OGH 4Ob79/23f

OGH4Ob79/23f19.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka und Dr. Parzmayr sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, Zweigniederlassung *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 29.190 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse [richtig] 12.310,22 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2023, GZ 5 R 145/21m‑80, mit welchem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 13. August 2021, GZ 13 Cg 80/17t‑71, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00079.23F.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Die Revision wird in Bezug auf den Betrag von 3.044,78 EUR sA zurückgewiesen und im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt zu lauten hat:

1. Der zwischen der klagenden und der beklagten Partei am 25. 1. 2013 abgeschlossene Kaufvertrag über das KFZ VW Sharan Sky BMT TDI, Fahrgestellnummer *, wird aufgehoben.

2. Die Klagsforderung besteht mit 29.190 EUR zu Recht.

3. Die Gegenforderung besteht mit 3.044,78 EUR zu Recht.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 26.145,22 EUR samt 4 % Zinsen pa aus 35.835 EUR vom 30. 1. 2013 bis 25. 10. 2017, aus 29.190 EUR vom 26. 10. 2017 bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung und aus 26.145,22 EUR ab Rechtskraft Zug um Zug gegen Rückgabe des VW Sharan Sky BMT TDI, Fahrgestellnummer * zu zahlen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 21.022,12 EUR (darin 2.390,52 EUR USt und 6.679 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger kaufte am 25. 1. 2013 bei der beklagten Händlerin einen Vorführwagen VW Sharan Sky BMT TDI um 35.835 EUR mit einem 2,0 l Dieselmotor des Typs EA189 der V* AG. Am 3. 4. 2017 wurde ein für den Kläger kostenfreies Software-Update durchgeführt.

[2] Der Kläger begehrt die Aufhebung des Kaufvertrags sowie die Rückabwicklung im Sinne einer Rückzahlung des Kaufpreises von 35.835 EUR samt 4 % Zinsen seit 30. 1. 2013 Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW, wobei er ein Benützungsentgelt von 6.645 EUR anrechnete, sodass die Kapitalforderung 29.190 EUR beträgt. Hilfsweise macht er einen Anspruch auf Preisminderung von 5.000 EUR geltend. Das Fahrzeug weise wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung Sach- und Rechtsmängel auf, das Software-Update habe daran nichts geändert. Einerseits sei dieses wegen des „Thermofensters“ ebenfalls als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren und würde nicht ausreichen, um die von der entsprechenden EU‑VO geforderten und vereinbarten Werte im realen Fahrbetrieb einzuhalten, andererseits würden daraus Folgeschäden und neue Mängel resultieren, weil es etwa zu einer Mehrbelastung von Bauteilen und einem erhöhten Verbrauch von Kraftstoff und AdBlue komme. In rechtlicher Hinsicht stützte sich der Kläger auf Gewährleistungs- und Irrtumsrecht sowie vertraglichen Schadenersatz, List und die Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 879 Abs 1 ABGB.

[3] Die Beklagte bestritt einen zur Wandlung bzw Anfechtung berechtigenden Mangel oder Irrtum des Klägers. Das in Abstimmung mit dem deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) im Wege des Software-Updates implementierte Thermofenster genüge sämtlichen technischen und rechtlichen Anforderungen. Die Beklagte wendete eine Gegenforderung von 19.990 EUR als weiteres Benützungsentgelt ein.

[4] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag antragsgemäß auf, sprach aus, dass die Klagsforderung mit 29.190 EUR und die Gegenforderung mit 19.990 EUR zu Recht bestehe, verpflichtete die Beklagte, dem Kläger 9.200 EUR samt 4 % Zinsen daraus seit 30. 1. 2013 Zug und Zug gegen Rückgabe des PKW zu zahlen und wies das Mehrbegehren von 19.990 EUR sowie ein Zinsenmehrbegehren ab. Es bejahte einen zur Wandlung iSd §§ 922, 932 ABGB berechtigenden Mangel. Die Umschaltlogik der ursprünglichen Programmierung des Abgasrückführ- (AGR) bzw Emissionskontrollsystems des PKW des Klägers sei als unzulässige Abschalteinrichtung iSd VO (EG) Nr 715/2007 und damit als nicht nur geringfügiger Sachmangel zu qualifizieren. Die Rechte aus der Gewährleistung seien auch nicht verjährt, weil das Software-Update als fristunterbrechender Verbesserungsversuch zu werten sei. Dieser sei jedoch nicht erfolgreich gewesen; das Software‑Update habe zu einer höheren AGR‑Rate und damit zu einer vermehrten Belastung des AGR‑Ventils geführt, wodurch sich dessen Haltbarkeit verringere. Auch der Partikelfilter werde nunmehr stärker belastet und falle häufiger aus und verschleiße bzw verstopfe schneller. Daraus würden eine gesteigerte Reparaturanfälligkeit und höhere Reparaturkosten folgen. Tatsächlich sei es beim PKW des Klägers zu einem höheren Kraftstoffverbrauch, einem Leistungsabfall und dem Ausfall bzw der stärkeren Beanspruchung einzelner Komponenten gekommen. Die Beklagte habe damit den ihr obliegenden Beweis einer geeigneten Mangelbehebung nicht erbracht. Der Kläger habe sohin einen Anspruch auf Aufhebung des Vertrags und Rückabwicklung, dem die Beklagte jedoch ein Benützungsentgelt entgegenhalten könne. Für dieses sei vom (angemessenen) Kaufpreis von 35.835 EUR der Händlereinkaufspreis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 28. 1. 2021 von 9.200 EUR abzuziehen, der bestehende Mängel am Fahrzeug berücksichtige. Daraus ergebe sich ein Benützungsentgelt von 26.635 EUR, sodass die Gegenforderung der Beklagten – unter Anrechnung des bereits in der Klage vorgenommenen Abzugs von 6.645 EUR – mit 19.990 EUR zu Recht bestehe.

