European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00067.23S.0425.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Bei Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für die betroffene Person müssen begründete und konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters zur Wahrung der Belange eines Betroffenen vorliegen. Dies traf schon nach § 117 Abs 1 AußStrG aF zu (vgl RS0013479 [T2, T3], RS0008526) und gilt (umso mehr) auch nach neuem Recht (RS0013479 [T4]), dessen erklärte Absicht es ist, dafür Sorge zu tragen, dass auch Personen mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit möglichst selbständig ihre Angelegenheiten selbst besorgen können (vgl § 239 Abs 1 ABGB idF 2. ErwSchG). Vor Verfahrenseinleitung ist daher in jedem Einzelfall zu prüfen, ob begründete und sich sowohl auf die psychische Krankheit oder eine vergleichbare Beeinträchtigung als auch auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters zum Schutz der betreffenden Person beziehende Anhaltspunkte vorliegen. Ansonsten darf das Verfahren nicht eingeleitet werden; eine bloß potenzielle künftige Gefährdung reicht ebenso wenig wie das Interesse Dritter an einer Bestellung. Bei der Beurteilung ist aber beachtlich, von wem der Hinweis (die „Mitteilung“ nach § 117 Abs 1 AußStrG) kommt (vgl 1 Ob 195/19m, 4 Ob 215/18y).
[2] 2. Im vorliegenden Verfahren ging die Anregung – anders als etwa im zu 4 Ob 215/18y zu beurteilenden Fall nicht von der gegnerischen Verfahrenspartei, sondern – vom für streitige Verfahren zuständigen Richter des Erstgerichts aus, bei dem aktuell von einem Dritten ein Zivilprozess gegen die betroffene Person geführt wird, weil diese ihren Verpflichtungen aus einem Vertragsverhältnis nicht nachkomme. In diesem Verfahren hat die betroffene Person einen Schriftsatz (konkret eine Verbesserung ihres dortigen Verfahrenshilfeantrags, GZ * des Erstgerichts) erstattet, in dem unter anderem angesprochen wurde, dass sich ihr Rechtsschutzversicherer an Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ihren Lasten beteiligt und den Vertrag ohne Wiedergutmachung storniert habe, und dass die Polizei trotz Beweisen für versuchten Mord, unterlassene Hilfeleistung, gefährliche Drohung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Menschenhandel – gemeint anscheinend: durch den nunmehrigen Prozessgegner – keine Anzeige habe aufnehmen wollen. In diesem Schreiben wird von der betroffenen Person selbst darauf verwiesen, dass der nunmehrige Streit bereits zu einer Zeit seinen Ausgang genommen habe, zu der ihr für zwei andere Zivilprozesse bereits ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt worden war.
[3] Nach der Aktenlage war jene Erwachsenenvertretung erst im Jahr vor der nunmehrigen neuerlichen Klagsführung beendet worden („leider abbestellt“, so die betroffene Person selbst im erwähnten Schreiben). Auf jenes Verfahren wird auch in der Mitteilung des Prozessrichters an den Pflegschaftsrichter hingewiesen.
[4] 3. Der im Revisionsrekurs erhobene Vorwurf, es liege – zusammengefasst – eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor, weil konkrete Feststellungen zu einem Mindestmaß an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat als Voraussetzung der – vom Erstgericht angeordneten und vom Rekursgericht bestätigten – Einleitung des Verfahrens (vorerst durch Registerabfragen und Beauftragung eines Clearingberichts) fehlten, verfängt hier nicht:
[5] 3.1. Die Tatsacheninstanzen haben knapp, aber erkennbar auf die vom Prozessgericht mitgeteilten aktenkundigen Einlassungen der betroffenen Person im nunmehrigen Zivilprozess sowie darauf verwiesen, dass das Erwachsenenschutzverfahren erst kurz zuvor aufgrund der Beendigung der seinen Anlass bildenden früheren Zivilprozesse eingestellt worden war.
[6] 3.2. Eine diese aktuellen Anhaltspunkte konkreter ansprechende und würdigende Begründung für die Verfahrenseinleitung mag auch im vorliegenden ersten Verfahrensstadium möglich gewesen sein; jedoch ist auch zu beachten, dass es dem Zweck des eingeleiteten Überprüfungsverfahrens widersprechen würde, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über vorliegende oder nicht vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt würden (vgl RS0126667); vielmehr reicht die aus konkreten Tatsachen erschließbare Möglichkeit aus, dass es zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters kommen kann (vgl RS0008542 [insb T3 zum .2. ErwSchG).
[7] 3.3. Hier kann vor dem Hintergrund der geschilderten Aktenlage und im Lichte des Umstands, dass bis vor kurzem Unterstützung der betroffenen Person bei der Führung von Zivilprozessen geboten war, in der Einschätzung der Vorinstanzen, dass zum Schutz der betroffenen Person jetzt neuerlich zumindest eine erste Abklärung nach § 117a AußStrG und § 4 ErwSchVG angezeigt erscheint, keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden. Im Übrigen hat schon das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass mit dieser Anordnung der Abklärung keine (Vor-)Entscheidung über die weitere Fortsetzung des Erwachsenenschutzverfahrens oder garüber die Bestellung eines Erwachsenenvertreters getroffen ist.
[8] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)