Normen
B-VG Art144 Abs1 / Gerichtsakt
AußStrG §12
JWG §26 Abs2
JWG §34 Abs5
B-VG Art144 Abs1 / Gerichtsakt
AußStrG §12
JWG §26 Abs2
JWG §34 Abs5
Spruch:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I.1. Die Beschwerdeführer sind minderjährig (geboren 1970 und 1971). Sie wurden am 21. Februar 1979 gegen den Willen ihrer - bis dahin - erziehungsberechtigten ehelichen Eltern vom Magistrat der Stadt Wien in die Beobachtungsstation der Kinderübernahmsstelle der Stadt Wien eingewiesen. Seit 2. Juli 1979 bis zur Gegenwart sind sie im Kinderheim der Stadt Wien-Hohe Warte untergebracht. Der Magistrat der Stadt Wien-Bezirksjugendamt für den 15. Bezirk stellte am 23. Februar 1979 beim Jugendgerichtshof Wien den Antrag auf Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe betreffend die mj. Beschwerdeführer. Der Jugendgerichtshof Wien hat mit Beschluß vom 2. Juli 1979, 21 P 9/79-28, hinsichtlich der beiden mj. Beschwerdeführer gerichtliche Erziehungshilfe gemäß §26 Abs2 JWG angeordnet und die ab 21. Februar 1979 im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe erfolgte Heimunterbringung pflegschaftsbehördlich genehmigt. Der Jugendgerichtshof Wien als Rekursgericht hat jedoch mit Beschluß vom 12. Oktober 1979, 15 R 39/79, über den Rekurs der Eltern der beiden mj. Beschwerdeführer den Beschluß vom 2. Juli 1979 aufgehoben und dem Erstrichter neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Diesem Auftrag ist das Gericht erster Instanz bisher nicht nachgekommen.
2. Die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die im Kinderheim der Stadt Wien-Hohe Warte erfolgte Festhaltung der Beschwerdeführer, und zwar während der Zeit "sechs Wochen vor Einbringung der Beschwerde bis zur Gegenwart". Da die Beschwerde am 12. August 1980 zur Post gegeben wurde, wird die Anhaltung ab 1. Juli 1980 bekämpft.
Die Beschwerdeführer behaupten, durch diese Maßnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit und auf das durch Art8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden zu sein. Sie begehren, dies kostenpflichtig festzustellen.
Die Beschwerde wird im wesentlichen damit begründet, daß die Anhaltung in einem Kinderheim der Gemeinde Wien vor allem deshalb erfolgt sei, weil die Eltern der mj. Beschwerdeführer beschuldigt worden waren, sie unzüchtig mißbraucht zu haben. Von dieser Anklage wurden die Eltern der Beschwerdeführer jedoch mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. November 1979, 6a Vr 2241/79, freigesprochen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten die Beschwerdeführer aus der Heimerziehung wieder entlassen werden müssen. Die übrigen Vorwürfe, die die Behörde gegen die Eltern der mj. Beschwerdeführer erhebe, daß sie nämlich ihrer Erziehungspflicht nicht nachkämen, seien völlig haltlos.
3. Die belangte Behörde rechtfertigt die Anhaltung der beiden mj. Beschwerdeführer in einem Kinderheim damit, daß ein - näher dargestellter - schwerer Erziehungsnotstand vorgelegen sei und nach wie vor vorläge. Die Erziehungssituation der mj. Beschwerdeführer entwickle sich jedoch durch ihre Anhaltung im Kinderheim positiv. Die Behörde stützt ihre Maßnahme auf §26 Abs2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1954, BGBl. 99 (JWG).
Die belangte Behörde stellt den Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Nach §25 Abs1 Wr. Jugendwohlfahrtsgesetz, LGBl. 14/1955 (Wr. JWG) - ein Ausführungsgesetz zum JWG -, hat der Magistrat auf Antrag der Erziehungsberechtigten oder von Amts wegen unter bestimmten Einschränkungen einen Minderjährigen unter achtzehn Jahren, dem es an der nötigen Erziehung fehlt, ohne daß die Voraussetzungen für die Erziehungsaufsicht oder die Fürsorgeerziehung vorliegen, Erziehungshilfe zu gewähren. Diese umfaßt alle Maßnahmen, die dem Ziel einer sachgemäßen und verantwortungsbewußten Erziehung dienen, wie Erziehungsberatung, anderweitige Unterbringung, Einweisung in einen Kindergarten, einen Hort, eine Tagesheimstätte, ein Jugendheim, ein Erholungsheim. Durch Einweisung in ein Fürsorgeerziehungsheim darf Erziehungshilfe nicht gewährt werden. Nach §25 Abs4 Wr. JWG darf die Erziehungshilfe, wenn sie nicht von den Erziehungsberechtigten beantragt wird, nur mit deren Zustimmung durchgeführt werden. (Ein derartiger Antrag oder eine solche Zustimmung liegt hier nicht vor.)
