European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0200DS00008.25V.1106.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und es wird der Antrag auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens abgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Beschluss vom 11. Juli 2022 leitete der Disziplinarrat der * Rechtsanwaltskammer ein Disziplinarverfahren gegen Rechtsanwalt * wegen des Verdachts ein, dieser habe es – zusammengefasst – als Klagevertreter im Verfahren AZ * des Landesgerichts * „entgegen der §§ 1 DSt, 9 RAO. 1 RL‑BA“ unterlassen, das Klagebegehren aufgrund einer der Beklagten zuzurechnenden Teilzahlung vom 10. Mai 2021 einzuschränken, sodass dieser Umstand im Rahmen der Kostenentscheidung nicht zu Gunsten der Beklagten habe berücksichtigt werden können (TZ 17).
[2] Mit (Abwesenheits-)Erkenntnis vom 23. Jänner 2023 sprach der Disziplinarrat der * Rechtsanwaltskammer den Beschuldigten von diesem Vorwurf frei (TZ 31).
[3] Nach den Feststellungen des Disziplinarrats hat der Beschuldigte im Verfahren * L* gegen * P*, AZ * des Landesgerichts *, in der Verhandlung am 7. Juni 2021 vorgebracht, dass die in Rede stehende Zahlung der Beklagten (an den Gerichtskommissär) von 7.831 Euro „nicht mit schuldbefreiender Wirkung“ geleistet worden sei, „da sie dem Kläger […] nicht zugegangen“ sei (ES 7). Tatsächlich wurde der Betrag dem Konto des Beschuldigten am 11. Mai 2021 zugebucht. Der betreffende Kontoauszug (Beilage ./5) enthielt jedoch einen Verweis auf den – ein anderes Verfahren betreffenden – Akt „*“. Die Mitarbeiterin des Beschuldigten * H* hat – wie sich aus Beilage ./18 ergibt – zu diesem „alten Eintreibungsakt“ einen neuen Akt angelegt. Dem Beschuldigten war am 7. Juni 2021 „nicht bekannt, dass diese Zahlung bereits in seiner Kanzlei eingegangen ist und auf einen anderen Akt verbucht worden war“ (ES 6 f). Sein Vorbringen hat „dem damaligen Wissensstand entsprochen“ (ES 11).
[4] Zudem vertrat der Disziplinarrat die Auffassung, „dass eine bloße Zahlungsankündigung, in concreto das Mail vom 6. Mai 2021, keine Verpflichtung bewirkt, die avisierte Zahlung in Evidenz zu nehmen“ (ES 10).
[5] Der Disziplinarrat ging davon aus, dass der Beschuldigte kein bewusst unrichtiges Vorbringen erstattet hat (ES 11). Hinsichtlich eines allfälligen Organisationsverschuldens angesichts der irrigen Zuordnung der Zahlung von 7.831 Euro hielt der Disziplinarrat fest, dass der Beschuldigte „davon ausgehen konnte, dass die Zahlung korrekt verbucht war“. Zudem habe die Vorlage der „vermeintliche[n] Eintreibungscausa“ keine besondere Überprüfungspflicht ausgelöst, sodass Kontrollpflichten nicht verletzt worden seien. Dies nicht zuletzt deshalb, weil im Gerichtsverfahren ein Vorbringen, wonach die Zahlung bereits an die Kanzlei des Beschuldigten geleistet worden sei, von den Beklagten nicht erstattet worden sei (ES 10).
[6] Auf Antrag des Kammeranwalt-Stellvertreters (TZ 34) hob der Disziplinarrat das (Abwesenheits-)Erkenntnis mit Beschluss vom 21. November 2024 auf und verfügte die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens (TZ 44).
[7] Zur Begründung wurde auf eine Anzeige der (ehemaligen Mitarbeiterin des Beschuldigten) * H* verwiesen, aus der sich der Verdacht ergebe, dass der Beschuldigte zum Nachweis seines Vorbringens der Weiterüberweisung des dem falschen Akt zugewiesenen Betrags ein verfälschtes Dokument (Beilage ./13) vorgelegt habe, dessen Original nicht die behauptete Weiterüberweisung von 7.831 Euro für das Verfahren „* – * L*“, sondern eine andere Überweisung (lediglich 27,10 Euro) mit einer anderen Zuordnung („* GmbH – * Z*“) aufweise. Diese Tatsachen „sind geeignet, eine Änderung des rechtskräftigen Erkenntnisses vom 23. Jänner 2023 herbeizuführen“.
