OGH 7Ob126/23i

OGH7Ob126/23i30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Kolarz – Augustin – Mayer in Stockerau, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch Dr. Klaus Gossi, Rechtsanwalt in Wien, wegen 10.810,98 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 18. April 2023, GZ 34 R 40/23v‑37, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 29. Dezember 2022, GZ 55 C 146/22m‑30, samt dem vorausgegangenen Verfahren, für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00126.23I.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.032,90 EUR (darin enthalten 172,15 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand ein Unfallversicherungsvertrag. Der Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Seine Rechtsvertretung teilte den Schadensfall der Beklagten mit und ersuchte um Bestätigung des aufrechten Versicherungsschutzes. Die Beklagte lehnte den Deckungsschutz zunächst ab, leistete aber nach zahlreichen Aufforderungen schließlich einen Betrag von 210.568,27 EUR.

[2] Der Kläger begehrt den Ersatz seiner Rechtsanwaltskosten von 10.810,98 EUR sA, die ihm im Zusammenhang mit der (außergerichtlichen) Abwicklung des Schadensfalls entstanden seien.

[3] Die Beklagte wandte unter anderem die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs ein.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

[5] Das Berufungsgericht hob über Berufung der Beklagten das Ersturteil einschließlich des diesem vorangegangenen Verfahrens als nichtig auf und wies die Klage zurück. Der Kläger habe vorgebracht, dass die Beklagte zwar die Zahlung einer Versicherungsleistung in Höhe von 210.568,27 EUR angekündigt habe, in weiterer Folge aber darauf hingewiesen worden sei, dass bei der Berechnung der Versicherungsleistung die Indexanpassung nicht vorgenommen worden und tatsächlich eine Versicherungsleistung von 216.637,80 EUR zu erbringen sei. Dem Vorbringen des behauptungspflichtigen Klägers sei damit zu entnehmen, dass er von der Beklagten einen Betrag von 216.637,80 EUR begehrt habe; aus seinem Vorbringen sei aber nicht ableitbar, dass er mit der Zahlung von 210.568,27 EUR seinen Anspruch als erfüllt erachtete. Eine selbständige Einklagung vorprozessualer Kosten könne aber nur erfolgen, wenn kein Hauptanspruch mehr bestehe. Es liege daher Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs vor.

[6] Gegen diesen Beschluss wendet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den Beschluss zu beheben und „die Berufung der Beklagten abzuweisen“; hilfsweise wurde die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückverweisung an das Berufungsgericht; hilfsweise an das Erstgericht beantragt.

[7] Die Beklagte begehrt, den Rekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] In einem Fall wie dem vorliegenden ist § 519 Abs 1 ZPO anzuwenden, ist doch das Gericht zweiter Instanz insoweit – wegen des Fehlens einer erstgerichtlichen Entscheidung über die Prozesseinrede – nicht als Rekursgericht tätig geworden, sondern hat es in seiner Funktion als Berufungsgericht einen (vermeintlichen) Nichtigkeitsgrund, der vom Erstgericht auch nicht implizit behandelt worden war, erstmals aufgegriffen. Gegen eine solche Entscheidung des Berufungsgerichts ist nun der Rekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig, auch wenn keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 bzw § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist (RS0043861). Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Der Anspruch auf Kostenersatz richtet sich nach den Regeln des Verfahrensrechts und kann deshalb nicht ohne Weiteres auf allgemeine schadenersatzrechtliche Grundsätze gestützt werden. Kostenforderungen müssen im Verfahren über den Hauptanspruch geltend gemacht werden, und können deshalb grundsätzlich nicht gesondert eingeklagt werden, wenn über die Hauptsache noch kein Prozess anhängig ist. Einer gesonderten Einklagung dieser Kosten steht die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (8 Ob 83/22x mwN).

