OGH 6Ob155/23x

OGH6Ob155/23x20.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D*, 2. R*, beide *, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1. I* GmbH, *, 2. D * AG *, beide vertreten durch Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwalt in Linz, wegen 366.920,58 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. Juni 2023, GZ 1 R 77/23h‑52, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 4. April 2023, GZ 1 Cg 71/21p‑47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00155.23X.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien die mit 4.062,93 EUR (darin 677,15 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen wiesen das primär auf einen Diagnosefehler gestützte Klagebegehren ab, weil ein durchschnittlicher Facharzt für Radiologie die anlässlich einer Magnetresonanz‑Tomographie des Gehirnschädels am Kleinhirnwurm des Patienten (des zwischenzeitig verstorbenen Sohnes des Klägers) zwar erkennbare, aber äußerst diskrete Veränderung ex ante als nicht pathologisch befundet hätte.

Rechtliche Beurteilung

[2] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts ist die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1. Ärzte haben nach § 1299 ABGB den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene (am objektiven Standard des besonderen Fachs zu messende [RS0021335]) Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird (RS0038202). Der Sorgfaltsmaßstab darf aber auch nicht überspannt werden (RS0026535).

[4] Da hier von einem durchschnittlichen Radiologen die äußerst diskrete Veränderung am Kleinhirnwurm (als Zufallsbefund) ex ante lege artis nicht als pathologisch zu befunden gewesen war, ist eine auf einen Diagnosefehler gestützte Haftung von den Vorinstanzen zutreffend verneint worden (vgl 6 Ob 233/17h; 4 Ob 111/22k).

[5] 2. Nachdem sich im Verfahren aufgrund des Sachverständigengutachtens abgezeichnet hatte, dass ein (vorwerfbarer) Diagnosefehler des Arztes der Erstbeklagten aus Sicht ex ante nicht vorlag (was mittlerweile feststeht), brachten die Kläger vor, die Klage werde nun darauf gestützt, dass der Patient seitens der (Ärzte der) Erstbeklagten (ein MRT‑Institut) darüber hätte aufgeklärt werden müssen, dass er bei anhaltenden Beschwerden (gleich oder sechs Monate später) einen neuen MRT‑Befund einholen solle und dass die Diagnose eine Fehlerquote von 4 bis 30 % aufweise.

[6] 3. Erkennt ein Arzt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, muss er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinweisen (RS0026578 [T4]; RS0026413 [T5]). Die Aufklärung soll dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Grundlagen liefern (vgl RS0026413 [T3]).

[7] Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht (vgl dazu im Allgemeinen RS0026578) hängt aber stets von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RS0026529 [T18, T21]; RS0026763 [T1, T2, T5]). Dazu zählen etwa der konkrete zwischen dem Arzt und dem Patienten abgeschlossene Behandlungsvertrag (zur Einzelfallabhängigkeit von dessen Auslegung siehe 7 Ob 1/23g [Rz 7]), die vom Patienten geschilderten Symptome, das jeweilige Krankheitsbild samt der Dringlichkeit erforderlicher Maßnahmen, die Erheblichkeit bestimmter Risken sowie Alter und (sonstiger) Zustand des Patienten. Diese Grundsätze gelten auch für die Frage der Aufklärung über die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen zur Abklärung der Ursache(n) von (noch ungeklärten) Beschwerden des Patienten.

[8] 4. Ausgehend davon lassen sich aus dem zur Beurteilung anstehenden Fall keine generellen Schlüsse mit über den Einzelfall hinausgehender Reichweite ziehen.