[5] Das Berufungsgericht unterbrach zunächst das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x gestellte Vorabentscheidungsersuchen und gab nach der Fortsetzung des Berufungsverfahrens der Berufung des Klägers teilweise folge. Es erachtete angesichts der Besonderheiten des konkreten Einzelfalls – etwa wegen der objektiven Nutzungsbeeinträchtigungen seit dem Update und des laufenden zeitbedingten Wertverlusts – das vom Erstgericht mit 26.635 EUR festgelegte Benützungsentgelt als überhöht, reduzierte dieses gemäß § 273 ZPO auf 22.000 EUR und gelangte so auf eine Gegenforderung von bloß 15.355 EUR und folglich auf einen Zuspruch von 13.835 EUR. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht im Hinblick auf die über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfragen bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen über vom „Abgasskandal“ betroffenen Kfz für zulässig.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich die – von der Beklagten beantwortete – Revision des Klägers mit dem Antrag, der Klage zur Gänze stattzugeben. Der Oberste Gerichtshof habe nämlich in einem gleichgelagerten Fall (10 Ob 2/23a) die Berechnung des Nutzungsentgelts nach der linearen Berechnungsmethode als angemessen erachtet.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist aus dem vom Kläger aufgezeigten Grund zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

[8] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Grundsatzentscheidung zu 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023, der sich bereits mehrere Senate angeschlossen haben (vgl RS0134263), ausführlich mit der Berechnung des Benützungsentgelts auseinandergesetzt. Danach ist der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen.

[9] 1.2. Das Berufungsgericht ist mit seiner Berechnung des Benützungsentgelts auf Grundlage des Händlereinkaufspreises unter Heranziehung des § 273 ZPO von der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgegangen.

[10] 2.1. Die Berechnungsmethode laut der zitierten Entscheidung – der sich der Senat anschließt – lautet wie folgt: Der Gebrauchsnutzen ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen.

[11] 2.2. Die Berechnung erfolgt daher im konkreten Fall wie folgt: Gebrauchsvorteil = vereinbarter Kaufpreis (35.835 EUR) x gefahrene Kilometer in der Nutzungsphase (56.500 [Kilometerstand zum Schluss der Verhandlung 67.600 – Kilometerstand zum Kaufzeitpunkt 11.100]) : erwartete Restlaufleistung zum Kaufzeitpunkt (250.000 km ‑ 11.100 km = 238.900 km) = 8.475 EUR.

[12] 2.3. Ausgehend davon, dass der Kläger sich bereits 6.645 EUR an Benützungsentgelt vom Kaufpreis abgezogen hat, verbliebe eine Gegenforderung in Höhe von 1.830 EUR, was zu einer Abweisung des Klagebegehrens lediglich im Umfang dieses Betrags führen würde. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Kläger in seiner Berufung ein Benützungsentgelt von insgesamt 9.689,78 EUR zugestanden hat, sodass eine Abweisung über 3.044,78 EUR (unbekämpft) in Rechtskraft erwachsen ist, weshalb die Revision insoweit zurückzuweisen und ihr im Übrigen mit einem Zuspruch von 26.145,22 EUR (29.190 ‑ 9.689,78 + 6.645) Folge zu geben ist.

[13] 2.4. Sämtliche weitere Ausführungen in der Revision, wonach das Benützungsentgelt noch niedriger anzusetzen sei, weil der bezahlte Kaufpreis von 35.835 EUR aufgrund der Abgasmanipulation um 30 % überhöht gewesen sei, weswegen bei der Berechnung ein geringerer Wert heranzuziehen und letztlich gar keine Gegenforderung anzusetzen sei, können daher dahingestellt bleiben.

[14] Der Klage ist sohin mit dem Betrag von 26.145,22 EUR stattzugeben und das Mehrbegehren von 3.044,78 EUR ist abzuweisen.

[15] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 43 Abs 2 ZPO. Die Beklagte ist dem Kläger zum gesamten Kostenersatz auf Basis des obsiegten Betrags verpflichtet, zumal dieser nur mit rund 10 % (1. Instanz) bzw 20 % (3. Instanz) seiner Ansprüche unterlegen ist und der Betrag der von ihm erhobenen Forderung letztlich von einer Sachverständigenausmittlung abhängt. In 2. Instanz ist der Kläger letztlich zur Gänze durchgedrungen. Insgesamt ergibt sich daher ein Kostenzuspruch zu Gunsten des Klägers für das Verfahren aller drei Instanzen in spruchgemäßer Höhe.

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