VfGH B163/80

VfGHB163/8025.2.1982

Mietengesetz; keine Bedenken gegen §1 Abs4; keine gleichheitswidrige Anwendung dieser Gesetzesstelle; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Normen

B-VG Art83 Abs2
MietenG §1 Abs4
B-VG Art83 Abs2
MietenG §1 Abs4

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Die Beschwerdeführerin hat von den beteiligten Österreichischen Bundesbahnen (künftig: ÖBB) mit Mietvertrag vom 7./8. Mai 1962 eine Teilfläche des Grundstückes 135/2 KG Favoriten, erliegend in der Eisenbahnbuchanlage für die priv. Österr. Ungar.

Staatseisenbahngesellschaft, Verz. I, im Ausmaß von 762,25 Quadratmeter auf unbestimmte Dauer mit Wirkung vom 1. Dezember 1961 gemietet.

2. Mit Schreiben vom 4. Juli 1975 wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, daß der ÖBB der Wagenumschlag im Verhältnis zum Ausmaß der vermieteten Fläche zu gering erscheine und daß ein ausreichender Umschlag Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Mietvertrages sei. In der Folge wurde der Mietvertrag von den ÖBB gerichtlich aufgekündigt, wogegen die Beschwerdeführerin Einwendungen erhob. Hierauf begehrten die ÖBB beim Bundesminister für Verkehr die Erlassung eines Bescheides gemäß §1 Abs4 Mietengesetz, BGBl. 210/1929 idF BGBl. 91/1976 (künftig: MG).

3.1. Mit Bescheid vom 14. Feber 1980 sprach der Bundesminister für Verkehr aus, daß "das Eisenbahngrundstück 135/2, KG Favoriten, erliegend in der Eisenbahnbuchanlage für die priv. Österr. Ungar. Staatseisenbahngesellschaft, Verz. I, sohin also auch die an die Firma K., Import und Handel mit Baumaterialien und ausländischen Baustoffen, Inh. Dr. St. K. Wwe., G-straße 90, 1100 Wien, vermietete Teilfläche im Ausmaß von 762,25 Quadratmeter mit dem Eisenbahnbetrieb im Zusammenhang steht".

3.2. In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, daß die an die Beschwerdeführerin vermietete Teilfläche gleismäßig erschlossen sei, was von der Beschwerdeführerin nicht bestritten werden könne, zumal sie selbst ausgeführt habe, die ÖBB wolle sie zu einer vermehrten Inanspruchnahme des Bahnbetriebes in Form einer Erhöhung der Wagenumsätze zwingen. Auf die Frage des künftigen Bedarfes sei bei einer Entscheidung nach §1 Abs4 MG, wie der VwGH mit Erk. vom 27. 9. 1972, Z 1.023/72, ausgesprochen habe, nicht einzugehen, da ihr keine rechtlich entscheidende Bedeutung zukomme.

4.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, im Falle der Abweisung die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

4.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift, die beteiligten ÖBB haben eine Äußerung erstattet und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

5. Der VfGH hat erwogen:

5.1.1. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Wie sich aus der ständigen Judikatur der Höchstgerichte ergebe, beruhe die Ausnahmeregelung des §1 Abs4 MG auf der Erwägung, das öffentliche Interesse an einem geregelten Bahnbetrieb zu schützen, indem die Verfügungsfreiheit der Bahnverwaltung über die Mietgegenstände auf Eisenbahngrundstücken möglichst ungeschmälert bleibt. Im Beschwerdefall sei aber §1 Abs4 MG nicht zu dem Zweck angewendet worden, den geregelten Bahnbetrieb der ÖBB sicherzustellen, sondern um das Bestandobjekt in gewinnbringender Weise anderweitig zu verwerten. Da die belangte Behörde in Auslegung des §1 Abs4 MG verabsäumt habe, den Zweck dieser Ausnahmebestimmung zu beachten, indem sie mit dem angefochtenen Bescheid dem Antrag der ÖBB entsprochen habe, obwohl das betroffene Mietobjekt nur frei verfügbar gemacht werden solle, um damit dem Eisenbahnunternehmen finanzielle Vorteile zu verschaffen, verletze der angefochtene Bescheid die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

5.1.2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf §1 Abs4 MG. Diese Bestimmmung legt fest, daß auf Räume der im Abs1 (des §1) bezeichneten Art, die sich auf Eisenbahngrundstücken befinden und nach ihrer Zweckbestimmung mit dem Eisenbahnbetrieb im Zusammenhang stehen, die Bestimmungen der §§2 - 18 keine, die Kündigungsbeschränkungen (§§19 - 23) nur insofern Anwendung finden, als der Mieter den Mietgegenstand mindestens seit dem 1. August 1914 innehat, und daß, ob der Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb besteht, im Zweifel das Bundesministerium für Verkehrswesen (derzeit Bundesministerium für Verkehr) entscheidet.

Der VfGH hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 5499/1967, 8810/1980) §1 Abs4 MG (vor der Nov. BGBl. 281/1967: §1 Abs3 MG) verfassungsrechtlich als unbedenklich erachtet, da es offenkundig ist, daß die Bestimmung auf der Erwägung beruht, das öffentliche Interesse an einem geregelten Bahnbetrieb erfordere, daß die Verfügungsfreiheit der Bahnverwaltung über Mietgegenstände auf Eisenbahngründen möglichst ungeschmälert bleibt; die Herausnahme von Mieten von Räumen auf Eisenbahngrundstücken aus dem Kündigungsschutz verstoße demnach nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Wie die Beschwerdeführerin selbst vorbringt, befindet sich das von ihr gemietete Bestandobjekt auf einem Grundstück, welches in der Eisenbahnbuchanlage eingetragen ist; es handelt sich somit um ein Eisenbahngrundstück. Unbestritten ist auch, daß der Mietgegenstand schon auf Grund seiner gleismäßigen Erschließung mit dem Eisenbahnbetrieb im Zusammenhang steht. Der von der Beschwerdeführerin erhobene Vorwurf, der dem Antrag der ÖBB stattgebende Bescheid verstoße deshalb gegen das Gleichheitsgebot, weil die Kündigung des Mietvertrages nur das Ziel verfolge, das Bestandobjekt einer gewinnbringenderen Verwertung zuzuführen, ist schon deshalb verfehlt, weil für die belangte Behörde nur die Frage des Zusammenhanges des Mietgrundstückes mit dem Eisenbahnbetrieb erheblich war. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt somit nicht vor.

5.2.1. Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, die belangte Behörde hätte erkennen müssen, daß §1 Abs4 MG von den ÖBB rechtsmißbräuchlich in Anspruch genommen werde, um die Verfügungsfreiheit für das Bestandobjekt zu erlangen und dadurch wirtschaftliche Vorteile zu erzielen; sie hätte, statt in der Sache zu entscheiden, den Antrag der ÖBB zurückzuweisen gehabt. Die belangte Behörde habe damit eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nicht zugekommen sei, sodaß die Beschwerdeführerin auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden sei.

5.2.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. VfSlg. 8828/1980).

Zur Behauptung der Beschwerdeführerin, sie sei in diesem Recht verletzt, weil die ÖBB den Antrag nach §1 Abs4 MG rechtsmißbräuchlich gestellt hätte, genügt es zu sagen, daß selbst dann, wenn ihre Rüge zuträfe, die Behörde allenfalls eine unrichtige Entscheidung gefällt, jedoch den ihr durch das Gesetz zugewiesenen Zuständigkeitsbereich nicht überschritten hätte, somit der "gesetzliche Richter" geblieben wäre (vgl. VfSlg. 5499/1967).

5.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt wurde.

5.4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

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