, bedürfen einer sachlichen Begründung. Umso mehr jedoch eine Sonderregelung, die nur für ein einziges Land Wirksamkeit enfaltet.

Da Gesetze dem Gleichheitsgebot stets entsprechen müssen und durch die Nichtanpassung an geänderte sachliche Erfordernisse verfassungswidrig werden können (vgl. VfSlg. 5854/1968, 7844/1976 und 7974/1977), werden die in Prüfung zu ziehenden Regelung nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung aufzuheben sein.

Die Aufhebung der genannten Bestimmungen würde dazu führen, daß auch in Vorarlberg sämtliche Felddienstbarkeiten in das Grundbuch eintragungsfähig wären. Die Regelungen über die Erwerbungsart von dinglichen Dienstbarkeiten (§481 ABGB) wären hinkünftig uneingeschränkt anwendbar.

Fraglich erscheint hingegen, wie Felddienstbarkeiten, die bisher ohne Eintragung im Grundbuch bestanden, künftig rechtlich zu behandeln sind. Die Anwort darauf wird vom Gesetzgeber zu geben sein.

Praktische Schwierigkeiten wären etwa bei einer nachträglichen Eintragung von Leitungsrechten bezüglich öffentlicher Wasserversorgungs- und Wasserentsorgungsleitungen zu erwarten. Bei älteren Leitungen liegen vielfach keine Planunterlagen mehr vor, die den Leitungsverlauf exakt wiedergeben. Zudem haben die Gemeinden mit den Grundeigentümern zumeist keine ausdrücklich als Dienstbarkeitsverträge bezeichneten Rechtsgeschäfte abgeschlossen, sondern lediglich in Listenform Zustimmungserklärungen zu bestimmten Projekten eingeholt. Streitfragen über die Rechtsnatur solcher Zustimmungserklärungen und die Einverleibungsfähigkeit solcher Rechte wären zu erwarten."

Die Tiroler Landesregierung hält die angegriffene Regelung mit der Sonderreglung für Tirol (RGBl. 77/1897), wonach als Felddienstbarkeiten sich darstellende Wege- und Wasserleitungsservituten, insoweit sich dieselben auf Ersitzung gründen, der Eintragung in das Grundbuch nicht bedürfen, und auf solche Rechte die Vorschrift des §1500 ABGB über das Vertrauen auf die öffentlichen Bücher keine Anwendung finde, nicht vergleichbar. In Tirol bestehe kein Verbücherungszwang (zur Vermeidung gutgläubigen Erwerbes), wogegen in Vorarlberg ein Verbücherungsverbot ausgesprochen sei und die Einschränkung auf ersessene Dienstbarkeiten fehle. Unter Hinweis auf die Darstelllung bei Bartsch, GrundbuchsG7, 1933, 191 Note 7, und Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung SZ 53/139 wird die Tiroler Regelung als Rücksichtnahme auf alte Übungen und die besonderen Verhältnisse im Land sowie das Bemühen gerechtfertigt, überflüssige Ersitzungsprozesse zu vermeiden. Die Vorarlberger Regelung lehne sich zwar an die Tiroler an, sei aber schärfer. In Tirol bestünden - wie die Landesregierung näher ausführt - die für die Sonderregelung maßgeblichen Verhältnisse, insbesondere die Besitzstruktur, weiter und habe die Regelung nur selten zu Problemen geführt. Jedenfalls diese Ausnahme sei auch heute noch gerechtfertigt. Ihre Beseitigung hätte zur Folge,

"daß die für die Erhaltung und wirtschaftliche Nutzbarkeit der berechtigten Liegenschaften lebensnotwendigen Rechte plötzlich angezweifelt und vom Eigentümer der verpflichteten Liegenschaft bestritten werden könnten. Die Eigentümer der berechtigten Liegenschaften müßten ihre Rechte allenfalls erst in langwierigen Ersitzungsprozessen durchsetzen. In Tirol würde die Aufhebung der vorgenannten Bestimmung eine Flut von Ersitzungsprozessen nach sich ziehen. Im Falle der Veräußerung der verpflichteten Liegenschaften an einen gutgläubigen Käufer würden die seit Generationen bestehenden Rechte überhaupt erlöschen (§1500 ABGB).

