VfGH G73/86

VfGHG73/8614.10.1987

Individualantrag auf Aufhebung des §209 StGB (gleichgeschlechtliche Unzucht mit Jugendlichen); keine aktuelle Beeinträchtigung der Rechtssphäre des (homosexuellen) Bf.; wegen schon erlittener strafgerichtlicher Verurteilung verstäßt Antrag auch gegen den Grundsatz der Subsidiarität des Rechtsbehelfes; Mangel der Antragslegitimation

Normen

B-VG Art89 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGB §209
B-VG Art89 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGB §209

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Der Einschreiter begehrt mit dem auf Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag, §209 des Strafgesetzbuches, BGBl. 60/1974, als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Bestimmung - samt Überschrift - hat folgenden Wortlaut:

"Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Jugendlichen

§209. Eine Person männlichen Geschlechtes, die nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mit einer jugendlichen Person gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen."

Zur Legitimation bringt der (dem Jahrgang 1932 angehörende) Antragsteller im wesentlichen vor, daß er homosexuell sei und dementsprechend gelebt habe. Er sei mehrmals wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht mit Jugendlichen verurteilt worden, zuletzt im Jahre 1983 zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe. Er müsse "bei jedem Kontakt" befürchten, gegen §209 StGB zu verstoßen, auch sei er Erpressungen ausgesetzt. Die angefochtene Gesetzesvorschrift hält der Einschreiter (mit näherer Begründung) unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes deshalb für verfassungswidrig, weil sie einerseits geschlechtsspezifisch (nämlich zwischen gleichgeschlechtlicher Unzucht bei Männern und bei Frauen) und andererseits zwischen Heterosexualität und Homosexualität unterscheide.

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Antragsberechtigung bestreitet und die Bedenken zu entkräften sucht; sie begehrt die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung des Individualantrages.

II. Der Antrag ist nicht zulässig.

1. Zur Antragslegitimation verweist der VfGH auf seine ständige, etwa im Beschluß VfSlg. 10511/1985 im einzelnen dargestellte Rechtsprechung, an der er auch im vorliegenden Prüfungsfall festhält. Aus ihr ist hervorzuheben, daß die Anfechtungsbefugnis eines Normadressaten ausschließlich dann gegeben ist, wenn das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift; ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung steht.

Daß die angefochtene Strafvorschrift in die Rechtssphäre des Einschreiters eingreift, der sich zu einer homosexuellen Lebensführung bekennt, bedarf nach Ansicht des VfGH keiner näheren Begründung. Es genügt dazu der Hinweis auf die hier sinngemäß zutreffenden Entscheidungsgründe des Erk. VfSlg. 8272/1978, denen zufolge das nicht öffentlich in Erscheinung tretende Sexualverhalten zur Privatsphäre des Menschen im Sinne des Art8 MRK zählt und nach Maßgabe dieser Konventionsbestimmung Anspruch auf Achtung dieser Sphäre besteht. Der vorliegende Antrag tut aber nicht dar, daß der Antragsteller in seinen rechtlich geschützten Interessen aktuell beeinträchtigt ist. Der hier relevante Teil des Antragsvorbringens besteht seinem sachlichen Gehalt nach darin, daß die bekämpfte Strafnorm dem Antragsteller im Rahmen seiner homosexuellen Lebensführung Sexualkontakte mit männlichen Jugendlichen verwehrt. Mit dieser allgemeinen, ohne Anführung irgendwelcher gegenwartsbezogener Lebensumstände aufgestellten Behauptung tut der Einschreiter aber bloß dar, daß ihn die angegriffene Gesetzesvorschrift potentiell beeinträchtigt; eine aktuelle Beeinträchtigung seiner Rechtssphäre ist seinen Ausführungen hingegen nicht zu entnehmen, zumal aus seinem eigenen Vorbringen mit zureichender Deutlichkeit hervorgeht, daß seine homosexuellen Kontakte bisher keineswegs auf Jugendliche beschränkt waren und eine solche Beschränkung auch für die Zukunft tendenziell nicht vorliegt.

Die Antragsberechtigung des Einschreiters wäre aber auch noch aus einem anderen Grund zu verneinen. Der VfGH hat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß dem Individualantrag (auf Gesetzes- oder Verordnungsprüfung) der Charakter eines subsidiären Rechtsbehelfs zukommt, was im allgemeinen eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gegen die behaupteterweise - rechtswidrige Vorschrift ausschließt (zB VfSlg. 10251/1984). Der Sache nach läge eine derartige zweigleisige Rechtsverfolgung auch dann vor, wenn das Möglichkeit zur Kritik an der generellen Rechtsnorm und zur Anregung amtswegiger Antragstellung auf Normenprüfung an den VfGH bietende Verfahren zwar bereits abgeschlossen ist, der gegen die angefochtene Norm erhobene Vorwurf sich der Zielrichtung nach jedoch nicht gegen künftige Wirkungen der Rechtsvorschrift, sondern gegen ihre für den Antragsteller nachteilige Anwendung im bereits abgeschlossenen Verfahren richtet. Eine derartige Situation liegt nach Ansicht des VfGH hier vor, weil die vom Einschreiter selbst erwähnte, im Jahre 1983 erlittene strafgerichtliche Verurteilung nicht allzulange zurückliegt und in diesem Zusammenhang auch die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten zu berücksichtigen ist. Im übrigen verweist der Gerichtshof hiezu auf seine Beschlüsse G184/86 und G185/86, je vom 19. März 1987, die auf gleichen Erwägungen beruhen.

2. Der Antrag war sohin wegen mangelnder Legitimation zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung beschlossen wurde.

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