[9] Soweit die Revision Rechtsprechung zitiert, wonach die ärztliche Aufklärungspflicht bei einem Eingriff in die körperliche Integrität mit dem typischerweise gewisse Risken verbunden sind, verschärft ist (RS0026340), erklärt sie schon nicht, inwiefern hier ein Eingriff in die körperliche Integrität vorlag, noch weniger, welche durch den Eingriff (selbst) hervorgerufene Folge sich (als Risiko, über das aufzuklären gewesen wäre) nachteilig beim Patienten verwirklicht hätte. In dem zu 9 Ob 72/17d entschiedenen Fall ging es um die Einwilligung des damaligen Patienten in eine seine körperliche Integrität verletzende Operation und die Verwirklichung eines speziell dem geplanten Eingriff anhaftenden, typischen (behandlungsimmanenten) Risikos. Jener Fall ist daher – anders als die Revision meint – nicht mit dem vorliegenden vergleichbar.

[10] 5. Bei der auch im medizinischen Bereich immer öfters vorkommenden Arbeitsteilung zwischen mehreren Ärzten hat eine stufenweise – fachbezogene – Aufklärung stattzufinden; sie muss (und kann) aber nicht über den eigenen medizinischen Verantwortungsbereich hinausreichen (Memmer in Aigner/Kletecka/Pulker/Memmer Handbuch Medizinrecht [2023] I/3.5.4.). Selbstredend umfasst die Aufklärungspflicht des Arztes (auch bei an ihn herangetragener eingegrenzter Fragestellung in Richtung einer bestimmten Erkrankung) die Information über einen in sein Fachgebiet fallenden und anlässlich einer Untersuchung erkannten Zufallsbefund (als andere als die bisher vermutete Ursache oder als Ursache einer bis dahin nicht entdeckten Erkrankung). Ein derartiger „Zufallsbefund“ (in Richtung Tumor) hat sich aber im konkreten Fall für den Radiologen nicht ergeben. Die technische Durchführung der Untersuchung war lege artis erfolgt und die Diagnose aus einer Sicht ex ante nicht fehlerhaft.

[11] Die näheren Umstände des konkreten Behandlungsvertrags sind hier nicht bekannt. Ob überhaupt und welche Beschwerden der Patient gegenüber dem Radiologen geäußert hatte, lässt sich dem Sachverhalt (und dem Vorbringen) nicht entnehmen. Der Patient befand sich aus Sicht des Radiologen schon in Behandlung eines anderen (des zuweisenden) Facharztes. Grundlage seiner Tätigkeit war das Ersuchen des Neurologen um (radiologische) Abklärung in Richtung auf „Hinweise für Enc. Diss?“ (Multiple Sklerose) wegen des Vorliegens eines (unspezifischen) „Fatigue-Syndroms“ als Symptomatik (RS0121557 [T3]).

[12] Es steht fest, dass es für den Bereich der Radiologie nicht üblich ist, auf Fehlerquoten des Befundergebnisses hinzuweisen oder darüber aufzuklären. Ebenso ist es nicht üblich darüber aufzuklären, dass dann, wenn sich die Krankheitssymptome nicht ändern, nochmals eine MRT‑Untersuchung gemacht werden solle.

