OGH 7Ob121/24f

OGH7Ob121/24f28.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* S*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei E* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2024, GZ 2 R 29/24k‑22, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 21. Dezember 2023, GZ 12 Cg 84/22f‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00121.24F.0828.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2018) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[...]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17.2.1., Artikel 18.2.1. und Artikel 19.2.1.) sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23.2.1. und Artikel 24.2.1.1.) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...]

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1. Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen

- erlittener Personen-, Sach- oder Vermögensschäden; [...]“

[2] Mit schriftlichem Kaufvertrag vom 10. 3. 2021 kaufte der Kläger von [seiner Mutter] den von der V* AG hergestellten VW Multivan mit der Fahrzeugidentifikationsnummer [...]. Der konkrete Kaufpreis ist in dem Kaufvertrag nicht ausgewiesen. Ob der Kläger einen Kaufpreis in der behaupteten Höhe von 47.000 EUR leistete, kann nicht festgestellt werden.

[3] Der Kläger begehrt mit seinem Haupt‑ und (dem die Geltendmachung eines Minderwerts von 30 % des Kaufpreises enthaltenden) Eventualbegehren die Feststellung der Versicherungsdeckung. Er habe am 10. 3. 2021 einen VW Multivan um 47.000 EUR privat gekauft. Der darin verbaute Motortyp EA288 sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden und entspreche nicht den gesetzlichen Bestimmungen. Die Beklagte habe für die Geltendmachung eines deliktischen Schadenersatzanspruchs gemäß §§ 874, 1295 ABGB von 30 % Minderwert (gerechnet vom Kaufpreis) gegen die Herstellerin des PKW Deckung zu gewähren.

[4] Die Beklagte beantragt die Klageabweisung.

[5] Das Erstgericht gab dem Hauptklagebegehren statt. Versicherungsfall sei der Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger. Durch sein Vorbringen, welches Begehren er im zu deckenden Verfahren zu erheben beabsichtige und welches Vorbringen er zur Darlegung welchen Anspruchs erstatten werde, habe er den Versicherungsfall schlüssig dargelegt. Ob dem Kläger im Haftpflichtprozess der Beweis gelingen werde, dass er tatsächlich einen Preis von 47.000 EUR für das Fahrzeug gezahlt habe, sei im Deckungsprozess nicht zu prüfen.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Rechtlich führte es aus, die Ansicht, der Kläger müsse bereits im Deckungsprozess beweisen, das Fahrzeug um 47.000 EUR gekauft zu haben, werde nicht geteilt. Die Frage, ob der Kläger das Fahrzeug tatsächlich – wie von ihm vorgebracht – erworben habe, betreffe die Erfolgsaussichten des Haftpflichtprozesses. Gelinge ihm im Haftpflichtprozess dieser Beweis nicht, werde er nicht erfolgreich sein.

[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu, weil die „Bezahlung des Kaufpreises“ allenfalls doch für die Deckungsgewährung entscheidend sein könnte.

[8] Die Beklagte begehrt in der von ihr gegen das Berufungsurteil erhobenen Revision die Abänderung dahin, das Klagebegehren abzuweisen.

[9] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch mit dem – im Abänderungsantrag enthaltenen (vgl RS0041774 [T1]) – Aufhebungsantrag berechtigt.

[11] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats trifft für das Vorliegen des Versicherungsfalls nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).

[12] 1.2. Hier behauptet der Kläger während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel‑PKW erworben zu haben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.

[13] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt zur Deckungspflicht in der Rechtsschutzversicherung für Klagen gegen Autohersteller wegen Abgasmanipulationssoftware in Diesel‑Fahrzeugen Stellung genommen (7 Ob 32/18h = RS0114001 [T9]; 7 Ob 206/19y; 7 Ob 82/24w). Es handelt sich dabei um die Deckung für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden, bei denen nach Art 2.3. ARB (hier 2018) der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften als Versicherungsfall gilt. Nach dieser Bestimmung liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

[14] Ein zeitlich lange vorangehender Gesetzes‑ oder Pflichtenverstoß, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des Versicherungsnehmers adäquat kausal begründet haben, kann den Versicherungsfall erst auslösen und damit den Zeitpunkt des Verstoßes in Bezug auf den konkreten Versicherungsnehmer in der Rechtsschutzversicherung festlegen, wenn dieser erstmals davon betroffen, das heißt in seinen Rechten beeinträchtigt wird oder worden sein soll. Dies ist im Fall des serienmäßigen Einbaus eines nicht rechtskonformen Bauteils in eine Sache der Zeitpunkt des Erwerbs der mangelhaften Sache durch den Versicherungsnehmer. Erst damit beginnt sich auch die vom Rechtsschutzversicherer in Bezug auf den Versicherungsnehmer konkret übernommene Gefahr zu verwirklichen (RS0114001; 7 Ob 32/18h; 7 Ob 82/24w).

[15] 1.4. Ausgehend davon ist die Frage, ob (und wann) der Kläger ein Diesel‑Fahrzeug erworben haben will, für die Beurteilung, ob ein Versicherungsfall (während des versicherten Zeitraums) eingetreten ist, von erheblicher Bedeutung.

[16] 1.5. Für das Zustandekommen eines Vertrags ist die Einigung der Vertragsteile über den Vertragsinhalt und die ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des Abschlusswillens erforderlich (5 Ob 33/14k mwN; vgl RS0013984). Zum Zustandekommen eines Kaufvertrags genügt grundsätzlich die Einigung über Kaufpreis und Kaufgegenstand (RS0013973 [T4]).

[17] Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob der Kläger – wie von ihm behauptet – den VW Multivan am 10. 3. 2021 um 47.000 EUR gekauft hat. Zu einem vereinbarten Kaufpreis trafen die Vorinstanzen keine Feststellung. Die Negativfeststellung zur Bezahlung eines bestimmten Kaufpreises ist nicht Teil der essentialia negotii für das Zustandekommen des Kaufvertrags. Bei der Frage des Kaufs des PKW durch den Kläger handelt es sich in Wahrheit um eine rechtliche Beurteilung, sodass die „Feststellung“ des Erstgerichts „... kaufte der Kläger ...“ im konkreten Fall, in dem gerade dieser Umstand bestritten ist, nicht ausreicht. Aus den übrigen getroffenen Feststellungen kann aber die Beurteilung eines Kaufs in rechtlicher Hinsicht nicht abgeleitet werden, fehlen doch Feststellungen zum vereinbarten Kaufpreis, also einer bestimmten Summe Geldes (§ 1053 ABGB).

[18] 1.6. Im Hinblick darauf, dass (infolge eines rechtlichen Feststellungsmangels) schon der Eintritt des Versicherungsfalls als wesentliche Voraussetzung für die Deckungspflicht der Beklagten nicht feststeht, erübrigt sich derzeit ein weiteres Eingehen auf die übrigen von der Beklagten erhobenen Einwendungen.

[19] 2. Infolge fehlender Feststellungen zur Beurteilung des Kaufs des Fahrzeugs und damit des Eintritts des Versicherungsfalls sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

[20] 3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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