OGH 4Nc16/23z

OGH4Nc16/23z21.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Schwarzenbacher und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache für H*, vertreten durch D*, als Erwachsenenvertreter, aufgrund der Vorlage des Akts AZ 26 P 211/22i durch das Bezirksgericht Fünfhaus, wegen Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040NC00016.23Z.0821.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 9. Mai 2023, GZ 26 P 211/22i‑154, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Erwachsenenschutzsache an das Bezirksgericht Urfahr wird nicht genehmigt.

 

Begründung:

[1] Der Betroffene leidet an einer psychotischen Störung mit paranoider Erlebnisverarbeitung, lehnt die Erwachsenenvertretung ab, und ist für seine Erwachsenenvertreter schon viele Monate lang nicht erreichbar gewesen. Er wechselte wiederholt den Wohnsitz und veranlasste damit (zumindest zeitlich) nicht übereinstimmende An‑ und Abmeldungen im Melderegister.

[2] Nachforschungen des Erwachsenenvertreters ergaben, dass der Betroffene zuletzt in Wien wohnte und arbeitete. Ab 19. April 2023 war trotz eines zumindest bis Ende des Monats aufrechten Arbeitsverhältnisses in Wien eine Adresse in Linz als sein Hauptwohnsitz erfasst. Per 5. 6. 2023 ist sein Umzug nach Portugal ausgewiesen.

[3] Sein derzeitiger tatsächlicher Aufenthalt ist weder dem Erwachsenenvertreter noch dem Pflegschaftsgericht bekannt.

[4] Das Bezirksgericht Fünfhaus übertrug unter Bezugnahme auf eine Auskunft des Zentralen Melderegisters (Stand 21. 4. 2023, Hauptwohnsitz Linz) die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Erwachsenenschutzsache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Urfahr.

[5] Das Bezirksgericht Urfahr lehnte die Übernahme ab, weil unklar sei, ob der Betroffene tatsächlich in seinem Sprengel wohnhaft sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] Das Bezirksgericht Fünfhaus legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

[7] 1.1. Das Erwachsenenschutzgericht kann gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Betroffenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[8] 1.2. Dabei ist in der Regel ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Pflegebefohlenen zweckmäßig, sodass die Pflegschaftsaufgaben grundsätzlich von jenem Gericht wahrgenommen werden sollen, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Betroffenen liegt (RS0049144, RS0047027 [T10], RS0046971).

[9] 1.3. DieÜbertragung ist nach der Rechtsprechung nicht zweckmäßig, wennder Lebensmittelpunkt eines Pflegebefohlenen (noch) nicht feststeht, sein Aufenthalt instabil und/oder seine künftige Lebenssituation unklar ist (RS0047300 [T30, T32]).

[10] 2.1. Im vorliegenden Fall ist unklar, wo sich der Betroffene tatsächlich aufhält. Seine letzte tatsächlich genutzte Wohnung und seine letzte Arbeitsstelle lagen jedoch beide in Wien.

[11] Aus dem Akt ist klar ersichtlich, dass die offenbar von ihm selbst veranlassten Eintragungen im Zentralmelderegister kein verlässliches Indiz für seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt sind. Ob er jemals tatsächlich im Sprengel des Bezirksgerichts Urfahr seinen Lebensmittelpunkt hatte, kann anhand der Aktenlage nicht beurteilt werden. Aus dem aktuellen Registerstand („Verzug nach Portugal“) ist aber ohnedies kein Bezug zum Sprengel des Bezirksgerichts Urfahr mehr abzuleiten.

[12] 2.2. Die Übertragung der Erwachsenenschutzsache an das Bezirksgericht Urfahr dient daher nicht erkennbar dem Interesse des Betroffenen. Der entsprechende Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus ist daher nicht zu genehmigen.

Stichworte