VfGH B29/77

VfGHB29/7730.1.1980

Einkommen- und Gewerbesteuer; Änderung der jahrelangen vertretbaren Praxis einer Behörde darf nicht zu einer Doppelbesteuerung führen; Verletzung von Treu und Glauben; Verstoß gegen das Gleichheitsgebot

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
StGG Art5
BAO §251
BAO §295 Abs1
EStG §5
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
StGG Art5
BAO §251
BAO §295 Abs1
EStG §5

 

Spruch:

1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Feststellung der Bemessungsgrundlagen für den Gewerbeertrag und für das Gewerbekapital und die Festsetzung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge und die Gewerbesteuer für die Jahre 1970, 1971 und 1972 richtet, zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit er die Gewinne aus Gewerbebetrieb und den Gesamtbetrag der Einkünfte für 1970, 1971 und 1972 feststellt und die Einkommensteuer für die genannten Jahre festsetzt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird daher insoweit aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Beschwerdeführerin, Alleininhaberin einer Druck- und Verlagsanstalt, befaßt sich vorwiegend mit der Herstellung von wissenschaftlich, historisch oder sonst wertvollen Büchern im Reproduktionsverfahren. Ihr wichtigster Auftraggeber ist seit sieben Jahren die Firma P. F. E. (künftig: PFE) mit dem Sitz in L.

2. Aufgrund einer Betriebsprüfung im Jahre 1974 ergingen am 12. Mai 1975 unter Wiederaufnahme der Verfahren neue Bescheide betreffend die Festsetzung der Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1970, 1971 und 1972, neue Einheitswertfeststellungen des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1970, 1971, 1972 und 1973 sowie neue Vermögenssteuerbescheide für dieselben Stichtage.

3. Mit Bescheid des Berufungssenates 1 der Finanzlandesdirektion für Stmk. vom 21. Oktober 1976, Z B 119/3-2/76, wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen diese Bescheide, soweit sie die Einkommen- und Gewerbesteuer 1970 bis 1972 betraf, teilweise Folge gegeben und ausgesprochen, daß die Bemessungsgrundlagen und die festgesetzten Abgaben wie folgt betragen:

1970 1971 1972

Gewinn aus Gewerbebetrieb ........... - 2259207 - 2651137 - 2644262

Gesamtbetrag der Einkünfte .......... - 2262807 - 2651137 - 2644262

Einkommensteuer ..................... 0 0 0

Gewerbeertrag ....................... - 1463395 - 1829501 - 1573016

Gewerbekapital (wie bisher) ......... 15341836 20127037 24905851

einheitlicher Gewerbesteuermeßbetrag

(wie bisher) ..................... 15091 19877 24655

Gewerbesteuer (wie bisher) .......... 51158 67383 84813

Soweit die Berufung der Beschwerdeführerin sich gegen die die Einheitswerte und die Vermögensteuer betreffenden Sachbescheide wendete, wies die Berufungsbehörde das Finanzamt Graz-Stadt gem. §289 BAO an, hierüber mittels Berufungsvorentscheidung abzusprechen.

4. Unter Hinweis auf die Berufungsentscheidung vom 21. Oktober 1976 erließ das Finanzamt Graz-Stadt am 14. Dezember 1976 Berufungsvorentscheidungen betreffend die Einheitswerte 1970, 1971, 1972 und 1973 und gem. §295 Abs1 BAO geänderte Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1970, 1971 und 1972, welche der Beschwerdeführerin laut Zustellungsnachweis am 17. Dezember 1976 zukamen.

