Normen
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
BGBlG 1972 §2 Abs1 litf
EStG §4 Abs1
EStG §23a
Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 04.05.77 über die steuerliche Zurechnung von Verlusten bei Kommanditgesellschaften
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
BGBlG 1972 §2 Abs1 litf
EStG §4 Abs1
EStG §23a
Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 04.05.77 über die steuerliche Zurechnung von Verlusten bei Kommanditgesellschaften
Spruch:
Der Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 4. Mai 1977, Z 061301/2-IV/6/77, über die steuerliche Zurechnung von Verlusten bei Kommanditgesellschaften, AÖFV 158, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Erlaß ist nicht mehr anzuwenden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Beim VfGH ist zu B157/80 die Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Jahre 1976 und 1977 anhängig, der den auf Kommanditisten entfallenden, deren Einlage aber übersteigenden Teil des Verlustes der bf. KG deren Komplementärin - einer GesmbH - zuweist. Einem negativen Kapitalkonto könnten Verluste nicht zugerechnet werden.
Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der VfGH das Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Erlasses des Bundesministers für Finanzen vom 4. Mai 1977, AÖFV 158, über die steuerliche Zurechnung von Verlusten bei KG eingeleitet. Er hat vorläufig angenommen, daß dieser in seiner Diktion durchaus imperative und mit keinem Vorbehalt bloßer Kundgabe einer Rechtsmeinung versehene Erlaß nicht eine unverbindliche Orientierung nachgeordneter Organe über die Rechtslage, sondern ein normativer - genereller - Akt ist, der die Rechtslage für die Allgemeinheit, insbesondere für die Steuerpflichtigen, bindend gestaltet, und das Bedenken geäußert, daß es sich um eine RechtsV handle, die nicht im BGBl. kundgemacht wurde und deshalb gesetzwidrig sei.
Der Bundesminister für Finanzen stellt den bindenden Charakter des Erlasses in Abrede und sieht darin nur eine Information der nachgeordneten Abgabenbehörden.
II. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist zulässig. Die Bedenken des VfGH sind auch begründet. Der in Prüfung gezogene Erlaß ist gesetzwidrig.
1. Das Verfahren hat keine Zweifel an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde ergeben. Der Erlaß ist eine RechtsV und daher im Beschwerdeverfahren anzuwenden.
a) Der Erlaß führt nach einleitenden Darlegungen über die zunehmende Häufigkeit von KG in der Sonderform der GesmbH & Co KG zur Sache folgendes aus:
"Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß trotz der handelsrechtlichen Haftungsbeschränkung des Kommanditisten bei dessen Ausscheiden mit negativem Kapitalkonto in jedem Fall insoweit ein Veräußerungsgewinn entsteht, als von den verbleibenden Gesellschaftern stille Reserven übernommen werden ..." (wird ausgeführt).
... "Die Berücksichtigung von Verlusten, die jedoch zu keinem Zeitpunkt geeignet sind, die Vermögenssphäre eines Steuerpflichtigen zu berühren, erscheint mit dem Gewinnermittlungssystem des Vermögensvergleiches unvereinbar. Daran ändert auch das fallweise in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument nichts, wonach der Kommanditist insoweit auch wirtschaftlich an Verlusten beteiligt sei, als er gemäß §169 HGB die Auszahlung eines (künftigen) Gewinnanteiles nicht fordern kann, 'solange sein Kapitalanteil durch Verluste unter den auf die bedungene Einlage geleisteten Betrag herabgemindert werden würde'. Der Umstand, daß künftige Gewinnanteile im Hinblick auf ein negatives Kapitalkonto nicht zur Auszahlung gelangen, führt nämlich lediglich dazu, daß auch hinsichtlich solcher Gewinnanteile beim Kommanditisten keine Vermögensvermehrung unterstellt werden kann. Solange daher die bedungene Kommanditeinlage durch Verluste herabgemindert ist, sind sowohl Verlust- als auch Gewinnanteile des Kommanditisten steuerlich dem Komplementär zuzurechnen. Das gilt auch für etwaige durch Realisierung stiller Reserven steuerlich entstehende Veräußerungsgewinne eines mit negativem Kapitalkonto ausscheidenden Kommanditisten.