Ein - rückwirkender - Eintragungszwang (ohne Anerkennung des bisherigen Zustandes) würde also in Tirol zu kaum abschätzbaren Problemen führen. Das zeigen bereits die Fragen, die im Zusammenhang mit der Ersitzung von Dienstbarkeiten einer Schiabfahrt zugunsten von Gemeinden aufgetreten sind. Alte Felddienstbarkeiten sind derart zahlreich, gerade bei der Ausübung der Land- und Forstwirtschaft in einem so gebirgigen Land wie Tirol, daß sich im Einzelfall die Situation, vor der sich die Grundbuchsanlegung gestellt sah, wiederholen würde. Es wäre jeweils genau zu prüfen, wer bzw. welches Grundstück berechtigt und belastet wäre; es wäre zum Beispiel zu prüfen, ob ein Holzabtriebsrecht als Recht nach dem Wald- und Weideservitutengesetz anzusehen wäre, ob es sich räumlich verändern könnte (je nach Art der Bringung bzw. Ort der Schlägerung im Wald) usw. Es würde mehr Streit entstehen als Streit vermieden werden."

II. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß das antragstellende Gericht zweiter Instanz in dem bei ihm anhängigen Rekursverfahren die angegriffenen Bestimmungen anzuwenden hätte.

III. Die vorgetragenen Bedenken sind jedoch nicht begründet. Die ArtI und II des Gesetzes RGBl. 33/1905 sind nicht unsachlich und verstoßen nicht deshalb gegen den Gleichheitssatz, weil sie nur für das Land Vorarlberg gelten.

1. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch hat die Vorschriften über die Einrichtung der öffentlichen Bücher zur Registrierung der Rechtsverhältnisse an Liegenschaften den bestehenden besonderen Regelungen überlassen (§446 ABGB). Diese hatten sich in den meisten Kronländern am Muster der Landtafeln (insbesondere jener für Böhmen) orientiert. Die Versuche einer Vereinheitlichung blieben zunächst im Entwurfstadium stecken; Hofdekrete der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts regelten nur einzelne dringende Fragen (vgl. Demelius, Österreichisches Grundbuchsrecht, 1948, 3f). Nach Aufhebung der Untertänigkeit setzten neue Bemühungen um ein für alle öffentlichen Bücher geltendes Recht ein, die erst 1871 zum Allgemeinen GrundbuchsG, RGBl. 95, führten. Die Gesetzgebung über die innere Einrichtung der öffentlichen Bücher hatte das Grundgesetz über die Reichsvertretung (RGBl. 141/1867) aus der Zivilrechtskompetenz des Reichsrats (§11 litk) ausdrücklich ausgenommen. Einige Landtage, darunter jene von Kärnten, Österreich ob der Enns, Österreich unter der Enns und Salzburg überließen diese Angelegenheiten im Sinne des §12 Abs2 StGG dem Reichsrat, in anderen, darunter der Steiermark, ergingen 1874 damit weitgehend übereinstimmende Landesgesetze über die Anlegung neuer Grundbücher und über deren innere Einrichtung. Nur in Tirol und Vorarlberg versahen weiterhin die sogenannten Verfachbücher die Funktion des öffentlichen Buches, ohne die vollen Wirkungen des Publizitätsprinzips entfalten zu können (weshalb jene Gesetzesstellen des ABGB, welche die Existenz der Grundbuchs- und Landtafelverfassung voraussetzen, außer Anwendung bleiben; vgl. die Darstellung des OGH im SZ 53/139). Erst um die Jahrhundertwende wurde für Tirol und Vorarlberg die Anlegung von Grundbüchern angeordnet (Landesgesetze für Tirol vom 17. März 1897, LGBl. 9, und für Vorarlberg vom 1. März 1900, LGBl. 18). Für Tirol wurden auch sogleich grundbuchsrechtliche Sonderbestimmungen getroffen (RGBl. 77/1897); unter anderem wurde verfügt, daß als Felddienstbarkeiten sich darstellende Wege- und Wasserleitungsservituten, sofern sich dieselben auf Ersitzung gründen, der Eintragung in das Grundbuch nicht bedürfen, und auf solche Rechte die Vorschrift des §1500 ABGB keine Anwendung finde (ArtI).