Gemäß §21 JWG (unmittelbar anzuwendendes Bundesrecht) hat im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren unter anderem in den Fällen der gerichtlichen Erziehungshilfe die Bezirksverwaltungsbehörde, wenn sie nicht Vormund ist, die Stellung eines besonderen Kurators (§271 ABGB) des Minderjährigen (gesetzlicher Amtskurator).
Dem Abs1 des §26 JWG (gleichfalls unmittelbar anzuwendendes Bundesrecht) zufolge kann gegen den Willen der Erziehungsberechtigten Erziehungshilfe nur durch Anordnung des Vormundschaftsgerichtes gewährt werden. Liegt aber Gefahr im Verzug vor, so kann nach dem folgenden Abs2 die Bezirksverwaltungsbehörde als Vormund oder als gesetzlicher Amtskurator die erforderlichen Maßnahmen der Erziehungshilfe sofort treffen; sie hat jedoch unverzüglich, längstens binnen einer Woche nach Vollzug der getroffenen Maßnahmen, die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes zu beantragen. Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde den Antrag nicht binnen dieser Frist oder verweigert das Vormundschaftsgericht die Genehmigung, so gilt die Maßnahme als widerrufen.
2. a) Der Magistrat der Stadt Wien hat dem §26 Abs2 JWG entsprechend das Vormundschaftsgericht von der als Maßnahme der Erziehungshilfe erfolgten Einweisung der Beschwerdeführer in ein Kinderheim verständigt. Dieses hat mit Beschluß vom 2. Juli 1979 die gerichtliche Erziehungshilfe gemäß §26 Abs2 JWG angeordnet und die ab 21. Februar 1979 erfolgte Heimunterbringung pflegschaftbehördlich genehmigt.
b) §26 Abs2 JWG sieht sowohl eine Zuständigkeit des Gerichtes als auch der Verwaltungsbehörde vor. Für ein und dasselbe konkrete behördliche Verhalten können nun aber nicht gleichzeitig eine Verwaltungsbehörde und ein Gericht verantwortlich sein. Nach der klaren Absicht des Gesetzes soll eine Maßnahme der Erziehungshilfe (etwa die Anhaltung in einem Kinderheim) nicht mehr der Verwaltungsbehörde, sondern dem Gericht zugerechnet werden, sobald die gerichtliche Zuständigkeit aktualisiert wird. Dies ist spätestens der Fall, sobald das Gericht die von der Verwaltungsbehörde getroffene Maßnahme genehmigt hat.
Für das vormundschaftsgerichtliche Verfahren gilt - wie sich aus §34 Abs5 JWG ergibt - in den Fällen der gerichtlichen Erziehungshilfe unter anderem §12 des Außerstreitgesetzes, RGBl. 208/1854. Danach können Verfügungen über nicht streitige Rechtsangelegenheiten - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen -, sofern der Richter nicht aus besonderen Gründen die Rekursfrist abzuwarten notwendig findet (dies ist in diesem Fall nicht geschehen), sogleich in Vollzug gesetzt werden. Daraus ist abzuleiten, daß in Außerstreitsachen ergehende Beschlüsse grundsätzlich sofort mit der Zustellung an die von der gerichtlichen Verfügung betroffenen Personen Rechtswirksamkeit erlangen (vgl. VfSlg. 3247/1957 und 3249/1957 und die dort bezogene Rechtsprechung des OGH).
Spätestens seit der am 12. Juli 1979 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Gerichtsbeschlusses vom 2. Juli 1979 an den Magistrat der Stadt Wien ist sohin die Anhaltung der beiden mj. Beschwerdeführer in einem Jugendheim nicht mehr dem Magistrat der Stadt Wien, sondern ausschließlich dem Jugendgerichtshof Wien zuzurechnen. Daß die Verwaltungsbehörde den in diesem Gerichtsbeschluß liegenden Auftrag überschritten hätte (eine solche Überschreitung hätte die Verwaltungsbehörde zu verantworten - vgl. zB VfSlg. 8714/1979 und die dort zitierte Vorjudikatur), hat das Verfahren nicht ergeben. Derartiges behaupten im übrigen auch die Beschwerdeführer nicht.
Durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Gerichtsbeschlusses vom 2. Juli 1979 durch das Rekursgericht (Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 12. Oktober 1979, zugestellt am 16. November 1979), verbunden mit dem dem Erstrichter erteilten Auftrag zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung, wurde die Verantwortung für die (weitere) Anhaltung der beiden mj. Beschwerdeführer nicht wieder der Verwaltungsbehörde übertragen; vielmehr ist - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - die Anhaltung auch seit Erlassung des zweitinstanzlichen Beschlusses dem Gericht zuzurechnen.
In Beschwerde gezogen ist die Anhaltung seit 1. Juli 1980. Seit Zustellung des erstinstanzlichen Gerichtsbeschlusses, sohin seit 12. Juli 1979, ist die Anhaltung der Beschwerdeführer - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - dem Gericht zuzurechnen.
3. Weder Art144 B-VG noch eine andere Rechtsvorschrift räumt dem VfGH die Befugnis ein, Akte der Gerichtsbarkeit zu überprüfen (vgl. zB VfSlg. 8732/1980).
Die Beschwerde war sohin wegen der Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.
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