Diese vom Handelsrecht abweichende Ergebnisverteilung kann auch bei positivem Kapitalkonto des Kommanditisten vorzunehmen sein, soweit dieses etwa auf frühere, stehengelassene Gewinne zurückzuführen ist. Andererseits kann aber dem Kommanditisten auch bei negativem Kapitalkonto steuerlich insoweit ein Verlustanteil zugerechnet werden, als für ihn eine handelsrechtliche Haftung über seine bedungene Einlage hinaus besteht, was gemäß §172 Abs4 HGB der Fall ist, soweit ein Kommanditist Entnahmen tätigt, während sein Kapitalanteil durch Verlust unter den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert ist, oder soweit durch die Entnahme der Kapitalanteil unter diesen Betrag herabgemindert wird. Weiters ist zu beachten, daß
..."
b) Der Bundesminister für Finanzen begegnet den Bedenken des VfGH folgendermaßen:
"Der in Prüfung gezogene Erlaß enthält zunächst keinen allgemeinen Hinweis (wie zB 'es wird angeordnet' uä.) in der Richtung, daß seine Ausführungen gegenüber den dem Bundesministerium für Finanzen nachgeordneten Abgabenbehörden bindende Wirkung haben. Er gibt vielmehr in informativer Form eine allgemeine Entwicklung des Wirtschaftslebens wieder. Im Anschluß daran werden die steuerlichen Konsequenzen, die mit dieser Entwicklung verbunden sind, dargestellt. Diese Ausführungen sind zwar rein sprachlich in imperativer Form gehalten, es findet sich aber wiederum kein ausdrücklicher Hinweis, daß die nachgeordneten Behörden bei sonstiger disziplinärer Verantwortlichkeit daran gebunden wären. Insbesondere fehlen jegliche auf einen normativen Inhalt des Erlasses hinweisenden Formulierungen, wie sie den VfGH in der Vergangenheit veranlaßt haben, Erlässe als Rechtsverordnung einzustufen (vgl. dazu zB 1972/6946; 1980/8807)."
Diese Ausführungen können den VfGH nicht überzeugen. Ist der Erlaß nämlich in der Diktion imperativ gehalten - und das räumt der Bundesminister für Finanzen selbst ein -, so bedarf es zu seiner Verbindlichkeit keiner besonderen Anordnung. Es müßte im Gegenteil ausdrücklich klargestellt sein, daß es sich um eine unverbindliche Rechtsmeinung handelt, die den Adressaten bloß zur Überlegung gestellt wird. Eine solche Klarstellung fehlt.
c) Die Annahme, daß der Erlaß die Rechtslage ändert und den Behörden nicht nur das gesetzmäßige Verhalten zur Pflicht macht, hat der VfGH im Einleitungsbeschluß so begründet:
"Auch wenn er nämlich im Gesetz Deckung finden mag - und der VfGH hat in dieser Richtung vorläufig keine Bedenken -, scheinen die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere §4 Abs1 EStG, so allgemein formuliert zu sein und der Behörde einen so großen Beurteilungsspielraum zu lassen, daß eine derart präzise Anordnung für eine bestimmte Art wirtschaftlicher Erscheinungen bereits als neue Gestaltung der Rechtslage angesehen werden muß."
Der Bundesminister für Finanzen ist der Auffassung, daß sich die Aussagen des Erlasses bereits unmittelbar und eindeutig aus den Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes ableiten lassen:
"... Im Erlaß wird lediglich ein tragender Grundsatz des Einkommensteuerrechtes, nämlich jener der Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, besonders herausgestrichen. Es sollte damit deutlich gemacht werden, daß ein Verlust, der die Vermögenssphäre eines Steuerpflichtigen aufgrund besonderer Haftungssituationen unberührt läßt, im Einkommen des betreffenden Steuerpflichtigen keine Berücksichtigung findet. Daß sich diese Schlußfolgerung unmittelbar und eindeutig aus den gesetzlichen Bestimmungen ergeben und die Aussagen des Erlasses bloß informativen Charakter haben, zeigen auch folgende Umstände auf:
Der VwGH kam im Erkenntnis vom 15. April 1980, Z 1661/79 zu genau demselben Ergebnis, wie der in Prüfung genommene Erlaß; in der Begründung des Erkenntnisses hat der VwGH mit dem Erlaßinhalt übereinstimmende Grundgedanken vertreten. Darüber hinaus hat aber der Gesetzgeber selbst den maßgeblichen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes offenkundig genau jenen Gehalt beigemessen, den das Bundesministerium für Finanzen in dem in Prüfung gezogenen Erlaß den nachgeordneten Behörden mitgeteilt hat. Dies zeigt die bei Einführung des §23a EStG 1972 getroffene Übergangsregelung (Abschnitt I ArtII AbgÄG 1981, BGBl. Nr. 620). Die Übergangsregelung lautet:
'Soweit Verluste eines Kommanditisten oder eines Gesellschafters im Sinne des §23a Abs3 vor Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes einem anderen Gesellschafter zugerechnet worden sind, gilt folgendes:
Bis zum Betrag der dem anderen Gesellschafter zugerechneten Verluste sind in späteren Wirtschaftsjahren Gewinne des Kommanditisten oder des Gesellschafters im Sinne des §23a Abs3 aufgrund der Beteiligung an der Gesellschaft dem anderen Gesellschafter zuzurechnen.'