2. Die Entwicklung in Vorarlberg hat im Zuge der Beratungen des angegriffenen Gesetzes im Reichsrat der Berichterstatter des Abgeordnetenhauses am 8. Feber 1905,

301. Sitzung der XVII. Session, 26944), Dr. von Grabmayr nach Schilderung der Tiroler Verhältnisse so beschrieben:

"In Vorarlberg ist die Sache anders gegangen. Ich gestehe, daß die Vorarlberger Schwaben, ein hochentwickelter und intelligenter Menschenschlag, uns Tirolern in so manchem überlegen sein mögen.

Auch in dem Falle wollten sie gescheiter sein als wir und haben sich gegen diese Ausnahmsbestimmung, die uns Tirolern bereits zugebillgt war, gesträubt und haben erklärt, sie wollten die Vollständigkeit des Grundbuches nicht alterieren lassen, es müßten alle Servituten in das Grundbuch kommen. Die Regierung hat dem Wunsche der Vorarlberger entsprochen, die betreffende Ausnahme wurde für sie in das betreffende Reichsgesetz, über welches ich die Ehre hatte vor vier Jahren im hohen Hause zu berichten, nicht aufgenommen und das Grundbuchanlegungsverfahren hat in Vorarlberg seinen Lauf genommen.

Bald aber mußten die Vorarlberger sich im Laufe des Grundbuchanlegungsverfahrens überzeugen, daß durch die ausnahmslose zwangsweise Eintragung all dieser Servituten eine solche Erschwerung der Grundbuchanlegungsarbeit herbeigeführt wurde, daß sie um Jahre länger auf die Vollendung des Grundbuches warten müßten, wenn in diesem Stile weitergearbeitet würde.

Infolgedessen hat sich der Vorarlberger Landtag bemüßigt gefunden, auch seinerseits dieselbe Bitte an die Regierung zu richten, daß die Ausnahme, wie sie in Tirol bereits seinerzeit gemacht wurde, auch in Vorarlberg eingeführt werde.

Der Vorarlberger Landtag hat schon vor ungefähr zwei Jahren den Beschluß gefaßt, das Vorarlberger Grundbuchanlegungsgesetz in diesem Sinne zu ändern. Damit aber dieser Landtagsbeschluß Landesgesetz werde und praktisch durchgeführt werden kann, ist es nötig, daß reichsgesetzlich festgestellt werde, daß auch für Vorarlberg diese Ausnahme von den allgemeinen grundbuchsrechtlichen Bestimmungen zulässig sei."

Der dem Beschluß des Vorarlberger Landtages zugrundeliegende Bericht des volkswirtschaftlichen Ausschusses vom 20. Oktober 1903 über die Abänderung des GrundbuchsanlegungsG (durch Ausnahme der als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten; I. Session der 9.

Periode, Beilage LVII) enthält folgende Begründung:

"Aus den bisherigen Erhebungen bei Anlegung der Grundbücher ist zu ersehen, daß eine außergewöhnlich und gewiß unvorhergesehen große Anzahl von als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wegerechten bestehen.

Bei der großen Parzellierung von Grund und Boden durchziehen zahlreiche Feld- und Waldwege eine lange Reihe von Grundparzellen. Die Verbücherung solcher Wegerechte erfordert nicht selten hunderte von Eintragungen und eine Änderung an nur einer solchen Grundparzelle bedingt wieder eine grundbücherliche Auszeichnung bei den vielen früheren Eintragungen.

Ähnliche Verhältnisse entstehen bei den Wasserleitungsund Holzriesenservituten.

Diese zahlreichen Eintragungen verhindern die wünschenswerte Übersichtlichkeit des Grundbuches und erschweren die Anlegung desselben unnützer Weise.

Durch Anlegung des Grundbuches wollte vor allem eine genaue Feststellung der Eigentums- und Pfandrechtsverhältnisse erzielt werden.

Die nach den bisherigen Erhebungen gemachte Eintragung der genannten Servituten bewirkte aber das Gegenteil; Unbestimmbarkeit der Relevanz solcher Eigentumsbelastungen und Unberechenbarkeit der genauen Höhe der Grundbelastung bei der Vermischung der Hypotheken mit den zahlreichen Servituten machen ein rasches Erkennen der Sachlage unmöglich, schädigen den Realkredit und beeinträchtigen eine zutreffende Wertschätzung von Grund und Boden.