5. Gegen den Berufungsbescheid vom 21. Oktober 1976 wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des Bescheides beantragt wird. Für den Fall der Abweisung wird die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

Die belangte Behörde begehrt die Zurückweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Gewerbesteuerfestsetzungen richtet, im übrigen wird die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. In teilweiser Stattgebung der Berufung der Beschwerdeführerin wurden mit dem angefochtenen Bescheid der Gewerbeertrag, das Gewerbekapital und die einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge für die Jahre 1970, 1971 und 1972 neu festgestellt sowie die Gewerbesteuer für die Jahre 1970, 1971 und 1972 festgesetzt. Diese Gewerbesteuerbescheide wurden gem. §295 BAO durch neue Gewerbesteuerbescheide für 1970, 1971 und 1972 des Finanzamtes Graz-Stadt vom 14. Dezember 1976 ersetzt.

Gem. §251 BAO können Bescheide, die an die Stelle eines früheren Bescheides treten, in vollem Umfange angefochten werden.

Die Bescheide vom 14. Dezember 1976 wurden der Beschwerdeführerin am 17. Dezember 1976 zugestellt. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde ist beim VfGH am 22. Jänner 1977 eingelangt, somit also in einem Zeitpunkt, in welchem die von der Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid getroffenen Aussprüche betreffend Gewerbesteuer für 1970 bis 1972 durch neue Gewerbesteuerbescheide für die genannten Jahre des Finanzamtes Graz-Stadt vom 14. Dezember 1976 bereits ersetzt waren. Die Aussprüche des angefochtenen Bescheides betreffend Gewerbesteuer für die Jahre 1970 bis 1972 gehörten somit im Zeitpunkte der Erhebung der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde dem Rechtsbestand nicht mehr an, da an die Stelle derselben die in vollem Umfange anfechtbaren Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom 14. Dezember 1976 getreten sind. Da die Berufungsentscheidung in diesem Umfange bereits vor Erhebung der Verfassungsgerichtshofbeschwerde durch die Beschwerdeführerin rechtsunwirksam geworden war, war die Beschwerde, soweit sie sich gegen die in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen Feststellungen des Gewerbeertrages, des Gewerbekapitals und der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge für die Jahre 1970, 1971 und 1972, bzw. die Festsetzung der Gewerbesteuer für die genannten Jahre richtete, zurückzuweisen (VfSlg. 6801/1972).

III. Über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, soweit durch diesen der Gewinn aus Gewerbebetrieb und der Gesamtbetrag der Einkünfte für die Jahre 1970, 1971 und 1972 festgestellt und die Einkommensteuer für die genannten Jahre festgesetzt wird, hat der VfGH in der Sache selbst erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid führt aus, daß anläßlich der für die Jahre 1970 bis 1972 durchgeführten Betriebsprüfung festgestellt worden sei, daß die Beschwerdeführerin ihrem Hauptabnehmer, der Firma PFE, noch nicht fertige (nicht ausgebundene) Bücher zum Preis der fertigen Bücher fakturiert habe. Die unfertigen Bücher seien auf dem Lager der PFE deponiert gewesen, die Fertigstellung der Bücher sei nach Bedarf der PFE bzw. nach Maßgabe der Arbeitsauslastung der Beschwerdeführerin erfolgt. Die bezahlten Fakturenwerte der noch unfertigen Bücher hätten zum 31. Dezember 1969 10086103 S, 1970 2432065,50 S, 1971 4600830,30 S, 1972 5443130,40 S betragen. Der Prüfer habe hierin nur Kundenanzahlungen erblickt, das Kapital per 31. Dezember 1969 und die Erlöse (Gewinne) der Jahre 1970, 1971 und 1972 entsprechend gemindert und andererseits die noch unfertigen Bücher als Vorräte betrachtet und deren Herstellungskosten, welche zum 31. Dezember 1969 6138043 S, 1970 1629950 S, 1971 2513539 S und 1972 2035463 S betrugen, aktiviert. Des weiteren habe der Prüfer den Rückstellungen, die die Beschwerdeführerin für fakturierte, jedoch noch nicht erbrachte Leistungen gebildet habe, die Anerkennung versagt und diese gegen Kapital aufgelöst. Mit dem im Berufungswege bekämpften Bescheid sei das Finanzamt der Ansicht des Prüfers gefolgt; da das Finanzamt die mit Berufung angefochtenen Bescheide nach den ursprünglichen Ziffern des Prüfers erlassen hatte, der Prüfer in seiner Stellungnahme zur Berufung die von der Berufungswerberin aufgrund einer genaueren Durchrechnung ermittelten Ziffern jedoch anerkannte, sei auch vom Berufungssenat von den korrigierten Ziffern der Höhe nach auszugehen gewesen.

