European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00071.24S.0528.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem Nebenintervenienten die mit jeweils 3.734,52 EUR (darin 622,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin und L* lernten einander im Jahr 2010 kennen. Sie schrieben einander und telefonierten miteinander. Im Jahr 2016 gingen die beiden eine lose Verbindung ein. Sie sahen sich am Wochenende und unternahmen Reisen, auf welchen sie sich ein Zimmer teilten. Am 26. 3. 2017 errichtete L* eine letztwillige Verfügung, wonach die Klägerin sein Haus in Tirol und das Guthaben zweier Konten bei Schweizer Banken erhalten soll. Am 6. 6. 2020 schlossen die Klägerin und L* die Ehe und wohnten im Haus in Tirol. Am 23. 2. 2022 wurde gegen L* ein polizeiliches Betretungsverbot ausgesprochen. Am 2. 3. 2022 erhob die Klägerin eine Scheidungsklage und brachte dazu vor, dass L* aufgrund seines aggressiven Verhaltens und seiner Handgreiflichkeiten das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe verantworte. Am 11. 3. 2022 wurde über Antrag der Klägerin eine einstweilige Verfügung erlassen, mit welcher L* das Betreten des Hauses und der Kontakt zur Klägerin untersagt wurde. Am 18. 3. 2022 verstarb L*. Aus einer Notiz des Verstorbenen ist ersichtlich, dass er das Testament mit seinem Anwalt besprechen wollte.
[2] Die Klägerin begehrt die Übertragung des Eigentums am Haus in Tirol und der Guthaben auf den Konten in der Schweiz. Im Zeitpunkt der letztwilligen Verfügung sei eine Lebensgemeinschaft oder Ehe noch nicht absehbar gewesen, sodass die Klägerin ungeachtet ihrer Scheidungsklage Anspruch auf das Vermächtnis habe.
[3] Der beklagte Nachlass wendet ein, dass die letztwillige Verfügung aufgrund der Scheidungsklage aufgehoben worden sei. Darüber hinaus habe die Klägerin die Ehe gebrochen und dem Verstorbenen dadurch schweres seelisches Leid zugefügt, was ihre Erbunwürdigkeit begründe.
[4] Der Nebenintervenient ist der Sohn des Verstorbenen und schloss sich dem Vorbringen des Beklagten an.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die von der Klägerin eingebrachte Scheidungsklage habe nach § 725 Abs 2 ABGB dazu geführt, dass das Vermächtnis aufgehoben worden sei. Dass die letztwillige Verfügung noch vor dem Eingehen einer Lebensgemeinschaft errichtet worden sei, könne daran nichts ändern.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob der Wille des Verstorbenen, dass die Zuwendung nicht vom Fortbestand der Ehe abhängen soll, auch im Anwendungsbereich des § 725 Abs 2 ABGB in der letztwilligen Verfügung zumindest angedeutet sein muss.
[7] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin anstrebt, dass ihrer Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Der Beklagte und der Nebenintervenient beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[10] 1. Nach § 725 Abs 1 ABGB werden mit der Auflösung der Ehe oder Lebensgemeinschaft zu Lebzeiten des Verstorbenen davor errichtete letztwillige Verfügungen, soweit sie den früheren Ehegatten oder Lebensgefährten betreffen, aufgehoben, es sei denn, dass der Verstorbene ausdrücklich das Gegenteil angeordnet hat. Nach § 725 Abs 2 ABGB wird die letztwillige Anordnung im Zweifel auch dann aufgehoben, wenn der Verstorbene oder die letztwillig bedachte Person das gerichtliche Verfahren zur Auflösung der Ehe eingeleitet hat. Nach der Absicht des Gesetzgebers entspricht diese Vorschrift dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen, weil ein früherer Ehepartner oder Lebensgefährte üblicherweise gerade nicht will, dass der andere Teil nach ihm erbt (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 20).
[11] 2. Der Oberste Gerichtshof hat zu 2 Ob 76/21x ausgesprochen, dass § 725 Abs 1 ABGB entsprechend dem Wortlaut der Bestimmung auch solche letztwilligen Verfügungen erfasst, die der Erblasser vor Eingehen einer Ehe oder Lebensgemeinschaft errichtet hat, weil die Ehe oder Lebensgemeinschaft in aller Regel die Fortsetzung der schon zuvor bestehenden Nahebeziehung bildet, sodass nach dem mutmaßlichen Willen des Erblassers auch hier anzunehmen ist, dass die Zerrüttung der Beziehung das Erlöschen der Zuwendung zur Folge haben soll (ebenso Welser, Erbrechts-Kommentar § 725 Rz 2; ders, Anmerkungen zum ErbRÄG 2015, NZ 2018, 1 [7]; Mondel/Knechtel in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.04 § 725 Rz 2; Niedermayr in Schwimann/Kodek 5 § 725 ABGB Rz 5; Wibiral, Anm zu 2 Ob 76/21x, JEV 2021/20, 189; anders jedoch Christandl/Nemeth, Das neue Erbrecht – ausgewählte Einzelfragen, NZ 2016, 1 [4]; Fischer-Czermak in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht [2015] 32).