Wenn nun auch durch die Ausschließung der Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten von der Eintragung von dem strengen Grundbuchssysteme abgewichen wird, so tritt dadurch eine Gefahr für die an diesen Rechten interessierten Parteien doch nicht ein. Der Erwerber einer Realität oder der Darlehensgeber werden sich in jedem Falle über die Beschaffenheit der Realitäten durch Augenschein und Nachfrage informieren und hiebei von bestehenden Felddienstbarkeiten gewiß Kenntnis erhalten, soweit sie nicht als Nachbarn oder Gemeindegenossen ohnehin hievon schon Kenntnis haben. Die hier in Frage kommenden Servituten können unschwer von jedem Interessenten erfahren und bei Anwendung der gewöhnlichen Aufmerksamkeit wahrgenommen werden, so daß durch das Fehlen derselben im Grundbuche eine Schädigung der Verkehrsinteressen nicht zu befürchten ist.

In denjenigen Kronländern, in welchen das Grundbuch mit dem Eintragungszwange für alle Servituten besteht, werden auch erfahrunsgemäß die wenigsten solcher Wegerechte intabuliert, dieselben werden ohne Verbücherung als im Verkehre notwendig respektiert, ein Zeichen, daß eine Notwendigkeit für die Intabulation dieser Dienstbarkeiten nicht besteht. Diese von jedermann wahrnehmbaren Rechte wurden bisher bei Besitzübergängen auch in Vorarlberg anerkannt und als selbstverständliche Lasten übernommen.

Schon die Ermittlung derselben zwecks Verbücherung muß naturgemäß zu manchen Rechtsstreiten Veranlassung geben.

Über Umfang und Inhalt dieser Servituten, die Dauer ihres rechtlichen Bestandes - wichtig für die Priorierung derselben gegenüber den Hypotheken - entstehen in vielen Fällen Zweifel und werden dadurch leicht Prozesse veranlaßt. Durch die bücherliche Eintragung und die erforderliche Beschreibung werden diese Servituten ein für allemal fixiert und wird dadurch die Möglichkeit einer Änderung derselben nach den Veränderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen der betreffenden Grundstücke wenn auch nicht ausgeschlossen so doch wesentlich erschwert, während ohne Eintragung derselben sich diese Servituten usuell den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen der Grundstücke anpassen und in ihrer so veränderten Form von den Beteiligten ohne Widerspruch hingenommen und anerkannt werden.

Da die Eintragung solcher Veränderungen in das Grundbuch sich sehr umständlich gestaltet und mit erheblichen Auslagen verbunden ist, so unterbleibt erfahrensgemäß deren Intabulation und es entsteht dadurch eine Divergenz zwischen dem tatsächlichen Zustande und dem Grundbuchsstand, was gerade durch den Verbücherungszwang vermieden werden wollte."

Die Erläuternden Bemerkungen der durch den Beschluß des Vorarlberger Landtages ausgelösten Regierungsvorlage zum Reichsgesetz (232 dB, Herrenhaus, XVII. Session 1904) führen aus:

"Bei dem ausgesprochenen Gebirgs- und Alpencharakter des Landes, von dessen Gesamtfläche etwa ein Viertel auf Wald entfällt, kommen nämlich Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten zu Gunsten landwirtschaftlicher Grundstücke in einer außerordentlich großen Zahl vor und sind bei den einzelnen Servitutsanlagen oder Servitutsrechten mit Rücksicht auf die Bodenzerstückelung oft ganze Reihen von dienstbaren und herrschenden Grundstücken beteiligt. Der Grundbuchsanlegungskommissär von Bregenz hat berichtet, daß in einzelen Gemeinden bis zu 80 parallel nebeneinander liegende Grundstreifen (Riemenparzellen) vorkommen, die von einem einzigen Feld- oder Interessenschaftsweg durchzogen werden und daß ähnliche Verhältnisse in anderen Gemeinden bei Servitutswaldwegen vorkommen, wo der Wald in kleine Parzellen zersplittert ist.

Die Schwierigkeiten, die bei der Feststellung dieser Rechtsverhältnisse im Grundbuchsanlegungsverfahren und bei deren Eintragung im Grundbuche auftreten, sind ganz außerordentlich und wurden in diesem Maße bei Schaffung des Grundbuchsanlegungsgesetzes nicht vermutet. Da jedes Recht nach den bestehenden Vorschriften im Grundbuche sowohl im Lastenblatte aller dienstbaren Grundstücke, als auch im Gutsbestandsblatte, II. Abteilung, aller herrschenden Güter eingetragen werden muß, macht ein einziger Servitutsweg der bezeichneten Art oft hunderte von Grundbuchseintragungen notwendig, die nicht nur eine Unsumme von Arbeit erfordern, sondern auch den Grundbuchsstand der betreffenden Realitäten in bedenklicher Weise zu verdunkeln geeignet sind. Zu einer ganz besonderen Erschwerung der Grundbuchsführung aber führen diese Eintragungen, wenn Änderungen im Gutsbestande beteiligter Realitäten, sei es durch Abtrennung einzelner Liegenschaften, sei es durch Teilung von Parzellen, durchgeführt werden sollen, wie nicht minder in jenen nicht seltenen Fällen, wo infolge geänderter Bedürfnisse, eingetretener Eigentumsänderungen oder Elementarereignisse die betreffenden Servituten an Ort und Art der Ausübung Veränderungen erleiden, die im Grundbuche zum Ausdrucke kommen müssen. Dabei ist zu befürchten, daß die eintretenden Komplikationen mitunter auch die Korrektheit der einschlägigen Eintragungen beeinträchtigen werden.

Nun aber besteht nach Ansicht des Vorarlberger Landtages, dem hierin maßgebende Bedeutung wohl nicht abgesprochen werden kann, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes und auf die Natur der fraglichen Felddienstbarkeiten kein Bedürfnis nach einer Ermittlung und grundbücherlichen Eintragung dieser Dienstbarkeiten. Denn es handelt sich hier um Grundbelastungen, die mit Rücksicht auf die bestehende Gemenglage des Grundbesitzes durch die wirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden Grundstücke notwendig bedingt sind und die als selbstverständlich ausgeübt werden, ohne die Ertragsfähigkeit der dienstbaren Liegenschaften zu beeinträchtigen, so daß sie gar nicht als Last empfunden werden und auch bei Besitzübergängen als mit dem Grundstück verbunden ohne weiteres anerkannt werden. Auch kann jedermann, der Grundbesitz erwerben will, sie ohne Schwierigkeiten wahrnehmen oder in Erfahrung bringen.

Hält man daran fest, daß zu den Felddienstbarkeiten nur jene gehören, die ein zur Landwirtschaft bestimmtes Grundstück als herrschendes Gut betreffen, so sind Servituten zu industriellen Zwecken oder zur Wasserversorgung für Städte und Ortschaften sowie Holzriesen, die dem Käufer eines Holzschlages behufs Bringung des gekauften Holzes eingeräumt werden, von vornherein ausgeschlossen; sie werden durch die vorliegende Aktion in keiner Weise berührt.

Vom Standpunkte des Realkredites endlich empfiehlt sich die Nichtaufnahme der in Rede stehenden Felddienstbarkeiten in das Grundbuch aus dem Grunde, weil durch die Überfüllung der Lastenblätter mit solchen den Wert des Grundstückes kaum schmälernden Servituten das wahre Bild der Belastung verwischt und dadurch der Realkredit des Eigentümers beeinträchtigt wird.

Wenn der Landesgesetzentwurf die Ermittlung der als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten im Grundbuchsanlegungsverfahren vollständig ausschließt, so geht er in mehrfacher Hinsicht weiter als das Tiroler Grundbuchsanlegungsgesetz vom 17. März 1897, L. G. Bl. Nr. 9, das eine ausnahmsweise Behandlung nur den als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wege- und Wasserleitungsrechten angedeiehn läßt und die Ermittlung dieser Servituten von Amts wegen nur dann ausschließt, wenn sie sich auf Ersitzung gründen, andernfalls aber die Ermittlung von dem einverständlichen Antrag der berechtigten und verpflichteten Parteien abhängig macht.

Für die Einbeziehung der Holzriesenservituten in den Gesetzentwurf macht der Vorarlberger Landtag den Umstand geltend, daß bei diesen Servituten in Vorarlberg ähnliche Verhältnisse bestehen wie bei den Wege- und Wasserleitungsservituten; hinsichtlich der übrigen Divergenzen aber ist zu bemerken, daß die weitaus größte Anzahl der in Rede stehenden Felddienstbarkeiten ohnehin auf Ersitzung beruht und daß nach dem Ergebnisse einer Umfrage bei den Tiroler Grundbuchsanlegungskommissionen dortselbst von der fakulativen Ermittlung und Verbücherung der ersessenen Feldservituten nur in den allerseltensten Fällen Gebrauch gemacht wird. Die vom Prinzipe des allgemeinen Rechtes sich weiter entfernende Sonderbestimmung des Vorarlberger Landesgesetzentwurfes erscheint demnach immerhin nicht als grundsätzlich unzulässig."

