OGH 3Ob93/25k

OGH3Ob93/25k24.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober in der Rechtssache der betreibenden Partei O* SE *, Deutschland, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Schuldnerin R* Limited, *, Jersey, wegen vorläufiger Kontenpfändung, über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. Mai 2025, GZ 47 R 63/25z‑8, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 21. Februar 2025, GZ 71 E 847/25b‑3, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00093.25K.0924.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Exekutionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Antrag der betreibenden Partei, das Verfahren aufgrund des in Jersey anhängigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zu unterbrechen, wird abgewiesen.

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei hat die Kosten des Unterbrechungsantrags sowie des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Betreibende führt aufgrund des für Österreich für vollstreckbar erklärten Schiedsspruchs des London Court of International Arbitration vom 25. September 2024, Arbitration No 225567, zur Hereinbringung eines Betrags von 500.000 EUR Forderungsexekution gegen die Schuldnerin, eine Gesellschaft mit Sitz auf der Kanalinsel Jersey.

[2] Aufgrund der ihr erteilten Exekutionsbewilligung beantragte die Betreibende die Erlassung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung.

[3] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die EuKoPfVO sei weder auf schiedsgerichtliche Entscheidungen noch auf Entscheidungen aus Drittstaaten anwendbar. Auch aufgrund der in Österreich erteilten Exekutionsbewilligung könne keine vorläufige Kontenpfändung erfolgen, weil diese keine gerichtliche Entscheidung iSd Art 4 Z 8 EuKoPfVO sei.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Antrag nicht abgewiesen, sondern mangels Zuständigkeit zurückgewiesen werde. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für nicht zulässig.

[5] Gegen diese Entscheidung erhob die Betreibende am 28. Mai 2025 einen außerordentliche Revisionsrekurs.

[6] Am 1. September 2025 teilte die Betreibende mit, dass sich die Schuldnerin seit 17. Juli 2025 in Jersey in einem „Creditors Winding Up‑Verfahren“ gemäß Art 157B des Company Law von Jersey befinde. Da es es sich dabei um ein in Österreich anzuerkennendes Insolvenzverfahren handle, sei das Verfahren nach § 7 Abs 1 IO zu unterbrechen.

[7]

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Rekursgerichts ist nicht nach §§ 422 Abs 1, 402 Abs 2, 78 EO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig, weil das Rekursgericht die abweisende Entscheidung des Erstgerichts nicht bloß verdeutlicht (vgl RS0074300; RS0044456 [T13]), sondern in Wahrheit in eine Antragszurückweisung mangels Zuständigkeit abgeändert hat (vgl RS0044215 [T13]; RS0044456 [insb T3]).

[8] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage auch zulässig, weil zu den Auswirkungen einer Insolvenzeröffnung auf ein Verfahren zur Erlassung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht; er ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Gemäß § 46 Abs 1 EuKoPfVO richten sich sämtliche verfahrensrechtlichen Fragen, die in der Verordnung nicht ausdrücklich geregelt sind, nach dem Recht jenes Mitgliedstaats, in dem das Verfahren stattfindet.

[10] 2.1. Zu den Auswirkungen von Insolvenzverfahren auf die vorläufige Kontenpfändung enthält Art 2 Abs 2 lit c EuKoPfVO eine Regelung dahin, dass die Verordnung auf Forderungen gegen einen Schuldner, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren oder ein ähnliches Verfahren eröffnet wurde, nicht anzuwenden ist. Da nach ErwGr 8 der EuKoPfVO ein Beschluss zur vorläufigen Pfändung nicht mehr erlassen werden kann, sobald ein Insolvenzverfahren im Sinn der EuInsVO gegen den Schuldner eingeleitet worden ist (Lugani in MüKomm zur ZPO6 Art 46 EuKoPfVO Rz 6; Wiedemann in Rauscher, EuZPR/EuIPR5 Art 46 EuKoPfVO Rz 2; Harbeck in Kindl/Meller‑Hannich, Recht der Zwangsvollstreckung, Art 46 EuKoPfVO Rz 3), erfasst die Bereichsausnahme jedenfalls den Fall, dass der Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gefasst werden soll(Wiedemann, Art 2 EuKoPfVO Rz 6; Schumacher in Schumacher/Köllensperger/Trenker, EuKoPfVO, Art 46 Rz 3; Wallner‑Friedl in Neumayr/Geroldinger, IZVR Art 2 EuKoPfVO Rz 10).

