OGH 5Nc7/24k

OGH5Nc7/24k27.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder J*, geboren am *, wohnhaft beim Vater R*, D*, geboren am *, Jo*, geboren am *, und Jon*, geboren am *, alle wohnhaft bei der Mutter S*, AZ 36 Pu 96/23w des Bezirksgerichts Floridsdorf, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050NC00007.24K.0327.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 21. November 2023, GZ 36 Pu 96/23w‑7, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Deutschlandsberg wird hinsichtlich der minderjährigen D*, Jo* und Jon* genehmigt, hinsichtlich des minderjährigen J* hingegen nicht genehmigt.

 

Begründung:

[1] Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 12. April 2023 einvernehmlich geschieden. Die Obsorge kommt beiden Elternteilen zu, wobei sich nach dem Inhalt der Scheidungsfolgenvereinbarung die Kinder hauptsächlich bei der Mutter aufhalten würden.

[2] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 9. Mai 2023 wurde der vom Vater an die Minderjährigen zu zahlende monatliche Unterhaltsbeitrag im Hinblick auf seine aus gesundheitlichen Gründen verminderte Leistungsfähigkeit auf jeweils 30 EUR pro Kind herabgesetzt.

[3] Am 13. 11. 2023 beantragte die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg als von der Mutter hiezu gemäß § 208 Abs 2 ABGB ermächtigte besondere Vertreterin beim Bezirksgericht Deutschlandsberg die Erhöhung der monatlichen Unterhaltsbeiträge für die mj D* auf 261 EUR, den mj Jo* auf 212 EUR und den mj Jon* auf 179 EUR. Diese drei Kinder seien in Pflege und Erziehung der Mutter an deren Adresse *. Erwähnt wurde eine weitere Sorgepflicht des Vaters für den bereits volljährigen S*, geboren *, nicht hingegen gegenüber dem mj J*.

[4] Das Bezirksgericht Deutschlandsberg leitete den Antrag zuständigkeitshalber dem Bezirksgericht Floridsdorf zur (damaligen) AZ 13 Pu 141/23v weiter. Dieses holte Meldeauskünfte der Minderjährigen ein, aus denen sich ergab, dass zwar die mj D*, der mj Jo* und der mj Jon* an die neue Adresse der Mutter verzogen waren, nicht hingegen der mj J*, der weiter unter der (damaligen) Adresse des Vaters gemeldet war.

[5] Daraufhin beschloss das Erstgericht die Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache hinsichtlich aller vier Kinder an das Bezirksgericht Deutschlandsberg mit der Begründung, diese hielten sich nun ständig in dessen Sprengel auf.

[6] Das Bezirksgericht Deutschlandsberg holte neuerlich Meldeauskünfte ein, wobei sich daraus eine Meldung des mj J* unter der Adresse des Vaters,* ab 5. Jänner 2024 ergab. Daraufhin stellte es seinen Akt dem Bezirksgericht Floridsdorf unter Hinweis darauf zurück und ersuchte um einen Übertragungsbeschluss nur die Kinder mj D* und mj Jo* betreffend, weil nur diese gemeinsam mit der Kindesmutter unter der Anschrift * gemeldet seien. Der mj J* sei an der Adresse des Vaters gemeldet.

[7] Nach dem Aktenvermerk vom 29. Jänner 2024 über das Telefonat zwischen den zuständigen Rechtspflegern des Bezirksgerichts Floridsdorf und Deutschlandsberg stellte letzteres klar, die Pflegschaftssache N* hinsichtlich der Kinder mj D*, mj Jo* und mj Jon* zu übernehmen, nicht jedoch für den mj J*.

[8] Daraufhin veranlasste das Bezirksgericht Floridsdorf die Zustellung seines Übertragungsbeschlusses an die Eltern und die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg. Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen.