Diesen Ausführungen hat sich der Bericht der juridischen Kommission des Herrenhauses angeschlossen (238 dB). Das Herrenhaus hat den Antrag des Ausschusses ohne Debatte beschlossen (42. Sitzung am 29. April 1904).

Der Justizausschuß des Abgeordnetenhauses berichtete über den Beschluß des Herrenhauses nach Darstellung der Vorgeschichte und des Inhaltes nur mehr (2133 dB XVII. Session 1905):

"Auch der Justizausschuß ist der Ansicht, daß im gegebenen Falle hinlänglicher Anlaß vorliege, das beantragte partikuläre Recht für das Land Vorarlberg zu schaffen. In den erläuternden Bemerkungen zum Regierungsentwurfe und in dem Berichte der juridischen Kommission des Herrenhauses werden die Gründe, welche für die Exemtion der Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten von den allgemeinen grundbuchsrechtlichen Normen sprechen, so ausführlich und überzeugend dargelegt, daß eine Wiederholung hier entfallen kann.

Dagegen könnte man allerdings die Frage aufwerfen, weshalb man nicht in Vorarlberg denselben Weg wie in Tirol beschritt und die Ausnahmen vom allgemeinen Rechte auf jene die übergroße Mehrheit darstellenden Fälle beschränkte, in denen die betreffenden Servituten auf dem Rechtstitel der Ersitzung beruhen, weshalb man die Eintragung dieser Servituten nicht einmal über einhelligen Wunsch der beteiligten Parteien gestatten will. In dieser Hinsicht muß jedoch anerkannt werden, daß es eine Inkonvenienz wäre, wenn ein und dasselbe Recht, das mehreren Berechtigten zusteht, verschieden behandelt, zu Gunsten oder Lasten des einen eingetragen, zu Gunsten oder Lasten des andern nicht eingetragen würde. Hievon abgesehen, liegt bereits in Tirol die Erfahrung vor, daß die dort zulässige fakultative Eintragung von Wege- oder Wasserleitungsservituten nur sehr selten vorkommt."

Im Anschluß an die bereits wiedergegebene Einleitung des Berichterstatters Dr. von Grabmayr, kam es im Abgeordnetenhaus noch zu einer kurzen Debatte, in der die Berichtigung der Grundbücher in Galizien gefordert wurde, die "zur Karrikatur einer Übereinstimmung des Grundbuchsstands mit der wahren Rechtslage geworden" sei und der Abgeordnete Dr. Ofner die Durchbrechung der Rechtseinheit bedauerte und den Wunsch äußerte, für diese Realservituten andere, den Wasserbüchern entsprechende Bücher anzulegen, die auch die Grundlage für eine spätere Aufnahme in das Grundbuch bilden könnten. Der Berichterstatter griff diese Anregung aber nicht auf und das Gesetz wurde unverändert angenommen.

Die entsprechende Änderung des Vorarlberger GrundbuchsanlegungsG (§23 Abs1 Z4 ) erfolgte mit Landesgesetz vom 24. Februar 1905, LGBl. 11.

3. Der VfGH hat stets betont, daß die Sachlichkeit einer Regelung nicht an den Verhältnissen im Zeitpunkt ihrer Entstehung zu messen ist, sondern daß es auf den Zeitpunkt der Entscheidung bzw. der Verwirklichung des Sachverhaltes ankommt, auf den sie angewendet werden soll (VfSlg. 5854/1968 Boden-Credit-AnstaltsG; 7330/1974 GSPVG-Ausnahme; 8871/1980 Witwerpension, 9524/1982 Blinde Trafikanten, 9583/1982 Inflations-Scheingewinn, VfSlg. 11048/1986 Tierkörperverwertung und 11632/1988, Süßstoffe als Zusatzstoffe). Es ist daher nicht entscheidend, ob im Jahre 1905 Gründe für die in Rede stehenden Ausnahmebestimmungen bestanden haben. Auch eine Änderung der seinerzeit maßgeblichen Verhältnisse muß noch nicht zur Gleichheitswidrigkeit der Regelung führen. Es ist vielmehr unabhängig von der Motivation des Gesetzgebers zu prüfen, ob die besondere Behandlung von Liegenschaften in Vorarlberg derzeit als unsachlich gewertet werden muß.

