European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140NS00084.23Y.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Das Hauptverfahren ist vom Bezirksgericht Fürstenfeld zu führen.
Gründe:
[1] Das Bezirksgericht Fürstenfeld führt – aufgrund eines am 16. Mai 2023 bei diesem Gericht eingebrachten Strafantrags – zu AZ 15 U 61/23f ein (Haupt‑)Verfahren gegen Dr. G* und einen weiteren Angeklagten wegen der Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 1 StGB. In diesem Verfahren legt die Staatsanwaltschaft Graz (unter anderem) Dr. G* zur Last, er habe ab Anfang Mai 2020 bis zumindest 5. Februar 2021 in F* und andernorts im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem weiteren Angeklagten zumindest 588 falsche Beweismittel mit dem Vorsatz hergestellt, dass sie in Verwaltungsstrafverfahren nach dem Epidemiegesetz gebraucht werden, indem er auf Basis bloß von Klienten schriftlich ausgefüllter Fragebögen ärztliche Atteste (gemäß § 11 Abs 3 COVID-19-LV) ausstellte, in denen er als (vermeintlich) praktischer Arzt bestätigte, dass das Tragen einer den Mund‑ und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung aus gesundheitlichen Gründen nicht zugemutet werden kann, sohin wahrheitswidrig attestierte, er habe sich den Vorgaben des § 55 ÄrzteG entsprechend gewissenhaft und als zugelassener, praktizierender Arzt davon überzeugt, es bestünden individuelle gesundheitliche Gründe, die ein Tragen der Schutzvorrichtung unzumutbar machen würden, wobei er ohne gültige Berufsberechtigung einen Stempel mit „prakt. Arzt“ sowie seine Unterschrift auf den Attesten anbrachte (ON 449 des genannten Akts).
[2] Mit beim Bezirksgericht Neunkirchen zu AZ 7 U 44/23b eingebrachtem Strafantrag vom 1. Juni 2023, AZ 63 BAZ 597/23s, legt die Staatsanwaltschaft Graz * S* ein dem Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach §§ 12 „erster“ (gemeint: zweiter) Fall, 293 Abs 1 StGB subsumiertes Verhalten zur Last, indem sie (zusammengefasst) am 19. Mai 2020 in N*Dr. G* zur Ausstellung eines solchen (oben präzisierten) Attests bestimmt haben soll (ON 3).
[3] Mit (prozessleitender) Verfügung vom 21. Juli 2023 überwies das Bezirksgericht Neunkirchen die Strafsache dem Bezirksgericht Fürstenfeld zur Verbindung mit dem dort zu AZ 15 U 61/23f geführten (Haupt-)Verfahren gegen Dr. G* und einen weiteren Angeklagten „gem § 37 Abs 3 und Abs 2 StPO (Zuständigkeit für unmittelbaren Täter)“ (ON 1.15 zu AZ 7 U 44/23b des BG Neunkirchen).
[4] Mit „Beschluss“ vom 26. Juli 2023 veranlasste das Bezirksgericht Fürstenfeld zu AZ 15 U 118/23p (ON 1.1) die „Rückabtretung“ des gegen S* geführten Verfahrens, weil Dr. G* das Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 1 StGB in zumindest 588 Fällen zur Last gelegt werde, die Staatsanwaltschaft die Verfahren gegen die unmittelbaren Täter und die Beteiligten getrennt führe und „auf Grund der exorbitanten Zahl der Beschuldigten“ eine Verbindung des abgetretenen Verfahrens mit dem gegen Dr. G* geführten Verfahren „weder zweckmäßig noch angedacht“ sei.
[5] Nachdem das Bezirksgericht Neunkirchen den Akt am 8. August 2023 (unter Hinweis auf § 38 StPO) abermals dem Bezirksgericht Fürstenfeld überwies (ON 1.17), legte dieses ihn dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[6] Primärer Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren gegen (wie hier) Erwachsene ist gemäß § 36 Abs 3 erster Satz StPO der Ort, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Werden in bezirksgerichtlichen Verfahren nacheinander mehrere Anklagen in Bezug auf subjektiv, objektiv oder subjektiv-objektiv konnexe Straftaten erhoben, sind die Verfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO nach Maßgabe des § 37 Abs 2 erster Satz oder Abs 3 zweiter Halbsatz StPO zu verbinden (vgl RIS‑Justiz RS0132157 [T1], RS0129801; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 7, 7/1 und 7/3; Bauer, WK‑StPO § 451 Rz 9). Damit kommt (soweit gegenständlich relevant) die Verfahrensverbindung primär dem höherrangigen Spruchkörper, unter Gerichten gleicher Ordnung jenem mit Sonderzuständigkeit zu. Subsidiär dazu zieht bei (wie hier) objektiver oder subjektiv-objektiver Konnexität das für den unmittelbaren Täter zuständige Gericht auch das Verfahren gegen Beteiligte nach § 12 zweiter und dritter Fall StGB an sich, sofern einem Bestimmungs- oder Beitragstäter nicht weitere strafbare Handlungen zur Last liegen, für die ein höherrangiger Spruchkörper zuständig wäre als für die Konnexität begründende strafbare Handlung (Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 4; siehe auch Nordmeyer, WK‑StPO § 26 Rz 9).
[7] Das Hauptverfahren gegen S* ist daher – wie von der Generalprokuratur dargelegt – vom Bezirksgericht Fürstenfeld zu führen.
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