[12] 3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 725 Abs 1 ABGB, muss sich der Wille des Erblassers, dass eine letztwillige Zuwendung auch im Fall der Auflösung der Ehe oder der Lebensgemeinschaft aufrecht bleiben soll, aus der Auslegung der letztwilligen Verfügung ergeben und daher in deren Wortlaut zumindest angedeutet sein (RS0132603). Ein Teil der Lehre vertritt jedoch die Auffassung, dass zumindest in jenen Fällen, in denen die Ehe oder Lebensgemeinschaft erst nach der letztwilligen Verfügung begründet wurde, der Beweis zuzulassen sei, dass die letztwillige Verfügung nicht durch die Angehörigenstellung motiviert war (Schauer in Deixler‑Hübner , Handbuch Familienrecht 2 [2020] 776; Fischer‑Czermak, Letztwillige Begünstigung und Wegfall der Angehörigenstellung EF‑Z 2021/106, 255; Christandl, Aufhebung letztwilliger Verfügungen bei Auflösung der Ehe/eingetragenen Partnerschaft/Lebensgemeinschaft, EF‑Z 2022/5, 17). Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits zu 2 Ob 76/21x ausgesprochen, dass auch in einer letztwilligen Verfügung, die vor Eingehen der Ehe oder Lebensgemeinschaft errichtet wurde, schon im Interesse der Rechtssicherheit zumindest angedeutet sein muss, dass die Zuwendung nicht auf einer persönlichen Nahebeziehung beruht, widrigenfalls sich unsichere Beweisführungen zum oft weit in der Vergangenheit liegenden Motiv des Verstorbenen im Anwendungsbereich des § 725 Abs 1 ABGB von vornherein erübrigen.
[13] 4. Mitunter wird die Auffassung vertreten, dass ein solcher Gegenbeweis zulässig sei, wenn erst die Scheidungsklage eingebracht wurde und die Ehe noch aufrecht ist, weil § 725 Abs 2 ABGB für diesen Fall – anders als § 725 Abs 1 ABGB – vorsieht, dass die letztwillige Anordnung „im Zweifel“ aufgehoben wird (vgl Welser,Erbrechtskommentar, § 725 ABGB Rz 6, Deixler-Hübner in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 118 [mit Hinweis auf Wertungswidersprüche], Bahar, Zur Aufhebung von vor der Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft errichteten letztwilligen Verfügungen nach deren Auflösung, AnwBl 2021/329, 684). Da aber auch § 725 Abs 2 ABGB auf dem Gedanken beruht, dass eine Aufrechterhaltung der Zuwendung dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen widersprechen würde, muss die Regelung in § 725 Abs 2 ABGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen in gleicher Weise wie § 725 Abs 1 ABGB ausgelegt werden (Umlauft/Huf in Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Klang 3 § 725 ABGB Rz 12; Musger in KBB7 § 725 ABGB Rz 6). Der Ehepartner kann die Begünstigung daher auch im Fall des § 725 Abs 2 ABGB nur beanspruchen, wenn in der letztwilligen Verfügung ein Hinweis enthalten ist, dass die Zuwendungen auch im Fall der Auflösung der Ehe gebühren soll. Da die letztwillige Verfügung, auf die sich die Klägerin beruft, keinen solchen Hinweis enthält, musste das Erstgericht auch keine Feststellungen dazu treffen, ob eine spätere Ehe oder Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bereits absehbar war oder nicht, sodass der von der Klägerin geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel zu verneinen ist.
[14] 5. Schließlich meint die Klägerin, dass auch der Grund für die von ihr erhobene Scheidungsklage zu berücksichtigen sei und das Alleinverschulden des Verstorbenen an der Zerrüttung der Ehe zum Fortbestand des Vermächtnisses führen müsse. Dem ist entgegenzuhalten, dass die letztwillige Zuwendung nach der ausdrücklichen Anordnung in § 725 Abs 2 ABGB unabhängig davon erlischt, ob die Scheidungsklage vom Verstorbenen oder von der bedachten Person eingebracht wurde. Dies kann nur so verstanden werden, dass die letztwillige Zuwendung auch unabhängig davon aufgehoben wird, wer das Scheitern der Ehe veranlasst hat. § 725 ABGB hat nämlich keine Pönalfunktion, sondern rechtfertigt sich im mutmaßlichen Willen des Verstorbenen, der seinen Ehepartner nach dem Scheitern der Ehe typischerweise selbst dann nicht mehr begünstigen will, wenn die Scheidungsklage berechtigt ist, weil er die Zerrüttung der Ehe selbst verschuldet hat. In einem solchen Fall verliert der überlebende Ehepartner – sofern der Verstorbene nichts Gegenteiliges angeordnet hat – seine Ansprüche aus einer letztwilligen Zuwendung, behält aber, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Todes noch aufrecht war, sein gesetzliches Erbrecht.
[15] 6. Da sich aus der letztwilligen Verfügung vom 26. 3. 2017 nicht ergibt, dass das Vermächtnis zu Gunsten der Klägerin auch im Fall der Auflösung der Ehe oder der Lebensgemeinschaft aufrecht bleiben soll, führte die von der Klägerin eingebrachte Scheidungsklage nach § 725 Abs 2 ABGB zur Aufhebung des Vermächtnisses, sodass die auf Übertragung des Eigentums am Haus und der Konten in der Schweiz gerichtete Klage abzuweisen war.
[16] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 Abs 1 ZPO.
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