Das ist aus folgenden Gründen nicht der Fall:

a) Zunächst ist in Betracht zu ziehen, daß es sich um eine besondere Vorschrift für ein ganzes Bundesland handelt. Zwar schließt der bundesstaatliche Aufbau der Republik nur in Angelegenheiten, die in die Kompetenz der Länder fallen, einen Vergleich der einzelnen Regelungen unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes überhaupt aus (so ansatzweise schon in VfSlg. 1462/1932, dann VfSlg. 6755/1972 Wr. Dienstgeberabgabe; 7038/1973 Straßenverwaltung, 8161/1977 Kleinwohnungsbau-Gebührenbefreiung, S 258; 8247/1978 Vorstellungseinbringung; 9116/1981 Grazer Dienst- und Gehaltsordnung; und 9804/1983 Getränkesteuer) und der Bundesgesetzgeber darf länderweise unterschiedliche Regelungen abgesehen von anderen Schranken - nur treffen, wenn sie auf Unterschieden im Tatsächlichen beruhen. Je enger aber eine bundesgesetzliche Regelung mit Angelegenheiten der Länder zusammenhängt, desto eher kann dieser Zusammenhang auch eine länderweise Verschiedenheit der Regelung rechtfertigen. Das gilt insbesondere dort, wo der Bundesgesetzgeber an landesrechtliche Regelungen anknüpft (VfSlg. 3516/1959 und 8152/1977 Grunderwerbsteuerbefreiung, 8161/1977 Kleinwohnungs-Gebührenbefreiung; vgl. auch 10715/1985 WohnungseigentumsG). Aber auch unterschiedliche tatsächliche Verhältnisse in den einzelnen Ländern sind umso eher ein tauglicher Grund für Differenzierungen des Bundesgesetzgebers, je enger sie mit Angelegenheiten verbunden sind, deren Regelung den Ländern zusteht. Die Dezemberverfassung 1867 hatte die Gesetzgebung über die innere Einrichtung der öffentlichen Bücher als zur "Landeskultur" (§18 Abs1 Z1 der Landesordnungen des Februarpatents, RGBl. 20/1861) gehörig den Ländern überlassen (Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze2, 1911, 417). Wenngleich diese Angelegenheit seit der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung als Teil des Zivilrechtswesens (Art10 Abs1 Z6 B-VG) Bundessache ist (vgl. schon Bernatzik aaO), läßt sich doch auch weiterhin nicht leugnen, daß die Einrichtung des Grundbuchs vielfältige Bezüge zur "Landeskultur" aufweist (vgl. VfSlg. 11141/1986, Tiroler Teilungsbeschränkungen) und daher auch die hier in Rede stehende zivilrechtliche Frage der Aufnahme bestimmter Felddienstbarkeiten ins Grundbuch mit nach Art15 B-VG den Ländern verbliebenen Angelegenheiten zusammenhängt.

Dieser Zusammenhang ist sogar besonders deutlich, weil insgesamt Dienstbarkeiten in Rede stehen, die landwirtschaftlich genutzten Grundstücken dienen. Feld- und Hausservituten unterscheiden sich nach §474 ABGB darin, daß das herrschende Gut "zur Landwirtschaft oder zu einem anderen Gebrauche bestimmt" ist; §475 zählt jene Servituten auf, die "gewöhnlich" Hausservituten sind (aber auch Feldservituten sein können), §477 jene, die "vorzüglich" als Felddienstbarkeiten (gelegentlich aber auch als Hausservituten) vorkommen. Als Felddienstbarkeiten stellen sich Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten folglich dar, wenn sie einem der "Landwirtschaft" gewidmeten Grundstück dienen. Mit diesem Befund aus Wortlaut und System des Gesetzes stimmt auch die klare Absicht des Gesetzgebers überein: Die oben wiedergegebenen Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage führen nur die Häufigkeit von Servituten "zugunsten landwirt- schaftlicher Grundstücke" ins Treffen und halten ausdrücklich fest, "daß zu den Felddienstbarkeiten nur jene gehören, die ein zur Landwirtschaft bestimmtes Grundstück als herrschendes Gut betreffen", sodaß "Servituten zu industriellen Zwecken oder zur Wasserversorgung für Städte und Ortschaften sowie Holzriesen, die dem Käufer eines Holzschlages behufs Bringung des gekauften Holzes eingeräumt werden, von vornherein ausgeschlossen" seien und "durch die vorliegende Aktion in keiner Weise berührt" würden.