Dem Grunde nach seien die Regeln für schwebende Rechtsgeschäfte maßgeblich. Ein schwebendes Rechtsgeschäft liege vor, wenn ein fest abgeschlossenes Rechtsgeschäft noch nicht vollständig erfüllt sei und es sich bei wenigstens einem Beteiligten um eine vermögensrechtliche Verpflichtung handle mit Ausnahme der Sicherheitsleistungen und Eventualverpflichtungen. Im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin als zur Sachleistung verpflichtete Vertragspartnerin nur einen Teil der Leistung erbracht. In einem derartigen Fall trete eine Gewinnverwirklichung noch nicht ein, es sei denn, daß es sich um selbständig abgrenzbare Teilleistungen handle. Solche lägen nur dann vor, wenn über sie gesondert abgerechnet wurde. Dies sei nicht der Fall gewesen. Erst mit einem Schreiben vom 12. Dezember 1974 habe die PFE die Beschwerdeführerin ersucht, in Hinkunft "sämtliche Bücher in ungebundenem Zustand zu fakturieren". Bis dahin stehe dem Ausweis eines verwirklichten Gewinnes vor vollständiger Erbringung der Sachleistung der Umstand entgegen, daß die Kosten der jahrelang nach der Fakturierung erfolgten Fertigstellung der Bücher nie völlig abgeschätzt werden könnten, sodaß der Gedanke des Gläubigerschutzes die Annahme einer Gewinnverwirklichung zum Zeitpunkt der Lieferung unfertiger Bücher nicht zulasse. Die belangte Behörde pflichtet daher der dem Bescheid erster Instanz zugrunde liegenden Rechtsauffassung bei, umsomehr, als letztlich die Lieferung fertiger Bücher vereinbart gewesen sei. Dem werde zwar von der Beschwerdeführerin mit der Begründung widersprochen, daß ein erfüllter Vertrag vorliege, in welchem Zusammenhange die Beschwerdeführerin jedoch andererseits erklärt habe, daß die PFE auf Erfüllung klagen könne. Hiemit werde klargestellt, daß von einem erfüllten Vertrag keine Rede sein könne.

2. a) Die Beschwerdeführerin erachtet sich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums dadurch für verletzt, daß im angefochtenen Bescheid das Vorliegen schwebender Rechtsgeschäfte zu Unrecht angenommen worden sei. Es treffe nicht zu, daß die Lieferung fertiger Bücher vereinbart gewesen sei. Es seien vielmehr der PFE stets auch nicht vollausgebundene Bücher geliefert und von dieser unbeanstandet angenommen worden. Schon aus dem Umstande, daß es hierüber nie zu Differenzen zwischen der Beschwerdeführerin und der PFE gekommen sei, müsse gefolgert werden, daß die Lieferung nicht vollausgebundener Bücher nicht vertragswidrig war. Die Beschwerdeführerin habe nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung die Geschäftsfälle periodengerecht zu verbuchen gehabt. Nur bei zweiseitig verbindlichen Verträgen, die von keiner Seite erfüllt seien, gelte der Grundsatz, daß gegenseitige Forderungen und Verbindlichkeiten buch- und bilanzmäßig überhaupt nicht zu berücksichtigen seien. Da die PFE ihrerseits die laufenden Verträge auch dann voll erfüllt habe, wenn die Lieferungen auch noch nicht vollausgebundene Bücher zum Gegenstand hatten, könne von schwebenden Geschäften nicht gesprochen werden. Die Geschäftsfälle hätten daher in dem Jahr verbucht werden müssen, dem sie wirtschaftlich zugehörten. Den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung habe auch entsprochen, daß die Beschwerdeführerin für noch nicht ausgeführte Leistungen Rückstellungen bildete, dies schon aus Gründen des Gläubigerschutzes. Die Abschätzung des Kostenrisikos falle in den Bereich des Unternehmerrisikos und gehe es nicht an, wenn die belangte Behörde hiezu den Standpunkt vertrete, daß der Gedanke des Gläubigerschutzes die Annahme einer Gewinnverwirklichung im Zeitpunkt der Lieferung der unfertigen Bücher nicht zulasse. Daß die PFE mit Schreiben vom 12. Dezember 1974 die Beschwerdeführerin ersucht habe, in Hinkunft sämtliche Bücher in ungebundenem Zustand zu fakturieren, stütze keineswegs die Auffassung der belangten Behörde, da die PFE hiemit lediglich bewirken wollte, daß nicht neuerlich Schwierigkeiten wie bei der Prüfung für die Zeit von 1970 bis 1972 auftreten.

b) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 6677/1973, 7212/1973) durch einen in das Eigentum eingreifenden Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur dann verletzt, wenn der Bescheid unter Heranziehung einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage erlassen wird oder wenn er gesetzlos ist, wobei die denkunmögliche Anwendung eines Gesetzes ebenfalls als Gesetzlosigkeit angesehen wird.

Bedenken gegen die im Beschwerdefall angewendeten Rechtsnormen wurden in der Beschwerde nicht geltend gemacht und sind auch im Gerichtshof aus Anlaß der Beratung des Beschwerdefalles nicht entstanden. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums könnte daher nur vorliegen, wenn die belangte Behörde bei der Gesetzesanwendung denkunmöglich vorgegangen wäre. Dies wird mit den Ausführungen der Beschwerde jedoch nicht dargetan.

Was unter "schwebenden Rechtsgeschäften" zu verstehen ist, wird von der Lehre, worauf die Gegenschrift der belangten Behörde hinweist, unterschiedlich beurteilt. So verstehen Schubert - Pokorny - Schuch (Einkommensteuerhandbuch, S 219) Hofstätter - Reichel (Einkommensteuerkommentar, Tz 12 zu §5) und Doralt - Ruppe (Grundriß des österreichischen Steuerrechts, S 59) hierunter zweiseitig verbindliche Verträge, die noch von keiner Seite erfüllt worden sind, wohingegen Herrmann - Heuer (Einkommensteuerkommentar, Anm. 49x zu §5) zwischen schwebenden Geschäften im engeren und im weiteren Sinn unterscheidet, je nachdem, ob Leistungen überhaupt noch nicht oder teilweise erbracht wurden. Der VwGH hat mit dem ebenfalls von der belangten Behörde zitierten Erk. vom 7. Feber 1958, Z 13/57, ausgesprochen, daß Geschäftsforderungen für Waren oder Leistungen einschließlich der darin inbegriffenen Gewinnquote "ganz allgemein jedenfalls dann zu bilanzieren sind, wenn die Ware geliefert bzw. die Leistung erbracht und dem Kunden die Rechnung hierüber erteilt worden ist". Ausnahmen bestünden davon nur für sogenannte schwebende Geschäfte, das seien abgeschlossene, aber noch nicht vollständig erfüllte und abgerechnete Geschäfte.

Im vorliegenden Fall geht die belangte Behörde davon aus, daß der Beschwerdeführerin ein Kredit von 4 Millionen Schilling eingeräumt ist, der, nach Maßgabe der Lieferungen der Beschwerdeführerin, aufgestockt wird. Die belangte Behörde geht weiters davon aus, daß sich die zu liefernden Bücher bei der Beschwerdeführerin auf Lager befinden und deren Bezahlung durch Aufstockung des Kredites erst bei Lieferung erfolgt. Ausgehend von dieser wirtschaftlichen Sachverhaltsbewertung handelt es sich jedenfalls um keine denkunmögliche Gesetzesanwendung, wenn im angefochtenen Bescheid die Geschäftsfälle der Beschwerdeführerin, soweit teilweise noch nicht fertige Bücher fakturiert wurden, als schwebende Geschäfte behandelt werden, für die ein Gewinn bilanzmäßig noch nicht auszuweisen sei.

