VfGH G18/79

VfGHG18/799.12.1980

Vbg. Jagdgesetz, §103 Abs2 trifft anders als §103 Abs1 Satz 1 keine iS des Art15 Abs9 B-VG erforderliche Regelung

Normen

B-VG Art15 Abs1, Art15 Abs9
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs7
Vlbg JagdG §103 Abs1, §103 Abs2
B-VG Art15 Abs1, Art15 Abs9
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs7
Vlbg JagdG §103 Abs1, §103 Abs2

 

Spruch:

1. §103 Abs2 des Vbg. Jagdgesetzes, LGBl. 5/1948, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Vorschrift ist auch auf die vor ihrer Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.

Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Kraft.

Der Landeshauptmann von Vorarlberg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

2. Der Antrag auf Aufhebung des §103 Abs1 Satz 1 des Vbg. Jagdgesetzes wird bezüglich der Wortfolgen "bei Eigenjagden dem Eigenberechtigten, wenn er die Eigenjagd verpachtet hat, dem Pächter" und "bei Genossenschaftsjagdgebieten im Falle deren Ausübung durch einen Jagdverwalter (§25 ff.) der Jagdgenossenschaft" zurückgewiesen.

Im übrigen wird ihm nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Oberste Gerichtshof beantragt die Aufhebung des ersten Satzes in Abs1 und des Abs2 in §103 des Vbg. Jagdgesetzes (VbgJG). Er hat über eine Revision gegen ein Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck zu entscheiden, womit ein Urteil des Landesgerichtes Feldkirch bestätigt wird, das den wegen schweren Eingriffs in ein fremdes Jagdrecht (§§137, 138 StGB) verurteilten Beklagten die Leistung von Schadenersatz in der Höhe von rund S 335.000,- auferlegt hatte. Bei Entscheidung dieses Rechtsstreites erachtet der antragstellende Gerichtshof die in §103 VbgJG enthaltenen Sondervorschriften über den Schadenersatz bei Verletzung des Jagdrechtes anwenden zu müssen. Er hält die Regelung für verfassungsrechtlich bedenklich, weil die Gesetzgebung in Angelegenheiten des Zivilrechtswesens Bundessache sei und der Landesgesetzgeber auch die Kompetenz nach Art15 Abs9 B-VG nicht in Anspruch nehmen könne, weil weder die Zuordnung von Schadenersatzansprüchen noch eine Vorschrift über die Schadensbemessung zur Regelung der Jagdausübung erforderlich sei. Die allgemeinen Vorschriften des Schadenersatzrechtes reichten für einen ausgewogenen zivilrechtlichen Schutz gegen rechtswidrige Eingriffe in das Aneignungsrecht des jeweils Jagdberechtigten hin. Auch in den Jagdgesetzen anderer Länder oder den insoweit vergleichbaren Fischereigesetzen fänden sich solche Bestimmungen nicht.

Die Vbg. Landesregierung tritt dem Begehren des Obersten Gerichtshofes entgegen. Sie mißt den angegriffenen Vorschriften nur deklarative Bedeutung zu. Sollten die allgemeinen Vorschriften des Schadenersatzrechtes jedoch anderes ergeben, hält sie die Regelung zugunsten der Jagdberechtigten, denen Hege des Wildes obliege, tatsächlich für unerläßlich.

II.1. §103 des Vbg. Gesetzes über das Jagdwesen (Jagdgesetz - JG), LGBl. 5/1948 (Titel des Gesetzes idF der Novelle LGBl. 9/1975) lautet:

"Sondervorschriften über den Schadenersatz bei Verletzung des Jagdrechtes

§103

(1) Schadenersatzansprüche, die aus der Verletzung des Jagdrechtes (§1) abgeleitet werden, stehen bei Eigenjagden dem Eigenberechtigten, wenn er die Eigenjagd verpachtet hat, dem Pächter, bei Genossenschaftsjagden dem Pächter und bei Genossenschaftsjagdgebieten im Falle deren Ausübung durch einen Jagdverwalter (§25 ff.) der Jagdgenossenschaft zu. Solche Ersatzansprüche können außerhalb eines Strafverfahrens nur im ordentlichen Rechtswege geltend gemacht werden.

