VfGH B5/88

VfGHB5/8826.9.1988

ZDG; keine Darlegung schwerer Gewissensnot; Ablehnung des Antrages auf Befreiung von der Wehrpflicht wegen Fehlens der materiellen Voraussetzungen, Unerheblichkeit von Verfahrensfehlern; keine Verletzung im durch §2 Abs1 gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Normen

ZivildienstG §2 Abs1
ZivildienstG §2 Abs1

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDOK) wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 24. September 1987 unter Bezugnahme auf §2 Abs1 und §6 Abs2 des Zivildienstgesetzes 1986, BGBl. 679, (im folgenden: ZDG) den Antrag des Bf. ab, ihn zwecks Zivildienstleistung von der Wehrpflicht zu befreien. Sie begründete ihren abweisenden Bescheid im wesentlichen folgendermaßen:

"Der Antragsteller und nunmehrige Berufungswerber hat im wesentlichen folgendes vorgebracht:

Im Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht vom 17.3.1987 wies er auf die gewaltfreie Erziehung, seine Tätigkeit bei Amnesty International und sein Medizinstudium hin. Daraus resultiere seine Abneigung gegen jede Form der Gewaltanwendung und sein Bemühen, nicht zum Töten anderer Menschen ausgebildet zu werden. Geprägt in diesem Sinne habe ihn auch sein ehemaliger Religionslehrer mit seiner Haltung zum offiziellen Standpunkt der Kirche in der Frage der Waffendienstleistung.

In der mündlichen Verhandlung vor der Zivildienstkommission am 22.5.1987 ergänzte der Antragsteller, daß er in keiner Form, auch nicht als Angehöriger der Sanität, mit dem Militär zu tun haben wolle und im übrigen in keiner Weise an die Sinnhaftigkeit einer militärischen Verteidigung glaube. Abgesehen davon sei es ihm persönlich vollkommen unmöglich, an einer militärischen Verteidigung teilzunehmen. Als Beispiel für gewaltlosen Widerstand nannte er die CSSR im Jahre 1968.

In der Berufung vom 24.7.1987 setzte sich P E mit einzelnen Passagen des abweisenden erstinstanzlichen Bescheides auseinander und stellte sodann fest, daß er aus den im Verfahren bereits dargelegten Gründen notwendigerweise bei Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot käme. Die Anwendung von Waffengewalt stünde für ihn in absolutem Gegensatz zu seiner dargelegten Haltung und seiner gesamten Lebensführung. Er erziehe auch seine Kinder nach gewaltfreien Grundsätzen und führte seine Lebensgefährtin C S als Zeugin dafür an, daß seine ablehnende Haltung gegenüber Gewalt in seiner täglichen Lebensgestaltung Ausdruck finde und ihn bei Ableistung des Präsenzdienstes in schwere Gewissensnot brächte.

In der mündlichen Verhandlung vor der Zivildienstoberkommission am 24.9.1987 ergänzte der Berufungswerber weiters, daß seine Gewissensentscheidung das Ergebnis eines längeren Entwicklungsprozesses sei. Er erwähnte in diesem Zusammenhang den Einfluß des Elternhauses, seines Religionsprofessors und der Tätigkeit bei Amnesty International seit dem Jahre 1979. Gewalt sei kein Mittel zur Konfliktlösung. Er lehne den Einsatz des Bundesheeres zu Verteidigungszwecken ab. Gebäude könnten wieder aufgebaut, getötete Menschen aber nicht mehr lebendig gemacht werden. Der Einsatz des Bundesheeres sei für ihn, unabhängig vom Ausgang eines Krieges, sinnlos, weil er Menschenleben koste. In einem Ernstfall werde er den Kriegsschauplatz meiden und sich um seine Kindern kümmern. Er könne sich bemühen, mit dem Feind nicht zu kollaborieren und ihn zu behindern. Eine Tätigkeit im Rahmen des Sanitätsdienstes des Bundesheeres käme für ihn ebenfalls nicht in Frage, weil die Sanität genauso eine Grundbedingung für den Krieg wie Waffen oder Verpflegung sei. Die in der Berufung genannte Zeugin könne bestätigen, wie er mit seinen Kindern umgehe.

K K bestätigte als Vertrauensperson die gewaltlose Einstellung des Berufungswerbers. Dieser erziehe seine Kinder gewaltfrei und sei ein entschiedener Gegner des Gewaltsystems.

Die Berufung ist nicht begründet.

