European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00159.23F.0131.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Im Verfahren AZ 13 Hv 29/23y des Landesgerichts Linz verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 18. Oktober 2023, AZ 10 Ns 19/23d, § 37 Abs 3 iVm Abs 2 erster Satz erster Fall StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird ausgesprochen, dass für die Durchführung des Strafverfahrens über den von der Staatsanwaltschaft Linz am 9. Mai 2023, AZ 1 St 6/23a, gegen A* S* eingebrachten Strafantrag das Landesgericht Steyr zuständig ist.
Gründe:
[1] Am 16. Jänner 2023 brachte die Staatsanwaltschaft Steyr gegen A* S* eine Anklageschrift beim Landesgericht Steyr als Schöffengericht, AZ 11 Hv 5/23z, ein. Am 28. Februar 2023 wurde die Rechtswirksamkeit dieser Anklageschrift festgestellt.
[2] Am 9. Mai 2023 brachte die Staatsanwaltschaft Linz den hier relevanten Strafantrag (ON 8) gegen S* beim Landesgericht Linz, AZ 13 Hv 29/23y, ein. Mit Verfügung vom 13. Mai 2023 ordnete der Einzelrichter hinsichtlich dieses Strafantrags die Hauptverhandlung für den 30. Juni 2023 an (ON 1.5).
[3] Am 5. Juni 2023 erging gegen S* das Urteil im Verfahren AZ 11 Hv 5/23z des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht, welches sogleich in Rechtskraft erwuchs.
[4] Am 26. Juni 2023 verfügte der Einzelrichter im Verfahren AZ 13 Hv 29/23y des Landesgerichts Linz die Abberaumung der Hauptverhandlung (ON 1.10) und am 29. Juni 2023 die Abtretung dieses Verfahrens an das Landesgericht Steyr als Schöffengericht zur Einbeziehung in dessenVerfahren AZ 11 Hv 5/23z (ON 1.11).
[5] Das sich für nicht zuständig erachtende Landesgericht Steyr legte die Strafsache gemäß § 38 StPO dem Oberlandesgericht Linz zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts vor.
[6] Mit Beschluss vom 18. Oktober 2023, AZ 10 Ns 19/23d, sprach das Oberlandesgericht Linz aus, dass das Landesgericht Linz für die Führung des Verfahrens über den bezeichneten Strafantrag zuständig sei (ON 18.1).
[7] Esbegründete seine Entscheidung damit, dass das Strafverfahren des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht im Zeitpunkt der Abtretungsverfügung des Einzelrichters des Landesgerichts Linz bereits abgeschlossen gewesen sei. Das einzubeziehende Strafverfahren bzw dessen bevorstehende Abtretung sei für das Landesgericht Steyr im Zeitpunkt der Erledigung des eigenen Verfahrens auch nicht erkennbar gewesen; eine Nachforschungspflicht habe nicht bestanden. Solcherart hätte dieses Gericht keine Möglichkeit und demzufolge keine Kompetenz gehabt, diese Verfahren zu verbinden und gemeinsam zu führen; die objektiven Voraussetzungen dafür hätten nicht mehr vorgelegen (BS 2 f).
Rechtliche Beurteilung
[8] Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf, dass dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang steht:
[9] Sind gegen einen Angeklagten mehrere rechtswirksame Anklagen gleichzeitig anhängig, ist das für alle diese Verfahren zuständige Gericht nach § 37 Abs 3 iVm Abs 2 StPO zu ermitteln. Für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung in Bezug auf die hier relevante örtliche Zuständigkeit genügt, dass die Voraussetzungen der Verfahrensverbindung nach § 37 Abs 3 StPO zu irgendeinem Zeitpunkt objektiv vorlagen (RIS‑Justiz RS0132460).
[10] Ob diese Voraussetzungen auch noch im Zeitpunkt der Abtretungsverfügung vorliegen, ist dagegen nicht von Bedeutung. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob für die beteiligten Gerichte erkennbar ist, dass zu verbindende Strafverfahren geführt werden oder eine Abtretung bereits verfügt wurde, weil für die örtliche Zuständigkeit die objektiv vorliegenden Umstände maßgebend sind.
[11] Unterbleibt eine Verfahrensverbindung, etwa weil das für die Zuständigkeit ausschlaggebende Verfahren davor erledigt wurde, bleibt dennoch jenes Gericht auch für das „einzubeziehende“ Verfahren örtlich zuständig, in dessen Kompetenz die Verbindung und gemeinsame Verfahrensführung gefallen wäre (erneut RIS‑Justiz RS0132460).
[12] Aufgrund der rechtswirksamen Anklageschrift und des positiven, durch die Anordnung der Hauptverhandlung dokumentierten Abschlusses der Vorprüfung des Strafantrags durch den Einzelrichter (RIS‑Justiz RS0132157), waren gegen S* ab 13. Mai 2023 gleichzeitig zwei rechtswirksame Anklagen anhängig. Das Landesgericht Steyr als Schöffengericht wäre als höherrangiges Gericht zur Verbindung und gemeinsamen Führung der Verfahren zuständig gewesen (§ 37 Abs 3 letzter Satz iVm Abs 2 erster Satz erster Fall StPO). Da die zwischenzeitige Erledigung des Schöffenverfahrens an der bereits begründeten örtlichen Zuständigkeit nichts ändert, ist das Landesgericht Steyr weiterhin auch für das Verfahren über den Strafantrag örtlich zuständig.
[13] Der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz verletzt daher § 37 Abs 3 iVm Abs 2 erster Satz erster Fall StPO.
[14] Da ein dem Angeklagten nachteiliger Einfluss dieser Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, war deren Feststellung mit der im Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
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