[13] 6. Warum hier – aus Sicht ex ante – eine Wiederholung der konkreten MRT‑Untersuchung (also eine neuerliche Abklärung in Richtung des Verdachts Multiple Sklerose) geboten gewesen wäre, haben die Kläger nicht dargelegt. So etwa nicht, dass aufgrund einer bestimmten Symptomatik des Patienten eine Vermutung in Richtung des Vorliegens eines Tumors im Gehirn bestanden und der Patient dem Radiologen solche Symptome geschildert hätte. Anhaltspunkte dafür, dass der Radiologe im vorliegenden Fall pflichtgemäß zu einer zeitnahen weiteren (anderen) Untersuchung raten hätte müssen – wie sie die Kläger in eine andere Richtung (Tumor) fordern –, lagen nicht vor. Solche ergeben sich auch nicht aus der von den Klägern behaupteten „Fehlerquote“ (besser wohl „Bandbreite“) „der Diagnose“. Es bleibt schon unklar, worauf die Kläger mit ihrem Vorbringen zur Unrichtigkeit „der Diagnose“ abzielen. Sollte die Unrichtigkeit in Bezug auf den vom zuweisenden Arzt geäußerten (und vom Radiologen abzuklärenden) Verdacht (Multiple Sklerose) gemeint gewesen sein, hätte sich eine dahingehende Unrichtigkeit nicht verwirklicht. Dem Radiologen kann aber angesichts der an ihn jeweils herangetragenen Fragestellung nicht abverlangt werden, bei seiner dieser Fragestellung folgenden Untersuchung und der darauf aufbauenden (wenn auch hier generell gefassten) Diagnose (eines „unauffälligen Befunds“) deren statistische Fehlerhaftigkeit in alle nur erdenklich möglichen Richtungen zu hinterfragen. Eine Forderung nach einem (generellen) Hinweis auf eine angeblich gegebene statistische Unrichtigkeit „der Diagnose“ im Ausmaß von 4 bis 30 % (in alle Richtungen, also für alle denkbaren und möglicherweise nicht erkannten Zufallsbefunde) würde die Aufklärungspflicht des Arztes überspannen. Der Patient erhielt mit der von den Klägern verlangten (und auf ihre Richtigkeit noch ungeprüften) pauschalen Aufklärung auch keine in bestimmte Richtung und damit für seinen konkreten Fall aussagekräftige Information vermittelt, sondern (nur) die Spannweite statischer Fehlerquoten betreffend vielgestaltiger (und mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit verborgen gebliebener) Geschehnisse genannt. Wäre der Patient darüber aufzuklären, welche überhaupt denkbaren (unterschiedlichsten) Krankheitsbilder bezogen auf die konkret untersuchte Stelle im Körper (hier im Gehirn) bei der konkret vorgenommenen Untersuchung jeweils mit welcher Wahrscheinlichkeit (soweit darüber aussagekräftige Statistiken bestehen) falsch beurteilt werden und daher unentdeckt bleiben, müsste ihm eine derartige Fülle von Informationen gegeben werden, dass ihm eine Einschätzung der Lage nicht ermöglicht, sondern erschwert würde. Dies würde die Aufklärungspflicht in unvertretbarer Weise ausdehnen (RS0026313 [T32]).

[14] Hinweise auf oder Aufklärungen über weitergehende (wiederholende) radiologische Untersuchungen (in unklare Richtungen), wie die Kläger sie fordern, sind dort nicht zu verlangen, wo nach den Umständen des konkreten Falls keine Anhaltspunkte oder konkreten Verdachtsmomente für eine durch eine solche Untersuchung feststellbare Erkrankung oder Verletzung vorliegen (10 Ob 23/15b; 6 Ob 233/17h; 1 Ob 16/22t [Rz 7]), wie dies auch hier der Fall war.

[15] 7. Gleiches gilt für den Vorwurf eines Pflichtverstoßes zum Fehlen der (ebenfalls unüblichen) Aufklärung, bei „anhaltenden Beschwerden“ (die hier nur in der Angabe „Fatigue‑Syndrom“ abgebildet waren) sogleich oder binnen sechs Monaten einen neuen MRT‑Befund einzuholen.

[16] Wieder fehlen Anhaltspunkte oder konkrete Verdachtsmomente für einen Facharzt der Radiologie, aufgrund deren er die Notwendigkeit einer neuerlichen MRT‑Untersuchung in knappem Abstand aufgrund der Symptomatik „Fatigue‑Syndrom“ hätte erkennen müssen. Dem Postulat, es sei grundsätzlich zur Wiederholung von bereits (lege artis) erfolgten Untersuchungen zu raten, kann nicht gefolgt werden.

[17] 8. Es fehlen daher weder Feststellungen noch liegt darin, dass die Vorinstanzen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände keinen Anlass für die Annahme eines haftungsbegründenden Verhaltens des Arztes der Erstbeklagten sahen, eine erhebliche Rechtsfrage.

[18] 9. Die Beklagten, die auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben, haben Anspruch auf Kostenersatz gemäß §§ 41, 50 ZPO. Für den Mehrbetrag über 363.360 EUR stehen nur 0,75vT zu.

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