OGH 12Os129/23x

OGH12Os129/23x29.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Februar 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. De Rijk in der Strafsache gegen S* N* und eine Angeklagte wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten S* N* und E* N* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. Juni 2023, GZ 25 Hv 5/23h‑59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00129.23X.0229.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Über die Berufungen hat das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden.

S* N* und E* N* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden S* N* und E* N* jeweils des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB (I./), letztere überdies der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in G*

I./ S* N* und E* N* ab August 2016 bis zum 12. Dezember 2020, sohin eine längere Zeit hindurch und die Dauer von einem Jahr übersteigend, gegenüber unmündigen Personen fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar

1./ gegen die am 13. Dezember 2005 geborene A* N*

a./ durch fortdauernde Körperverletzungen (§ 83 Abs 1 StGB) und Misshandlungen, indem sie A* N* in regelmäßigen Abständen und in einer Vielzahl von Angriffen aus nichtigen Gründen, weil sie etwa entgegen ihrer Anweisungen fernsah, anschrien und ihr Schläge mit der flachen Hand, der Faust und verschiedenen Gegenständen gegen den ganzen Körper versetzten, wobei

i./ S* N* sie zumindest ein bis zwei Mal im Monat vorwiegend mit der flachen Hand ins Gesicht, teils aber auch mit einem zusammengefalteten Gürtel oder langen Schuhlöffeln auf die Hände und Arme schlug, wobei die Taten zum Teil Hämatome und Schwellungen, beim Schlag mit dem Gürtel auch eine Verkrümmung des kleinen Fingers, zur Folge hatten und

ii./ E* N* sie bis zu drei oder vier Mal pro Woche mit der flachen Hand, mit der Faust und mit langen Schuhlöffeln schlug, wobei die Taten zum Teil Hämatome und Schwellungen zur Folge hatten, sowie ihr die Haare kurz abschnitt oder sie dazu zwang, sich diese immer wieder kurz schneiden zu lassen,

b./ durch Freiheitsentziehungen (§ 99 Abs 1 StGB), indem E* N* sie mehrmals über Stunden hinweg in ihrem Zimmer einsperrte;

2./ gegen den am 16. September 2011 geborenen D* N*

a./ durch fortdauernde Körperverletzungen (§ 83 Abs 1 StGB) und Misshandlungen, indem sie ihm in regelmäßigen Abständen und in einer Vielzahl von Angriffen etwa ein bis zwei Mal pro Woche Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht und auf den Rücken versetzten sowie ihm mit langen Schuhlöffeln auf die Hände schlugen;

b./ durch Freiheitsentziehungen (§ 99 Abs 1 StGB), indem E* N* ihn mehrmals über Stunden hinweg in seinem Zimmer einsperrte;

II./ E* N* von Dezember 2018 bis zum 12. Dezember 2019 mit ihrer am 13. Dezember 2005 geborenen und sohin unmündigen Adoptivtochter A* N* dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, indem sie ihr etwa ein bis zwei Mal pro Woche einen oder zwei Finger in die Vagina einführte, um „nachzusehen“, ob die Genannte noch Jungfrau sei;

III./ E* N* durch die Tathandlungen laut Punkt II./ ab Dezember 2018 bis zum 12. Dezember 2019 mit ihrem minderjährigen Wahlkind unter Ausnützung ihrer Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Ihre dagegen – gemeinsam ausgeführten – Nichtigkeitsbeschwerden stützen die Angeklagten auf Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO. Sie schlagen fehl.

[4] Der Verfahrensrüge (Z 3) zuwider hat die Vorsitzende das Protokoll über die Vernehmung der Zeugin A* N* (ON 20) mit Einverständnis des Verteidigers (ON 56 S 5) im Sinn des § 252 Abs 2a StPO vorgetragen (ON 56 S 7), sodass die Angaben der genannten Zeugin zu Recht im Urteil Berücksichtigung fanden. Auf das behauptete fehlende Einverständnis der Staatsanwaltschaft zu den Verlesungen können sich die Beschwerdeführer schon deshalb nicht berufen, weil sich ein derartiger Verstoß nicht zu deren Nachteil ausgewirkt hätte (§ 281 Abs 3 StPO; vgl auch Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 747).

[5] Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen kann die Rechtsmittelkritik, wonach in der Hauptverhandlung am 13. Juni 2023 (ON 56) die Ton- und Bildaufnahme der kontradiktorischen Vernehmung nur auszugsweise vorgespielt worden sei, mangels Beschwer auf sich beruhen (vgl RIS‑Justiz RS0112877; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 234). Davon abgesehen erfolgte diese teilweise Vorführung ohnedies mit Einverständnis der Angeklagten (ON 56 S 3).

[6] Soweit die Mängelrüge (nominell Z 5 fünfter Fall) Widersprüche zwischen den Angaben des Opfers und den von den Angeklagten vorgelegten Lichtbildern in Bezug auf die Zufügung von Verletzungen behauptet, zeigt sie eine fehlerhafte Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln nicht auf (vgl RIS‑Justiz RS0099431; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.133). Vielmehr bekämpft die Beschwerde bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

[7] Die zum Schuldspruch II./ erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) ignoriert zum einen prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 8) und macht darüber hinaus nicht klar, aus welchem Grund der Umstand, dass das Motiv der Angeklagten auf Überprüfung der Jungfräulichkeit des Opfers gerichtet war, einer Tatbeurteilung nach § 206 Abs 1 StGB entgegen stehen soll (vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0094905 [insb T20, T21]).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[9] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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