[11] 2.2. Die Auswirkungen einer Insolvenzeröffnung nach Erlassung des Kontenpfändungsbeschlusses richten sich dagegen nach Art 46 Abs 2 EuKoPfVO, der für diese Konstellation auf das Recht des Mitgliedstaats verweist, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Wallner‑Friedl,Art 46 EuKoPfVO Rz 2; Wiedemann,Art 46 EuKoPfVO Rz 3; Schumacher, Art 46 EuKoPfVO Rz 4).

[12] 2.3. Maßgebliche zeitliche Grenze ist daher der Zeitpunkt der Erlassung des Kontenpfändungsbeschlusses. Wurde das Insolvenzverfahren bereits zuvor eröffnet, so ist die EuKoPfVO nicht anwendbar und der Pfändungsantrag auf dieser Grundlage unzulässig. Erfolgt die Insolvenzeröffnung dagegen nach dem Pfändungsbeschluss, so bestimmen sich deren Wirkungen nach dem nationalen Insolvenzrecht (Wiedemann,Art 2 EuKoPfVO Rz 6; Wallner‑Friedl,Art 2 EuKoPfVO Rz 10; vgl auchSchumacher, Art 2 EuKoPfVO Rz 50), wobei hier dahinstehen kann, ob Art 46 Abs 2 EuKoPfVO einen autonomen Regelungsinhalt hat (vgl Lugani, Art 46 EuKoPfVO Rz 7; Schumacher, Art 2 EuKoPfVO Rz 54).

[13] 2.4. Aus dieser Systematik der Verordnung folgt, dass Art 2 Abs 2 lit c EuKoPfVO zumindest für den Fall der Insolvenzeröffnung vor Erlassung des Pfändungsbeschlusses eine verordnungsautonome abschließende Regelung enthält. Ist die EuKoPfVO insgesamt nicht anwendbar, so gilt dies auch für Art 46 EuKoPfVO, weshalb es nicht zur Verweisung auf nationales Recht kommt. Da sich der Pfändungsantrag auf keine gesetzliche Grundlage stützen kann, steht das Verfahren zur Erwirkung einer vorläufigen Kontenpfändung in dieser Konstellation nicht zur Verfügung, womit der von Art 2 Abs 2 lit c EuKoPfVO angestrebte Vorrang des Insolvenz- bzw Gesamtvollstreckungsverfahrens (Lugani,Art 2 EuKoPfVO Rz 7) gewährleistet wird.

2.5. Als Zwischenergebnis lässt sich daher folgender Rechtssatz formulieren:

[14] Die EuKoPfVO enthält in Art 2 Abs 2 lit c eine verordnungsautonome abschließende Regelung für den Fall, dass vor Erlassung des Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wurde. In einem solchen Fall ist die EuKoPfVO nicht anwendbar und ein Antrag auf vorläufige Kontenpfändung daher zurückzuweisen. Eine Unterbrechung des Verfahrens nach nationalem Recht kommt in dieser Situation nicht in Betracht.

[15] 3.1. Im Anlassfall ist daher entscheidend, ob das in Jersey eröffnete „Creditors Winding Up‑Verfahren“ ein Insolvenzverfahren iSd Art 2 Abs 2 lit c EuKoPfVO ist, weil in diesem Fall ein Kontenpfändungsbeschluss nicht mehr erlassen werden könnte.

[16] 3.2. Der Begriff des Insolvenzverfahrens ist autonom auszulegen (Schumacher, Art 2 EuKoPfVO Rz 43) und soll sich nach ErwGr 8 der EuKoPfVO (iVm Art 91 Satz 2 EuInsVO 2015/848/EU ) danach richten, ob gegen den Schuldner ein Insolvenzverfahren im Sinn der EuInsVO 2015 eingeleitet wurde.