Wie die vorstehende Textierung zeigt, ging der Gesetzgeber ebenfalls davon aus, daß Verluste eines Kommanditisten in bestimmten Fällen einem anderen Gesellschafter zuzurechnen sind. Damit wird der Inhalt des in Prüfung gezogenen Erlasses indirekt auch durch den Gesetzgeber bestätigt, zumal eine Zurechnung des Verlustes eines Kommanditisten an andere Gesellschafter grundsätzlich nur unter den im Erlaß angeführten Voraussetzungen denkbar ist. Auch der VfGH räumt ein, daß er gegen die gesetzliche Deckung des Erlasses vorläufig keine Bedenken hat. Andererseits zeigt die Formulierung der Übergangsbestimmungen 'nur zugerechnet worden sind' (und nicht etwa '... zuzurechnen waren'), daß auch der Gesetzgeber das Vorliegen von Fällen unterstellt hat, in denen Verluste entgegen der Rechtsmeinung des in Prüfung gezogenen Erlasses weiter den Kommanditisten und nicht dem Komplementär zugerechnet wurden."
Der Erlaß räumt jedoch selbst ein, daß andere Meinungen vertreten werden. Leitet er doch den einschlägigen Teil mit folgenden Erwägungen ein:
"... Die in diesem Zusammenhang häufig vertretene Auffassung, daß der Kommanditist trotzdem am laufenden Verlust teilnimmt und daß seine Haftung nur bezüglich des endgültigen Verlustes mit seiner Einlage begrenzt sei, widerspricht ho. Erachtens dem Grundgedanken und dem System des einkommensteuerlichen Gewinnbegriffes, der gemäß §4 Abs1 EStG grundsätzlich auf einem Vermögensvergleich basiert. Die steuerliche Anerkennung eines Verlustes (Verlustanteiles) setzt sohin eine bereits tatsächlich eingetretene oder zumindest eine zeitlich vorweggenommene, künftighin aber tatsächlich zu erwartende Vermögensminderung (Buchverlust) voraus. ..."
Die vom Bundesminister für Finanzen angestellten Überlegungen können die vorläufige Annahme des VfGH, §4 Abs1 EStG sei so allgemein formuliert und lasse der Behörde einen so großen Beurteilungsspielraum, daß eine derart präzise Anordnung für eine bestimmte Art wirtschaftlicher Erscheinungen bereits als neue Gestaltung der Rechtslage angesehen werden müsse, nicht widerlegen. Die Behandlung der Kommanditisten wirft besonders schwierige Fragen auf. Daß es der Gesetzgeber in der Zwischenzeit für notwendig erachtet hat, die in Rede stehende Frage in einem durch das AbgÄG 1981, BGBl. 620, dem EStG eingefügten §23a einer besonderen Regelung zuzuführen, zeigt deutlich, daß sie einer solchen näheren Regelung zugänglich war.
Es handelt sich also um eine RechtsV.
2. Die V ist entgegen dem Gebot des §2 Abs1 litf des BG über das Bundesgesetzblatt, BGBl. 293/1972, nicht im BGBl. kundgemacht worden.
Sie ist daher aufzuheben.
Da dieser Mangel offenkundig die ganze V erfaßt (Art139 Abs3 litc B-VG), hat sich eine nähere Untersuchung zur Abgrenzung präjudizieller Teile erübrigt.
Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art139 Abs5 und 6 B-VG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)