(2) Den in §1 genannten Personen gebührt als Ersatz des Schadens, den ihnen ein anderer schuldhaft dadurch zufügt, daß er unbefugt Wild beschädigt, erlegt oder sich aneignet, der Betrag, der zur Beschaffung eines gleichwertigen lebenden Stückes erforderlich ist, abzüglich des Nutzens, den der zur Erhebung des Ersatzanspruches Berechtigte aus der Verwertung des beschädigten oder erlegten Wildes gezogen oder zu ziehen absichtlich versäumt hat."

2. Der dem Zivilrechtsstreit zugrundeliegende Eingriff in ein fremdes Jagdrecht erfolgte - wie der antragstellende Gerichtshof selbst ausdrücklich feststellt - im Gebiet jener Genossenschaftsjagd, deren Pächter die Kläger sind. Der Gerichtshof hat daher offenkundig §103 Abs1 Satz 1 VbgJG insoweit nicht anzuwenden, als er die Eigenjagd oder die Ausübung der Genossenschaftsjagd durch einen Verwalter betrifft. Die einzelnen Anwendungsfälle des §103 Abs1 Satz 1 VbgJG sind auch sprachlich trennbar. Art140 B-VG gestattet Gerichten aber die Anfechtung von Gesetzen nur im Rahmen ihrer Anwendbarkeit im anhängigen Verfahren. Der Antrag ist also im genannten Umfang mangels Präjudizialität zurückzuweisen.

Im übrigen ist nichts hervorgekommen, was Zweifel erwecken könnte, daß der antragstellende Gerichtshof die angefochtenen Vorschriften anzuwenden hat.

III. Der Antrag ist nur im Hinblick auf den Abs2 des §103 VbgJG begründet.

1. §103 JG spricht im ersten Satz des Abs1 (soweit er in Prüfung zu ziehen ist) aus, daß der Schadenersatzanspruch nicht den Jagdberechtigten oder der aus den Jagdberechtigten gebildeten Genossenschaft, sondern dem Pächter der Jagd zusteht, und legt in Abs2 die Höhe des Anspruches in bestimmter Weise fest. Weder der Wortlaut noch der Zusammenhang der Vorschrift lassen Zweifel über ihre normative Bedeutung zu. Es ist auch keine schadenersatzrechtliche Bestimmung des bürgerlichen Rechtes ersichtlich, auf welche §103 VbgJG bloß hinweisen würde. Selbst wenn daher die Anwendung der Regeln des allgemeinen Schadenersatzrechtes letztlich zum selben Ergebnis führen würde - was hier nicht zu prüfen ist -, könnte das am normativen Inhalt der zu prüfenden Bestimmung nichts ändern. Soweit die Vbg. Landesregierung von einem bloß deklarativen Inhalt der Bestimmung ausgeht, kann ihr der VfGH also nicht beipflichten.

Im übrigen hält der VfGH das Zitat "§1" in Abs2 des §103 VbgJG für ein bloßes Redaktionsversehen und versteht die Bestimmung so, daß der Eingang dieses Absatzes in Wahrheit auf Abs1 Bezug nimmt (zu lesen also: "Den in Abs1 genannten Personen ...."). Das folgt bereits aus einer Zusammenschau der in Betracht kommenden Vorschriften. §1 des Gesetzes enthält nur Aussagen über das Jagdrecht selbst und nennt daher allein die Eigentümer von Grund und Boden als Berechtigte. Die Ausübung des Jagdrechts wird in §2 jenen Personen ("Jagdberechtigten" im engeren Sinne) zugewiesen, denen nach §103 Abs1 auch der Schadenersatzanspruch zustehen soll. Unter Personen, denen Ersatz des Schadens gebührt, können daher nur die in §103 Abs1 genannten verstanden werden. In dieselbe Richtung deutet die Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Der zwischen 1934 und 1938 verfaßte, damals aber nicht mehr Gesetz gewordene Entwurf, der die Grundlage auch der angefochtenen Bestimmung des Gesetzes aus 1948 war (Sten.Prot. der 4. Sitzung des I. Vbg. Landtages, 1947, S 3) hatte Abs2 der entsprechenden Bestimmung (§120 des Entwurfes) mit den Worten "Den in Absatz 1 genannten Personen" eingeleitet. Es fehlt jeder Anhaltspunkt, daß eine Änderung des Textes beabsichtigt gewesen sein könnte.