3. a) Die Beschwerdeführerin beruft sich weiters darauf, daß sie bei der Verbuchung der Geschäftsfälle mit der PFE mindestens seit 1964 in gleicher Weise so vorgegangen sei, daß sie gelieferte Bücher, auch wenn sie noch nicht vollständig ausgebunden, sondern teilweise nur gefalzt und zusammengetragen waren, fakturiert und die Erlöse erfolgserhöhend gebucht habe, wobei für noch nicht durchgeführte Arbeiten Rückstellungen gebildet worden seien. Die Abgabenbehörde habe diesen Vorgang stets gebilligt, dies auch bei früheren Prüfungen, die 1966 und 1968 stattgefunden hätten. Im Jahre 1966 sei sogar der gleiche Prüfer eingeschritten wie bei der Prüfung für die Jahre 1970 bis 1972. Dadurch, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid von einer jahrelangen Rechtsauffassung ohne triftigen Grund abweiche, werde von ihr Treu und Glauben verletzt; dies bedeute Willkür.

Im Gleichheitsrecht sei sie aber auch dadurch verletzt, daß die Stornierung der Erlöse in den Jahren 1970 bis 1972 und die Herabsetzung des Kapitals zum 1. Jänner 1970 zur Folge hätte, daß die in der Vergangenheit bis Ende 1972 fakturierten Lieferungen nicht vollausgebundener Bücher nach gänzlicher Ausbindung noch einmal fakturiert werden müßten und daß dadurch schon in den Jahren vor 1970 versteuerte Gewinne in Zukunft ein zweites Mal versteuert werden müßten.

b) Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung des Gleichheitsrechtes kann gem. der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur vorliegen, wenn der Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie Willkür geübt hat (VfSlg. 7558/1975). Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Normen wäre die Beschwerdeführerin im Gleichheitsrecht nur dann verletzt, wenn die Behörde den angewendeten Normen einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie Willkür geübt hätte.

Soweit die Beschwerdeführerin den Vorwurf der Gleichheitsverletzung darauf stützt, daß die Behörde im angefochtenen Bescheid von einer Rechtsauffassung abweiche, die von der belangten Behörde ihr gegenüber jahrelang eingenommen worden sei, ist ihr entgegenzuhalten, daß die Änderung der Praxis einer Behörde für sich allein nicht geeignet ist, Willkür darzutun. Es kommt vielmehr auf den Inhalt der neuen Gesetzesauslegung an und auf die Ursachen, die ihr zugrunde liegen (VfSlg. 5457/1967). Daß von einem Finanzamt zunächst eine bestimmte Rechtsansicht vertreten wird, kann nicht ausschließen, daß von ihm später eine andere als richtig erkannte Ansicht zur Anwendung kommt (VwGH 7. 5. 1965 Z 2208/63). Der Umstand, daß die belangte Behörde ihren nunmehrigen Rechtsstandpunkt im angefochtenen Bescheid auch eingehend begründet hat, zeigt, daß sie keineswegs ohne triftigen Grund von der früheren Rechtsauffassung in einer Weise abgewichen wäre, die gegen Treu und Glauben verstößt (VfSlg. 6258/1970). In dem Umstande, daß im angefochtenen Bescheid von einer Rechtsauffassung abgegangen wurde, die vorausgehend jahrelang geübt wurde, kann im konkreten Falle jedenfalls Willkür nicht erblickt werden.

Dennoch ist die Beschwerdeführerin mit dem Vorwurf, daß sie der angefochtene Bescheid im Recht auf Gleichheit verletzt, im Recht.

