European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00096.24B.1218.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Jugendstrafsachen
Spruch:
In der Strafsache AZ 37 Hv 2/24f des Landesgerichts Linz verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Juni 2024, AZ 10 Bs 107/24t, § 19 Abs 1 zweiter Satz JGG iVm § 19 Abs 4 Z 1 JGG.
Dieses Urteil sowie der zugleich mit diesem ergangene Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 38 Hv 32/23b des Landesgerichts Wels gewährten bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der diesbezüglichen Probezeit werden aufgehoben.
Dem Oberlandesgericht Linz wird aufgetragen, über die Berufung und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft neu zu entscheiden.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 14. März 2024 (ON 16), wurde der am * 2004 geborene * (richtig) M* – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (B) schuldig erkannt, weil er am 8. Juli 2023 zwischen W* und L* durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) einem anderen unter Verwendung einer Waffe 20 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz abnötigte, indem er unter Vorhalt eines Klappmessers die Herausgabe des Geldes forderte (US 1 f iVm US 4 f).
[2] Für dieses Verbrechen und dieihm nach dem Schuldspruch darüber hinaus zur Last liegenden strafbaren Handlungen wurde * M* unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 19 Abs 1 (richtig) JGG nach dem Strafsatz des § 143 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von zwölf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
[3] Zugleich mit dem Urteil erging gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO iVm § 494a Abs 6 StPO der Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 38 Hv 32/23b des Landesgerichts Wels gewährten bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der diesbezüglichen Probezeit auf fünf Jahre (US 2).
[4] Gegen den Ausspruch über die Strafe erhob die Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten Berufung, gegen das Unterbleiben des Widerrufs der bedingten Strafnachsicht erhob sie Beschwerde (ON 17).
[5] Mit Urteil vom 25. Juni 2024, AZ 10 Bs 107/24t, erhöhte das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht in Stattgebung der Berufung „nach Ausschaltung der §§ 43a Abs 3 StGB und 19 Abs 1 JGG“ die Freiheitsstrafe auf dreißig Monate. Den nach § 494a StPO ergangenen Beschluss hob es auf.
[6] Zugleich fasste das Berufungsgericht neuerlich einen – inhaltlich mit jenem des Erstgerichts identen – Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO iVm § 494a Abs 6 StPO.
[7] Bei der Strafbemessung ging es auf der Basis des Strafsatzes des § 143 Abs 1 StGB von einem Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe aus (US 3).
Rechtliche Beurteilung
[8] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Linz mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[9] Nach § 19 Abs 1 zweiter Satz JGG bestimmt sich das Mindestmaß der Freiheitsstrafe bei einer Straftat eines jungen Erwachsenen nach den für Jugendstraftaten vorgesehenen (reduzierten oder fehlenden) Grenzen (Schroll/Oshidari in WK2 JGG § 19 Rz 3).
[10] Nach § 19 Abs 4 Z 1 JGG bleibt es bei den Strafdrohungen der allgemeinen Strafgesetze, wenn der Täter eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben begangen hat und diese mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedroht ist.
[11] Während Raub in der Begehungsform der „Gewalt gegen eine Person“ eine „strafbare Handlung gegen Leib und Leben“ im Sinn der durch das Gewaltschutzgesetz 2019 BGBl I 2019/105 geschaffenen Bestimmung des § 19 Abs 4 Z 1 JGG darstellt, in deren Anwendungsbereich § 19 Abs 1 JGG nicht zum Tragen kommt (RIS‑Justiz RS0134129), trifft dies auf die nach dem Urteilssachverhalt vorliegende alternative Tatbegehungsvariante der „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ nicht zu (vgl dazu die Entscheidung des verstärkten Senats AZ 15 Os 119/22x [Rz 9]).
[12] Indem das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht – wie von ihm selbst in der schriftlichen Urteilsausfertigung (US 3) erkannt – die über * M* verhängte Strafe unter irriger Zugrundelegung (auch) der Mindeststrafdrohung des § 143 Abs 1 StGB von einem Jahr Freiheitsstrafe ausgemessen hat, verletzte es somit § 19 Abs 1 zweiter Satz JGG iVm § 19 Abs 4 Z 1 JGG.
[13] Da nicht auszuschließen ist, dass sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten auswirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
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