2. Das Jagdrecht ist ein aus dem Eigentum am Grund und Boden fließendes Privatrecht, seine Ausübung kann jedoch im allgemeinen Interesse der Jagdwirtschaft und der Jagdpolizei durch die Landesgesetzgebung geregelt werden (VfSlg. 1712/1948 und die in VfSlg. 7891/1976 genannte ständige Rechtsprechung; dazu VfSlg. 8779/1980). Regelungen über den Schadenersatz aus der Verletzung des Jagdrechtes können daher vom Landesgesetzgeber nur erlassen werden, wenn dies im Sinne des Art15 Abs9 B-VG zur Regelung des Gegenstandes im Bereich ihrer Gesetzgebung - hier zur Regelung der Jagdausübung - erforderlich ist.

In seiner Rechtsprechung zu Art15 Abs9 B-VG hat der Gerichtshof seit dem Erk. VfSlg. 558/1926 daran festgehalten, daß zivilrechtliche Bestimmungen in einem Landesgesetz nur zulässig sind, "sofern sie in einer unerläßlichen Verbindung mit anderen Bestimmungen stehen, die den Hauptinhalt des Gesetzes bilden", und zur Begründung unter anderem ausgeführt:

"Andernfalls würde das Zivilrechtswesen (und das gleiche gilt vom Strafrechtswesen) nicht, wie es dem eigentlichen Sinn der Bundesverfassung entspricht, grundsätzlich in die Kompetenz des Bundes fallen, sondern es läge auf diesem Gebiete eine besondere Art von konkurrierender Kompetenz des Bundes und der Länder vor. Diese Möglichkeit aber wollte die Bundesverfassung nicht schaffen."

Die bloße Tatsache, daß sich eine an sich zivilrechtliche Maßnahme auf einen Bereich der Landesgesetzgebung bezieht, hat der Gerichtshof daher nicht als ausreichend erachtet (VfSlg. 2319/1952; vgl. auch VfSlg. 6344/1970 in Verbindung mit VfSlg. 6862/1972, wo bei gleicher Zielsetzung zwar eine öffentlich-rechtliche, nicht aber eine privatrechtliche Lösung für zulässig erkannt wurde). Insbesondere hat er die Einschränkung der Haftung des Straßenerhalters (VfSlg. 4605/1963) oder des Bürgermeisters (VfSlg. 6055/1969) auf grobes Verschulden nicht als derart eng mit der Regelung der Straßenangelegenheiten oder des Gemeinderechtes zusammenhängend angesehen, daß das Land ohne sie seine Zuständigkeit nicht erfüllen könnte. Für zur Regelung des Gegenstandes erforderlich hat er hingegen zB Vorschriften über die Höhe der Entschädigung für straßenrechtliche Enteignungen gehalten, weil zwischen der Regelung der den Schaden erzeugenden Maßnahme und der Schadenersatzbestimmung ein entsprechender innerer Zusammenhang bestehe (VfSlg. 4605/1963), und Regeln betreffend die Beschlußfassung über den Reinerlös aus einer Genossenschaftsjagd, weil die Regelung über die Verwendung der Pachtbeträge unvollständig wäre, würde sie nicht auch eine solche Regelung in sich schließen (VfSlg. 6209/1970). Voraussetzung für die Zulässigkeit zivilrechtlicher Bestimmungen ist also ein rechtstechnischer Zusammenhang mit der im Landesgesetz getroffenen verwaltungsrechtlichen Regelung. Die Gleichartigkeit der Zielsetzung genügt noch nicht.