Im angefochtenen Bescheid wird ausgeführt, daß "die bezahlten Fakturenwerte der zum 31. Dezember 1969 noch unfertigen Bücher S 10086103,-" betragen. Laut Bescheid erblickt die belangte Behörde in diesem Betrag Kundenanzahlungen und mindert dementsprechend das Kapital per 31. Dezember 1969 um diesen Betrag. Andererseits wird im angefochtenen Bescheid das zum 31. Dezember 1969 ausgewiesene Kapital um die Herstellungskosten der fakturierten zum 31. 12. 1969 noch unfertigen Bücher um 6138043 S erhöht, weil es sich hiebei um Vorräte handle. Die von der Beschwerdeführerin für die Fertigstellung dieser Bücher per 31. Dezember 1969 vorgenommenen Rückstellungen per 2871404 S werden im angefochtenen Bescheid gegen Kapital aufgelöst. Dies bewirkt, daß für die als Warenvorräte behandelten unfertigen Buchbestände per 31. Dezember 1969 in einem späteren Zeitpunkte eine bilanzmäßige Gewinnerfassung erfolgen muß. Die Beschwerdeführerin muß daher Gewinne, für die nach dem angefochtenen Bescheid per 31. Dezember 1969 als Warenvorräte mit 6138043 S behandelten unfertigen Bücher fatieren, sobald im Sinne des angefochtenen Bescheides eine Vertragserfüllung infolge der endgültigen Fertigstellung und Lieferung dieser Bücher eingetreten ist. Es kann dahingestellt bleiben, in welchem Ausmaße solche Gewinne in den Einkommensteuerbescheiden für 1970, 1971 und 1972 ihren Niederschlag finden. Daß die Steuerbescheide in den genannten Jahren solche Gewinne berücksichtigen, kann aber auch nach den Ausführungen der belangten Behörde nicht zweifelhaft sein. Dieses Ergebnis wird durch den angefochtenen Bescheid bewirkt, obwohl die ab 1970 steuerlich als Warenvorräte behandelten unfertigen Bücher per 31. Dezember 1969 mit 10086103 S fakturiert und der hierin enthaltene Gewinn versteuert wurde. Daß die bezahlten Fakturenwerte bilanzmäßig mit 1. Jänner 1970 als Akontozahlungen behandelt werden, ändert daran nichts, sodaß im Ergebnis die per 31. Dezember 1969 erfaßten unfertigen Bücher gewinnmäßig zweimal besteuert werden.

Daran ändert auch nichts, daß im angefochtenen Bescheid die Einkommensteuer der Beschwerdeführerin mit Null festgesetzt wird, weil durch das Vorgehen der Behörde eine Verringerung des Verlustvortrages bewirkt wird. Dies bedeutet aber, daß dem angefochtenen Bescheid eine nochmalige Besteuerung bereits versteuerter Gewinne innewohnt.

Wenn eine Behörde ein bestimmtes geschäftliches Verhalten durch Jahre hindurch in Übereinstimmung mit dem Steuerpflichtigen in vertretbarer Weise beurteilt hat und nachfolgend ein und derselbe Vorgang, wenn auch in vertretbarer Weise, anders beurteilt wird, so darf der Wechsel zu dieser anderen vertretbaren Beurteilungsweise dennoch nicht zu einer Doppelbesteuerung führen, da hiedurch Treu und Glauben verletzt wird. Durch die hiedurch bewirkte Doppelbesteuerung verstößt der angefochtene Bescheid gegen den Gleichheitssatz (VfSlg. 6258/1978 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Es war hiebei nicht zu untersuchen, wo im konkreten Fall die Grenze für eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen liegt oder wie die Behörde in anderer Weise zur Vermeidung des gleichheitswidrigen Ergebnisses vorzugehen hat, um den optisch durchbrochenen Bilanzzusammenhang durch (fiktive) Zu- und Abschläge wiederherzustellen und zu neutralisieren.

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