Rechtliche Beurteilung
[8] Gegen diesen Beschluss erhob der Beschuldigte (nach neuerlicher Zustellung – vgl TZ 50) am 10. Juli 2025 fristgerecht Beschwerde (TZ 51).
[9] Er bringt vor, dass der Vorwurf einer (seiner Ansicht nach überdies zu Unrecht behaupteten) Manipulation der als Beilage ./13 vorgelegten Urkunde in keinem Zusammenhang mit dem ihm zur Last gelegten Disziplinarvorwurf stehe.
Dies trifft zu:
[10] Auch bei einer Wiederaufnahme zu Lasten eines – hier – Beschuldigten (§ 77 Abs 1 DSt iVm § 355 StPO iVm § 352 StPO) wirkt der Wiederaufnahmegrund einer Urkundenfälschung oder sonstigen Straftat (§ 352 Abs 1 Z 1 StPO) nicht absolut, sondern setzt voraus, dass die solcherart behauptete Straftat (mit Strafe bedrohte Handlung – vgl Lewisch, WK-StPO § 353 Rz 17) für den Freispruch von Bedeutung war, bzw dass ein solcher Einfluss nicht auszuschließen ist (Lewisch, WK-StPO § 353 Rz 23).
[11] Gegenstand des Freispruchs ist hier allein die Frage, ob der Beschuldigte im Verfahren AZ * des Landesgerichts * in Bezug auf das Einlangen einer Zahlung von 7.831 Euro in disziplinarrechtlicher Hinsicht vorwerfbar ein falsches Vorbringen erstattet und/oder eine entsprechende Klagseinschränkung unterlassen hat bzw ob den Beschuldigten in Ansehung der Tatsache, dass die in seiner Kanzlei eingelangte Zahlung von 7.831 Euro irrtümlich nicht diesem Verfahren zugeordnet wurde, ein disziplinarrechtlich relevantes Organisationsverschulden trifft (ES 7 und ES 10 f).
[12] Ob und wie diese (fälschlich) einer anderen Causa zugeordnete Zahlung dort weiter behandelt wurde, ist für die Beurteilung des dem Beschuldigten hier zur Last liegenden disziplinarrechtlichen Vorwurfs irrelevant.
[13] Solcherart kann der Frage, ob das in Rede stehende Dokument (Beilage ./13) verfälscht wurde, kein Einfluss auf den verfahrensgegenständlichen Freispruch zukommen. Denn dieses Dokument wurde weder zur Entkräftung des Vorwurfs der (ohnehin bejahten) verfehlten Zuordnung der Zahlung vorgelegt noch zur Begründung der Verneinung ihrer Vorwerfbarkeit herangezogen. Es diente lediglich als (solcherart unnötiger) Nachweis, dass der fälschlich zugeordnete Betrag in dieser anderen Angelegenheit in weiterer Folge weiterüberwiesen wurde.
[14] Da selbst das Fehlen eines solchen Nachweises keinen Zusammenhang mit der Frage nahelegt, ob dem Beschuldigten in Bezug auf die verfehlte aktenmäßige Zuordnung der Zahlung bzw in Bezug auf die Unkenntnis ihres Einlangens zum Verfahren des Landesgerichts * ein disziplinarrechtlicher Vorwurf zu machen ist, fehlt es dem im Wiederaufnahmeantrag behaupteten Vorgang der Verfälschung des als Beilage ./13 vorgelegten Dokuments an der für eine Wiederaufnahme erforderlichen Eignung, eine Änderung des Freispruchs herbeizuführen.
[15] In Stattgebung der Beschwerde waren demnach der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Antrag des Kammeranwalt-Stellvertreters auf Wiederaufnahme des Verfahrens abzuweisen.
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