OGH 12Os22/23m

OGH12Os22/23m26.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 24. November 2022, GZ 13 Hv 27/22s‑173, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00022.23M.0426.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen B./I./4./ und 5./ sowie B./II./4./ und 5./, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), in der Unterbringungsanordnung nach § 21 Abs 2 StGB sowie im Konfiskationserkenntnis aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A./I./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (A./II./) sowie jeweils mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Fall StGB (B./I./) und nach § 207a Abs 1 Z 2 StGB (B./II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in B* und andernorts

A./ nachts zum 9. Oktober 2021 * V*

I./ mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihn von hinten ergriff, ihm die linke Hand auf dem Rücken fixierte, ihn mit der rechten Hand an der rechten Schulter festhielt, ihn gewaltsam mit seinem Penis anal penetrierte und mehrere Minuten lang analen Geschlechtsverkehr an ihm vollzog;

II./ durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zur Unterlassung der Offenbarung der im Punkt A./I./ dargestellten Tat zu nötigen versucht, indem er den Genannten im Anschluss daran aufforderte, niemandem etwas davon zu erzählen, und zu ihm sagte, dass er viele Araber in W* kenne und viele Freunde habe und ihn „erledigen“ lassen könnte, wobei es beim Versuch blieb, weil * V* zunächst seiner Mutter von der Tat erzählte und in der Folge Anzeige erstattete;

B./ wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen und der Genitalien auf reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensumständen losgelöste Weise zeigende, der sexuellen Erregung des Betrachters dienende, pornographische Darstellungen Minderjähriger

I./ besessen, und zwar seit jeweils nicht festzustellenden Zeitpunkten bis

1./ 4. März 2020 eine Bilddatei mit einem unmündigen Minderjährigen beim Oralverkehr (US 9);

2./ 20. Mai 2020 eine Videodatei mit einem unmündigen Minderjährigen bei der Selbstbefriedigung (US 9);

3./ 26. Juli 2020 mehrere Videodateien mit unmündigen und mündigen Minderjährigen bei Oralverkehr, Analverkehr und Selbstbefriedigung (US 9);

4./ 11. März 2021 elf Videodateien und 180 Bilddateien mit unmündigen Minderjährigen;

5./ 11. Oktober 2021 zumindest neun Bilddateien und 16 Videodateien mit mündigen und unmündigen Minderjährigen;

II./ anderen durch Hochladen auf diversen Plattformen zugänglich gemacht, und zwar

1./ am 4. März 2020 die zu Punkt B./I./1./ genannte Bilddatei via Twitter über den Account *;

2./ am 13., 16. und 20. Mai 2020 die zu Punkt B./I./2./ genannte Videodatei via Instagram über die Accounts *, *, * und *;

3./ am 26. Juli 2020 die zu Punkt B./I./3./ genannten Videodateien via Twitter über den Account *;

4./ am 12. November 2020 eine Videodatei via Facebook über den Account *;

5./ am 7. Dezember 2020 eine Videodatei via Twitter über den Account *.

[3] Gemäß § 21 Abs 2 StGB wurde der Angeklagte in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die gegen dieses Urteil auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht berechtigt.

[5] Entgegen der Verfahrensrüge wurden durch Abweisung des Antrags auf „Einholung eines Gutachtens aus dem Fachbereich Molekularbiologie zum Beweis dafür, dass bei Zutreffen der Angaben des Zeugen V* mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit DNA‑Spuren des Angeklagten entweder am Körper des Zeugen oder an der sichergestellten Kleidung gefunden hätten werden müssen“ (ON 172 S 24), Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Denn das Beweisbegehren ließ nicht erkennen, aus welchen Gründen die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und erschöpfte sich solcherart in unzulässiger Erkundungsbeweisführung (vgl RIS‑Justiz RS0118444).

[6] Das im Rechtsmittel nachgetragene – im Übrigen bloße Spekulationen über die Möglichkeit des Vorhandenseins entsprechenden DNA‑Materials enthaltende – Vorbringen unterliegt dem sich aus dem Wesen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (vgl RIS‑Justiz RS0099618).

[7] Der weiteren Beschwerde (der Sache nach Z 11 iVm Z 4) zuwider hat das Erstgericht auch den Antrag (ON 104 S 18 iVm ON 89) auf Enthebung des Sachverständigen Dr. H* wegen Befangenheit (§ 126 Abs 4 iVm § 47 Abs 1 Z 3 StPO) zu Recht abgelehnt. Denn der Beschwerdeführer gab nicht bekannt, weshalb allein aus dem Umstand, dass dieser Experte bereits im Ermittlungsverfahren ein (bloßes) Aktengutachten zum Geisteszustand des Angeklagten (§ 11 StGB) und zur Gefährlichkeitsprognose (§ 21 Abs 1 oder 2 StGB) erstellt hat (ON 86), Zweifel an dessen Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit ableitbar sein sollen (vgl dazu Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 72 f).

[8] Soweit das Begehren auf Ablehnung wegen „struktureller“ Befangenheit des Sachverständigen verstanden werden kann (vgl ON 104 S 18: „laufend für die Staatsanwaltschaft tätig“), scheitert es schon daran, dass eine Bestellung des Sachverständigen im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren nicht begehrt wurde (vgl RIS‑Justiz RS0131744).

[9] Zu der in der Nichtigkeitsbeschwerde erstmals erstatteten Beschwerdeargumentation kann auf die obigen Ausführungen betreffend das Neuerungsverbot verwiesen werden.

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[11] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – davon, dass den Schuldsprüchen B./I./4./ und 5./ sowie B./II./4./ und 5./ Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, die vom Angeklagten nicht geltend gemacht wurde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[12] § 207a StGB pönalisiert den Besitz pornographischer Darstellungen (mündiger und unmündiger) Minderjähriger, deren Definition sich in Abs 4 dieser Bestimmung findet. Zur Subsumtion von Lichtbildern und Videos unter den Tatbestand des § 207a StGB bedarf es daher jeweils den Kriterien dieses normativen Tatbestandsmerkmals entsprechender (deskriptiver) Sachverhaltsfeststellungen (vgl RIS‑Justiz RS0128662), die jedoch dem Urteil in Bezug auf die oben erwähnten Schuldsprüche nicht zu entnehmen sind.

[13] In objektiver Hinsicht beschränken sich die Konstatierungen auf die bloße Beschreibung als „Videodatei“ (US 9), die unsubstantiierte Anführung von verba legalia („Videodatei mit pornographischen Darstellungen Minderjähriger“ [US 9], „Videodateien zeigend geschlechtliche Handlungen mit unmündigen und mündigen Minderjährigen“ [US 10]) und das Speichern von „Video- und […] Bilddateien mit unmündigen Minderjährigen, die nahezu ausschließlich homosexuelle Szenen mit unmündigen Buben zeigen“ (US 9 f).

[14] Die gebotene Konkretisierung ist auch durch die Angabe von Fundstellen des Bildmaterials im Akt oder im Verweis auf Datenträger (vgl US 9 f und 11 f) nicht zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0114639 [T10a]).

[15] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen macht die Urteilsaufhebung wie im Spruch ersichtlich bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) unumgänglich. Bleibt anzumerken, dass sich die kassatorische Entscheidung auch auf das Konfiskationserkenntnis zu beziehen hatte, weil die davon betroffenen Mobiltelefone (nur) anlässlich der zu B./I./4./ und 5./ abgeurteilten Taten verwendet wurden (vgl US 9 f).

[16] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte