OGH 15Os47/23k

OGH15Os47/23k22.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Mai 2023 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski als Vorsitzende sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Mann und Dr. Sadoghi über den Antrag des Verurteilten * R* auf Erneuerung des Verfahrens AZ 22 Bs 11/23p des Oberlandesgerichts Wien (AZ 900 Ns 9/22a des Landesgerichts Korneuburg), nach Einsichtnahme durch die Generalprokuratur in die Akten nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00047.23K.0522.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Geschworenengericht vom 30. November 2009, GZ 701 Hv 1/09x-312, wurde * R* der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, welche er derzeit in seiner Heimat Bulgarien verbüßt.

[2] Dieses Urteil erwuchs durch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs vom 20. Jänner 2010, GZ 15 Os 1/10a‑5, und des Oberlandesgerichts Wien vom 15. Februar 2010, AZ 19 Bs 30/10s, in Rechtskraft.

[3] Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 21. Oktober 2022, AZ 900 Ns 9/22a (ON 581 der Hv‑Akten) wurde ein Antrag des Verurteilten (ON 579 = Übersetzung) auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Einer dagegen gerichteten Beschwerde des Verurteilten (ON 585; Übersetzung ON 590) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss von 24. Jänner 2023, AZ 22 Bs 11/23p (ON 594 der Hv‑Akten) nicht Folge.

[5] Mit einer handschriftlich verfassten Eingabe, die auch keine Unterschrift eines Verteidigers aufweist, bekämpft der Verurteilte die zuletzt angeführte, von ihm als „unangemessen“ empfundene Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien durch „Beschwerde beim Verfassungsgericht der Republik Österreich“ mit dem Begehren, dieses möge dem „Apellationsgericht“ auftragen, „objektiv“ über seine Beschwerde zu entscheiden.

[6] Das Landesgericht Korneuburg wertete die Eingabe als „Grundrechtsbeschwerde“ und legte die Akten dem Obersten Gerichtshof vor (ON 602).

[7] Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ist der vorliegenden Beschwerde jedoch kein Vorbringen zu entnehmen, das eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit iSd § 1 Abs 1 GRBG auch nur im Ansatz behauptet.

[8] Zufolge der (zumindest impliziten) Berufung des Beschwerdeführers auf die „Verfassung“ ist die Eingabe vielmehr als Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens im erweiterten Anwendungsbereich (RIS‑Justiz RS0122228) zu verstehen (zum Erfordernis einer Verteidigerunterschrift siehe allerdings § 363b Abs 2 Z 1 StPO), mit welchem der Verurteilte der Sache nach – gerade noch erkennbar – eineverfassungswidrige (unfaire) Verweigerung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens durch das Beschwerdegericht geltend machen will.

[9] Allerdings kann auch im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO nur eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0132365) und findet Art 6 MRK im Wiederaufnahmeverfahren keine Anwendung (RIS‑Justiz RS0105689, RS0120762, RS0131773).

[10] Der Antrag ist daher in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK unzulässig und war bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

[11] Bleibt mit Blick auf die Anrufung des „Verfassungsgerichts“ anzumerken, dass der Oberste Gerichtshof oberste Instanz hinsichtlich gerichtlicher Entscheidungen der ordentlichen Gerichte in Strafsachen ist (Art 92 B‑VG), während dem Verfassungsgerichtshof – soweit im vorliegenden Kontext relevant – die Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen und die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zukommt (Art 139, 140 B‑VG).

Stichworte