[9] In weiterer Folge legte das Bezirksgericht Floridsdorf den Akt mit dem Ersuchen um Entscheidung über den Zuständigkeitskonflikt mit der Bemerkung vor, es sei wenig sinnvoll die Zuständigkeit über die Pflegschaftssache an zwei unterschiedliche Gerichte zu übertragen, zumal sich nach der ständigen Rechtsprechung die Zuständigkeit in Pflegschaftssachen bei Kindern, die in unterschiedlichen Bezirksgerichtssprengeln wohnhaft seien, nach dem jüngsten Kind richte, weil dieses am längsten auf den Unterhalt angewiesen sein werde.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Zuständigkeitsübertragung ist für die mj D*, den mj Jo* und den mj Jon* zu genehmigen, nicht hingegen für den mj J*.

[11] 1. Wenn es im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil an ein anderes Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Die Übertragung wird wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt. Im Fall der Weigerung des anderen Gerichts bedarf die Übertragung zur Wirksamkeit der Genehmigung des beiden Gerichten zunächst übergeordneten Gerichtshofs (§ 111 Abs 2 JN), dies ist im vorliegenden Fall der Oberste Gerichtshof.

[12] 2. Ein formeller Ablehnungsbeschluss ist im Fall von Meinungsverschiedenheiten über die Übertragung zwischen den beteiligten Gerichten nicht erforderlich (6 Nc 13/09b mwN). Aus der Begründung der „Verfügung“ des Bezirksgerichts Deutschlandsberg und dem Aktenvermerk über das Telefonat der beteiligten Entscheidungsorgane geht die Ablehnung der Übernahme der Zuständigkeit für den mj J* eindeutig hervor.

[13] 3. Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN ist stets das Kindeswohl (RS0047074). Nach ständiger Rechtsprechung wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am Besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RS0047300). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausständige Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RS0047032).

[14] 4. Zwar wird es in der Regel zweckmäßig sein, wenn die Pflegschaft für mehrere Kinder aus einer Ehe bei einem Gericht geführt wird, um eine Aufsplittung der Pflegschaftsverfahren zu vermeiden (6 Nc 10/05f; 6 Nc 13/09b; 2 Nc 1/09h). Immer wieder wurde aber auch eine Zuständigkeitsübertragung hinsichtlich nur eines von mehreren Geschwistern genehmigt, wenn sich deren Lebensmittelpunkte in verschiedenen Bezirksgerichtssprengeln befanden (6 Nc 4/17s mwN). Gerade bei fortgeschrittenem Alter von Minderjährigen und deren getrennten Wohnsitzen gepaart mit dem Umstand, dass das Verfahren ausschließlich Fragen von Unterhalt und Unterhaltsvorschüssen betraf, erachtete der Oberste Gerichtshof im Hinblick darauf, dass die Notwendigkeit einer wechselseitigen Abstimmung von Maßnahmen oder ein besonderer Informationsaustausch nicht im Vordergrund stehen, die Aufteilung der für Geschwister geführten Pflegschaftssache für zweckmäßig (8 Nc 31/15y). Dies gilt auch hier.

[15] 5. Der mj J* wird im Juni 15 Jahre alt und hält sich nach der Aktenlage nun hauptsächlich beim Vater auf, was auch der Grund dafür gewesen sein dürfte, dass die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg ihren Unterhaltserhöhungsantrag auf die mj D*, den mj Jo* und den mj Jon* beschränkte. Ein offener Antrag in Bezug auf den mj J* liegt aktuell nicht vor, die Notwendigkeit einer wechselseitigen Abstimmung von Maßnahmen zwischen den beteiligten Pflegschaftsgerichten ist – jedenfalls derzeit – nicht erkennbar. Es liegt daher zwar jedenfalls im Interesse des Kindeswohls der mj D*, des mj Jo* und des mj Jon*, dass das Verfahren über die für sie beantragte Unterhaltserhöhung bei dem Pflegschaftsgericht geführt wird, in dem sie sich nun dauerhaft aufhalten. Beim mj J* ist eine solche Notwendigkeit hingegen nicht zu erkennen.

[16] 6. Der Hinweis auf eine Praxis, wonach sich die örtliche Zuständigkeit nach dem jüngsten Kind zu richten habe, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage (6 Nc 4/17s).

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