OGH 15Os85/23y

OGH15Os85/23y30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Eschenbacher in der Strafsache gegen * P* wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs 1 erster Fall, 15 StGB, AZ 17 Hv 66/22f des Landesgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 19. September 2022 ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00085.23Y.0830.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 19. September 2022, GZ 17 Hv 66/22f‑23.2, verletzt § 130 Abs 1 erster Fall StGB sowie § 270 Abs 4 Z 2 StPO.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in der Unterstellung der dem Angeklagten zur Last liegenden Taten (auch) unter § 130 Abs 1 erster Fall StGB und demzufolge im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem, in gekürzter Form (§ 270 Abs 4 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO) ausgefertigtem Urteil vom 19. September 2022, GZ 17 Hv 66/22f‑23.2, erkannte das Landesgericht St. Pölten * P* des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs 1 erster Fall, 15 StGB schuldig.

[2] Nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat er – zusammengefasst – „gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB)“ Nachgenannten fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen oder dies versucht, und zwar

I./ am 11. April 2022 in W* Gewahrsamsträgern einer Supermarktfiliale * Lebensmittel und Alkohol im Gesamtwert von 22,96 Euro, wobei er von einem Ladendetektiv beobachtet wurde und es beim Versuch blieb;

II./ am 11. April 2022 in W* Gewahrsamsträgern einer Supermarktfiliale * Lebensmittel und Alkohol im Gesamtwert von 19,56 Euro, wobei er von einem Ladendetektiv beobachtet wurde und es beim Versuch blieb;

III./ am 17. Mai 2022 in W* Gewahrsamsträgern einer Supermarktfiliale * eine Flasche Wodka im Wert von 5,49 Euro;

IV./ Gewahrsamsträgern der T* GmbH im Selbstbedienungsladen „K*“ Lebensmittel und Getränke, und zwar

1./ am 18. Juni 2021 in drei Angriffen Waren im Wert von 86,20 Euro;

2./ zwischen 1. Juni 2022 und 20. Juli 2022 in 15 Angriffen Waren im Wert von rund 500 Euro (US 2 f).

[3] Die Darstellung der diesbezüglich als erwiesen angenommenen Tatsachen (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) beschränkt sich auf eine wortgleiche Wiederholung des Ausspruchs gemäß § 260 Abs 1 Z 1 StPO (US 4 f).

Rechtliche Beurteilung

[4] Das Urteil des Landesgerichts St. Pölten steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[5] Nach der auch für das Hauptverfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter geltenden (§ 488 Abs 1 StPO) Bestimmung des § 270 Abs 4 StPO hat eine gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe (Z 1) sowie im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung (Z 2) zu enthalten. Aus einer gekürzten Urteilsausfertigung muss insgesamt – also unter Einbeziehung des Referats der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) – hervorgehen, welcher Tat der Angeklagte für schuldig befunden wurde, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände, sohin unter Anführung der für die Subsumtion entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0125764; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 60).

[6] Nach § 70 Abs 1 Z 3 und Abs 2 StGB begeht eine Tat gewerbsmäßig, wer sie in der Absicht ausführt, sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen – somit ein solches, das nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro übersteigt – zu verschaffen, und bereits zwei solche Taten begangen hat oder einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden ist.

[7] Fallaktuell enthalten allerdings weder der ohne weiteren Sachverhaltsbezug bloß die „gewerbsmäßig[e]“ Tatbegehung anführende und auf „§ 70 Abs 1 Z 3 StGB“ verweisende Urteilstenor (US 2) noch die (sich in dessen wörtlicher Wiederholung erschöpfende) Darstellung der als erwiesen angenommenen Tatsachen Urteilsannahmen, aus denen sich eine auf die Erzielung eines iSd § 70 Abs 2 StGB nicht bloß geringfügigen fortlaufenden Einkommens gerichtete Absicht des Angeklagten ableiten ließe.

[8] Solcherart vermag der sich aus der vorliegenden gekürzten Urteilsausfertigung ergebende Sachverhalt die rechtliche Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung nicht zu tragen, weshalb die dennoch erfolgte Unterstellung des dem Angeklagten angelasteten Verhaltens (auch) unter § 130 Abs 1 erster Fall StGB (iVm § 70 Abs 1 Z 3 StGB) sowohl diese Bestimmung als auch § 270 Abs 4 Z 2 StPO verletzt.

[9] Diese Gesetzesverletzung wirkt sich zum Nachteil des Verurteilten aus, sodass deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen war.

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