Der VfGH verkennt nicht, daß die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (insbesondere SZ 56/60 = JBl. 1983, 646 Wohnsiedlungsgebiet) darüber hinausgeht. In erster Linie geht es aber doch um Rechte, die jenen in den Bodenreformgesetzen vorgesehenen Bringungsrechten zur besseren Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Grundstücke gleichen, die nach Schrifttum (Klang, Kommentar zum ABGB2 II, 155 iVm 161f) und Rechtsprechung (SZ 35/86) nicht von ihrer Eintragung im Grundbuch abhängen (so auch ausdrücklich die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum Güter- und Seilwege-GrundsatzG 1967, 461 dB,

11. GP, 6) und deren Regelung schon vor der Schaffung des ersten allgemeinen Güter- und Seilwege-GrundsatzG, BGBl. 259/1932, in einem nur für Tirol und Vorarlberg geltenden Grundsatzgesetz, BGBl. 201/1926, gemäß Art12 B-VG den Ländern zur Ausführungsgesetzgebung überlassen wurde. Das Güter- und Seilwege-GrundsatzG 1967, BGBl. 198, gestattet ausdrücklich die Regelung oder Aufhebung von Felddienstbarkeiten ohne Rücksicht auf den Rechtstitel ihrer Entstehung, wenn sie durch die Einräumung eines Bringungsrechtes teilweise oder ganz entbehrlich werden (§10). Es handelt sich mithin bei der bücherlichen Behandlung von Felddienstbarkeiten um eine Frage, die besonders eng mit Angelegenheiten zusammenhängt, die in den Ländern verschieden geregelt sein können.

b) Welche Unterschiede eine differenzierende Reglung rechtfertigen, hängt allerdings auch von dem Gewicht der angeordneten (unterschiedlichen) Rechtsfolgen ab (vgl. VfSlg. 8871/1980 Witwerpension, 9995/1984 Geschiedenenversorgung). Der Gerichtshof meint, daß die Rechtsfolgen hier keine hohen Anforderungen stellen. Ob gewisse Felddienstbarkeiten dem Eintragungsgrundsatz unterliegen und die Erwerber von Liegenschaften sich mit dem Blick in das öffentliche Buch begnügen können sollen, ist nämlich bloß eine Frage der zweckmäßigen Gestaltung des Liegenschaftsrechts. Der Möglichkeit, alle dinglichen Rechte an Liegenschaften diesem Grundsatz zu unterwerfen, kommt aus der Sicht des Gleichheitssatzes kein Vorrang vor einer Regelung zu, die zwischen verschiedenen Arten von dinglichen Rechten unterscheidet. Auch unter dem Blickwinkel der allfälligen Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Personengruppen ist die Möglichkeit und Notwendigkeit der Eintragung bestimmter Arten von Rechten in die öffentlichen Bücher neutral und mehr eine technische Frage der Ordnung im Interesse der Allgemeinheit; Vor- und Nachteile für die Betroffenen halten einander die Waage.

c) Erst unter diesen besonderen Umständen ist für die Sachlichkeit der Regelung entscheidend, daß sie nur den seit jeher in Vorarlberg bestehenden besonderen Rechtszustand beibehält. Jedenfalls für die als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten galt gerade in Vorarlberg niemals das Eintragungsprinzip. Die Grundbuchsanlegung unter Außerachtlassung der in Rede stehenden Dienstbarkeiten hat so eine Lage geschaffen, die auch den Weiterbestand der Sonderregelung vor dem Gleichheitssatz bestehen läßt. Es mag sein, daß die Ausnahme heute nicht mehr nötig ist, die Gründe für die Einführung des Eintragungszwanges inzwischen überwiegen und die Beseitigung der Sonderbehandlung angezeigt ist. Aber das ist keine vom VfGH zu beantwortende Frage, sondern die Aufgabe des Gesetzgebers: Der Fortbestand der angegriffenen Regelung ist keine verfassungsrechtliche, sondern eine Zweckmäßigkeitsfrage.

Der Antrag ist daher abzuweisen.

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