[17] Dies bedeutet zunächst, dass es nicht darauf ankommt, ob das Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat eröffnet wurde. Dieses Ergebnis folgt insbesondere aus Art 3 und Art 28 Abs 4 EuKoPfVO. Ist der (Wohn‑)Sitz des Schuldners für den räumlichen Anwendungsbereich der EuKoPfVO unerheblich (Wiedemann,Art 3 EuKoPfVO Rz 3; Lugani, Art 3 EuKoPfVO Rz 4; Wallner‑Friedl,Art 3 EuKoPfVO Rz 4; Schumacher, Art 3 Rz 11), so kann es für die Bereichsausnahme nicht schädlich sein, wenn im (Wohn‑)Sitzstaat ein Insolvenzverfahren gegen ihn eröffnet wird.

[18] 3.3. Als Insolvenzverfahren gelten im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr jedenfalls Verfahren, die den in Art 1 Abs 1 EuInsVO 2015 normierten Vorgaben entsprechen(Mohr,Die vorläufige Kontenpfändung, Rz 27; Lugani, Art 2 EuKoPfVO Rz 7; Schumacher, Art 2 EuKoPfVO Rz 44), zusammengefasst also öffentliche Gesamtverfahren einschließlich vorläufiger Verfahren, die auf der Grundlage gesetzlicher Insolvenzvorschriften zu Zwecken der Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation eines sich in Zahlungsschwierigkeiten befindenden Schuldners durchgeführt werden und einer der Varianten der lit a bis lit c des Art 1 Abs 1 EuInsVO 2015 entsprechen.

[19] 4.1. Diese Voraussetzungen sind hier nach den von der Betreibenden vorgelegten unbedenklichen Unterlagen gegeben.

[20] 4.2. Das „Creditors Winding Up‑Verfahren“ nach den Insolvenzvorschriften von Jersey dient zwar primär dem Erhalt bzw der Verhinderung einer (befürchteten) Verschwendung des Gesellschaftsvermögens. Dies hindert seine Qualifikation als Insolvenzverfahren aber nicht (vgl insbesondere ErwGr 15 der EuInsVO 2015).

[21] 4.3. Nach dem Urteil des Royal Court of Jersey vom 8. August 2025 erachtete dieses die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin als ausreichend bescheinigt bzw letztlich nicht strittig, bestellte zwei vorläufige, mit umfassenden Befugnissen ausgestattete Liquidatoren und schränkte die Befugnisse der Direktoren der Schuldnerin im Wesentlichen auf die Anfechtung der Verfahrenseröffnung, des Schiedsspruchs vom 25. September 2024 und dessen Vollstreckung ein. Damit wurde der Schuldnerin die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen entzogen und die unter Aufsicht des Gerichts stehenden Liquidatoren damit betraut, das Unternehmen weiterzuführen. Nach Art 186 Company Law von Jersey haben die Liquidatoren auch die Verbindlichkeiten der Gesellschaft „pari passu“, also in Gleichbehandlung der Gläubiger zu begleichen.

[22] 4.4. Die Wirkungen der Verfahrenseröffnung treten nach den einschlägigen Rechtsvorschriften von Jersey mit dem Tag der Antragstellung ein (Art 159 Abs 1 Company Law von Jersey).

[23] 5. Ausgehend von der dargelegten Sach‑ und Rechtslage liegt die Bereichsausnahme des Art 2 Abs 2 lit c EuKoPfVO vor. Die EuKoPfVO ist auf den vorliegenden Fall daher nicht anwendbar und damit auch die Erlassung des begehrten Kontenpfändungsbeschlusses nicht zulässig. Auf die im Revisionsrekurs angesprochenen Rechtsfragen kommt es angesichts dessen nicht mehr an.

[24] 6. Zusammenfassend ist das Verfahren nichtzu unterbrechen und dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

[25] 7. Die Entscheidung über die Kosten des Unterbrechungsantrags sowie des Revisionsrekurses beruht auf §§ 40, 50 ZPO iVm §§ 422 Abs 1, 78 Abs 1, 402 Abs 4 EO.

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