OGH 9Nc2/24d

OGH9Nc2/24d6.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. A*, geboren *2016, und 2. M*, geboren *2018, AZ 2 Ps 110/23h des Bezirksgerichts Feldkirchen, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090NC00002.24D.0306.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirchen vom 12. Jänner 2024, GZ 2 Ps 110/23h‑26, gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Haag wird genehmigt.

 

Begründung:

[1] Die beiden Minderjährigen sind die Kinder von S* und M*. Der Mutter steht die Obsorge alleine zu. Nach der Trennung hatten alle Beteiligten ihren Wohnsitz zunächst im Sprengel des Bezirksgerichts Feldkirchen. Ende 2023 ist die Mutter mit den Kindern in den Sprengel des Bezirksgerichts Haag übersiedelt. Der Vater wohnt weiterhin im Sprengel des Bezirksgerichts Feldkirchen.

[2] Der Vater hat die gemeinsame Obsorge und die Festlegung des hauptsächlichen Aufenthaltsorts bei sich beantragt. Dazu wurde die Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychologie zur Überprüfung der Erziehungsfähigkeit der Mutter und zur Beurteilung des Kindeswohls begehrt. Die Mutter sprach sich gegen die Anträge des Vaters aus und beantragte die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN an das Wohnsitzgericht der Kinder.

[3] Das Bezirksgericht Feldkirchen sprach daraufhin mit – zwischenzeitig rechtskräftigem – Beschluss vom 12. Jänner 2024 aus, dass die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN dem Bezirksgericht Haag übertragen wird, in dessen Sprengel die Minderjährigen nun ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten.

[4] Das Bezirksgericht Haag lehnte die Übernahme des Akts mit der Begründung ab, dass über den offenen Obsorgeantrag bereits verhandelt worden sei. Auch sei der Antrag auf Übertragung des hauptsächlichen Aufenthalts beim Vater gerichtet, der aber im Sprengel des Bezirksgerichts Feldkirchen lebe.

Rechtliche Beurteilung

[5] Das Bezirksgericht Feldkirchen legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

[6] 1. Das Pflegschaftsgericht kann gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[7] 2. Die Voraussetzungen für eine Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 JN liegen in der Regel dann vor, wenn die Pflegschaftssache jenem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Pflegebefohlenen liegt (RS0047027 [T10]).

[8] 3. Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RS0047032). Bei einem unerledigten Obsorgeantrag kann eine Zuständigkeitsübertragung zwar unzweckmäßig sein, weil noch nicht feststeht, ob das Kind überhaupt im Sprengel des Gerichts bleiben wird, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll (RS0047027 [T2]). Eine Entscheidung durch das bisher zuständige Gericht ist aber auch in diesen Fällen nur dann sinnvoll, wenn dieses bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht (RS0047027 [T3, T19]). Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob und wie lange sich das bisher zuständige Gericht um die Ermittlung von Sachverhaltsgrundlagen bemüht hat, sondern ausschließlich darauf, welches Gericht eher in der Lage ist, die aktuelle Lebenssituation aller Beteiligten zu erforschen und zu beurteilen (RS0047027 [T7]; RS0047032 [T41]). Nur dann ist es für den Pflegebefohlenen von Vorteil, dass das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet.

[9] 4. Im vorliegenden Fall sind Gründe, warum eine Entscheidung durch das bisher zuständige Bezirksgericht Feldkirchen zweckmäßiger sein sollte, nicht ersichtlich. Allein dass bereits eine Tagsatzung stattgefunden hat, bei der im Wesentlichen nur eine Klarstellung des jeweiligen Standpunkts und eine Regelung des Kontaktrechts erfolgte, ändert daran nichts. Damit hat es bei der allgemeinen Regel zu bleiben, dass das Naheverhältnis zwischen den Pflegebefohlenen und dem Gericht von wesentlicher Bedeutung und daher jenes Gericht besser geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.

[10] 5. Die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Haag ist daher zu genehmigen.

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