[10] 2. Auch mit der Einführung des § 1333 Abs 3 ABGB wurde keine selbständige Anspruchsgrundlage betreffend den Ersatz anwaltlicher Kosten für außergerichtliche Betreibungs‑ und Einbringungsmaßnahmen geschaffen, da solche Kosten grundsätzlich akzessorisch zum Hauptanspruch sind und nur im Kostenverzeichnis geltend gemacht werden können. Für eine selbständige Geltendmachung ist daher der ordentliche Rechtsweg unzulässig (RS0120431, RS0035770, RS0035721).

[11] Der ordentliche Rechtsweg ist allerdings dann zulässig, wenn der Hauptanspruch durch Erfüllen, Verzicht oder Anerkenntnis erloschen oder darüber ein Vergleich geschlossen worden ist (RS0111906, RS0036070, vgl auch RS0035826). Die Voraussetzungen für die selbständige Einklagbarkeit sind vom Kläger zu behaupten (RS0035826 [T14]; 6 Ob 195/16v; 8 Ob 83/22x).

[12] 3.1 Im vorliegenden Fall brachte der Kläger vor, dass die Beklagte schlussendlich ihre Ablehnung offenbar revidiert und im März 2021 die Zahlung einer Versicherungsleistung in Höhe von 210.568,27 EUR angekündigt habe. Sie sei sodann wiederum seitens der Klagevertreter darauf hingewiesen worden, dass bei der Berechnung der Versicherungsleistung die Indexanpassung nicht vorgenommen und tatsächlich eine Versicherungsleistung von 216.637,80 EUR zu zahlen sei (ON 1.3). Schließlich habe die Beklagte sich am 31. 3. 2021 bereit erklärt, die berechtigte Versicherungsleistung in Höhe von 210.568,27 EUR aus der Unfallversicherung an den Kläger zu entrichten (ON 6.11). Als Bemessungsgrundlage für die Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.810,98 EUR habe der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten in Höhe von 210.568,27 EUR gedient (ON 6.12). Vom Gesamtbetrag in Höhe von 210.568,27 EUR sei der Betrag von 10.810,98 EUR einbehalten worden (ON 12.21).

[13] 3.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe kein ausreichendes Vorbringen erstattet, aus dem der Wegfall der Akzessorietät abgeleitet werden könne, ist nicht zu beanstanden. Aus dem Vorbringen, dass die Beklagte einerseits 216.637,80 EUR zu zahlen gehabt und sie andererseits die berechtigte Versicherungsleistung in Höhe von 210.568,27 EUR entrichtet habe, lässt sich – entgegen der Ansicht des Klägers – gerade nicht hinreichend deutlich darauf schließen, dass er seinen Anspruch mit der tatsächlich geleisteten Zahlung zur Gänze als erfüllt erachtet. Auch wandte die Beklagte die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs ausdrücklich mit Hinweis darauf ein, dass der Kläger den Ersatz von Kosten geltend mache, die akzessorisch zum Hauptanspruch seien, dennoch unterblieb jegliche weitere Klarstellung.

[14] 4.1 Die geltend gemachte Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens des Berufungsgerichts liegt nicht vor. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, es stehe nicht fest, ob auch die Differenz zum ursprünglich geforderten Betrag bezahlt worden sei, der Differenzbetrag könnte daher nach wie vor eingeklagt werden, stellen keine Tatsachenfeststellungen dar, sondern bringen lediglich zum Ausdruck, dass sich kein endgültiges Unterbleiben der Geltendmachung dieser Differenz aus dem Vorbringen des Klägers ergibt.

[15] 4.2 Das vom Kläger herangezogene Vorbringen der Beklagten, aufgrund eines von ihm behaupteten Unfallereignisses sei es zu Leistungen durch die Beklagte in Höhe von 210.568,27 EUR gekommen, darüber hinausgehende Ansprüche stünden dem Kläger aber jedenfalls nicht zu, gibt keinen Aufschluss darüber, ob der Kläger seinen (Haupt‑)Anspruch zur Gänze als erfüllt erachtet. Ebenso wenig ist aus diesem Vorbringen der Beklagten abzuleiten, dass dieser Umstand von ihr zugestanden wurde.

[16] 5. Dem Rekurs war daher keine Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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