Soweit in den Darlegungen des Berufungswerbers die Behauptung schwerwiegender Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes (§2 Abs1 ZDG) erblickt werden kann, ist es ihm nicht gelungen, diese Gründe auch glaubhaft zu machen (§6 Abs2 ZDG). P E wirkte auf den Berufungssenat, der über reiche Vergleichsmöglichkeiten verfügt, nicht wie ein Mensch, der eine auf gründlichen eigenständigen Überlegungen beruhende gefestigte innere Überzeugung wiedergibt und auf der Basis grundsätzlicher und vorbehaltloser Ablehnung von Waffengewalt gegen Menschen im Fall der Wehrdienstleistung tatsächlich in schwere Gewissensnot geriete. Es ist dem Berufungswerber zwar nicht abzusprechen, daß er offensichtlich durch Erziehung, Kontakt mit anderen Personen und eigenständige gedankliche Befassung eine gewisse natürliche Abneigung gegen den Krieg sowie die Anwendung von Waffengewalt im Laufe der Zeit gewonnen hat und ihm daher auch die Ableistung des Wehrdienstes belastend erscheint. Die Zivildienstoberkommission konnte jedoch nicht den Eindruck gewinnen, daß sich der Berufungswerber dermaßen mit seinen Darlegungen identifiziert, daß im Fall der Wehrdienstleistung bei ihm eine schwere Gewissensnot zu befürchten wäre. Bei allen seinen, vor allem auch von Sinn- und Zweckmäßigkeitserwägungen beeinflußten Überlegungen trägt er der speziellen Situation Österreichs - bewaffnete Verteidigung der Neutralität - nicht Rechnung. Seine Vorstellungen bezüglich alternativer Verteidigungsformen zeigen, daß er nur oberflächlich angeeignete Informationen referiert. Keinerlei konkrete Vorstellungen hat er auch darüber, auf welche Weise er persönlich einen Beitrag im Falle einer existentiellen Bedrohung Österreichs leisten könnte. Nicht unerwähnt kann auch bleiben, daß der Berufungswerber, ohne damit - nach seiner Behauptung - konkrete Erscheinungen im Rahmen des österreichischen Bundesheeres beschreiben oder kritisieren zu wollen, mit dem Begriff 'Heer' unter anderem die Begriffe Befehlshierarchie, entwürdigend, undemokratisch etc. verbindet.

In freier Würdigung der Person des Antragstellers, der Art seines Vorbringens und des Inhalts seiner Argumente ist es P E somit nicht gelungen, glaubhaft zu machen, daß das von ihm verbal Vorgebrachte tatsächlich der dem Gesetz vorschwebenden besonderen Gewissenslage entspricht und er sonach im Fall der Anwendung von Waffengewalt wirklich in schwere Gewissensnot geraten könnte.

Die Aussage seiner Vertrauensperson, seine gewaltfreie Erziehung, die von ihm bei der Erziehung seiner eigenen Kinder angewendeten Grundsätze, das von ihm gewählte Medizinstudium und seine Tätigkeit bei Amnesty International wurden bei der Gesamtwürdigung des Vorbringens mit in Rechnung gestellt, waren jedoch in Anbetracht des persönlichen Eindrucks des Berufungswerbers nicht geeignet, zu einer anderen Sachentscheidung zu führen.

Die Einvernahme der in der Berufung erwähnten Zeugin C S war entbehrlich, weil die von ihr zu bekundenden Umstände (gewaltfreie Erziehung und gewaltfreier Umgang des Berufungswerbers mit seinen Kindern) ohnehin als erwiesen angenommen wurden.

Mangels der materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte mithin der unbegründeten Berufung der Erfolg versagt werden."

2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Bf. die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt eine Verletzung des in §2 Abs1 ZDG gewährleisteten

Grundrechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 10379/1985).

Die gesamten Ausführungen des Bf. in seinem Antrag, der Verhandlung vor der Zivildienstkommission, seiner Berufung und der Verhandlung vor der Zivildienstoberkommission tun nur dar, weshalb er das Töten von Menschen, Krieg und militärischen Waffengebrauch überhaupt ablehnt, enthalten aber keine Darlegungen darüber, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Der VfGH hält es aus der Sicht dieses Falles nicht für erforderlich, auf die vom Bf. aufgeworfene Frage einzugehen, ob bereits das Geltendmachen eines Gewissensgrundes notwendig die Behauptung in sich schließt, daß der Zivildienstwerber bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geriete; die Ausgangsposition dieser Argumentation, der Bf. habe im Verfahren vor den Zivildienstbehörden seine gefestigte Überzeugung dargetan, daß das menschliche Leben schlechthin unantastbar sei, trifft nämlich nicht zu. Bei der gegebenen Sachlage war die Behörde schon auf dem Boden der Behauptungen des Bf. gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG zu verweigern. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber schon in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es auch unerheblich, ob die bel. Beh. ihren Bescheid etwa unrichtig begründet hat oder ob ihr irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind (VfSlg. 10257/1984).

2. Im Beschwerdeverfahren kam auch nicht hervor, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre oder daß eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm stattgefunden habe.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

3. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

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