3. Legt man den Maßstab des Art15 Abs9 B-VG in dem von der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Sinn an §103 VbgJG an, so erweist sich nur die Regelung des Abs1 als erforderlich.

a) Nach den Bestimmungen des Gesetzes ist die Ausübung des Jagdrechtes im Falle von Genossenschaftsjagden regelmäßig nur durch einen Dritten (Pächter) möglich. Die Inhaber des Jagdrechts sind also nicht selbst zur Ausübung der Jagd berechtigt. Diese das Jagdrecht in mehrere Berechtigungen aufspaltende Regelung wäre unvollständig, wenn sie nicht auch eine Bestimmung darüber enthielte, wer von den mehreren in Betracht kommenden Berechtigten zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen berufen ist - eine Frage, die erst durch die konkrete landesgesetzliche Regelung ausgelöst wird. Der Umstand, daß das allgemeine bürgerliche Recht auch bei Fehlen einer besonderen Regelung zu einem bestimmten Ergebnis führt, steht einer eigenständigen Regelung durch den Landesgesetzgeber nicht entgegen, wenn er es für zweckmäßig hält, auch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen ausschließlich in die Hände des Jagdausübungsberechtigten zu legen und die Auseinandersetzung zwischen ihm und der die Inhaber des Jagdrechts zusammenfassenden Genossenschaft den Partnern des Pachtverhältnisses zu überlassen. Denn der Gesetzgebung muß auch im Bereich des Art15 Abs9 B-VG ein Regelungsspielraum offen bleiben. Ob sie die zweckmäßigste Lösung gewählt und die Vorschrift dem allgemeinen Zivilrecht gut angepaßt hat, ist für die Kompetenzfrage auch in diesem Bereich ohne Bedeutung.

Die in Prüfung stehende Regelung des §103 Abs1 Satz 1 über die Person des Schadenersatzberechtigten bei Genossenschaftsjagden steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit den Regelungen des Gesetzes über die Ausübung der Genossenschaftsjagd und ist ihrer Art nach unerläßlich iS der ständigen Rechtsprechung des VfGH. Die Bedenken des Obersten Gerichtshofes treffen insoweit nicht zu.

b) Anders ist die Regelung des Abs2 zu beurteilen. Daß eine Bestimmung über die Höhe von Schadenersatzansprüchen aus der Verletzung des Jagdrechtes mit der Regelung der Ausübung des Jagdrechtes unmittelbar zusammenhängt, kann der VfGH nämlich nicht erkennen. Auch hier kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die zu prüfende Bestimmung zu einem anderen Ergebnis führt als die Anwendung der allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechtes. Denn selbst wenn nach ihr ein höherer Schaden zu vergüten und dies aus jagdwirtschaftlichen Gründen wünschenswert wäre (weil es - gegebenenfalls - zB die Erhaltung eines ausgewogenen Wildbestandes erleichtert), erwiese sich eine landesgesetzliche Regelung ohne solche Vorschrift nicht als derart unvollständig, daß das Land die ihm zur Regelung der Jagdausübung eingeräumte Zuständigkeit nicht voll wahrnehmen könnte. Die Bestimmung würde dann zwar jenen jagdwirtschaftlichen Zielen dienen, die das Gesetz auch mit anderen Regelungen verfolgt, sie würde aber nicht durch eine bestimmte Regelung der Verwaltungsmaterie als deren notwendige Ergänzung hervorgerufen sein. Zur bloßen Förderung der im Bereich ihrer Gesetzgebung verfolgten Ziele steht den Ländern indes die Möglichkeit der Gestaltung des Privatrechtes nicht offen.

Insoweit erweisen sich die Bedenken des Obersten Gerichtshofes als begründet. §103 Abs2 VbgJG ist als verfassungswidrig aufzuheben.

Da die in der aufzuhebenden Bestimmung geregelte Frage im allgemeinen bürgerlichen Recht bereits eine Regelung gefunden hat, ist ein Ausspruch iS des Art140 Abs7 B-VG geboten.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

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