European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00016.23A.0419.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
Dem Antrag wird stattgegeben.
Es werden das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. Oktober 2015, GZ 46 Hv 46/15t‑81, der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 14. Juli 2016, AZ 12 Os 5/16a, und das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. November 2016, AZ 33 Bs 249/16h, jeweils im * J* betreffenden Teil, aufgehoben und es wird die Sache insoweit zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. Oktober 2015, GZ 46 Hv 46/15t-81, wurde * J* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 Abs 1 StGB (I./B./1./ und 2./) sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./B./4./) schuldig erkannt.
[2] Das Gericht ging bei seinen Feststellungen von einer unzulässigen Tatprovokation des J* seitens einer polizeilichen Vertrauensperson aus und verhängte – nach mildernd ziffernmäßig berücksichtigter Strafreduktion um sechs Monate – eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren (US 9 ff, 24 f).
[3] Mit Beschluss vom 14. Juli 2016, AZ 12 Os 5/16a, wies der Oberste Gerichtshof die gegen dieses Urteil gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des Genannten zurück; dessen Berufung hingegen gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 3. November 2016, AZ 33 Bs 249/16h, Folge und setzte – ebenfalls unter Berücksichtigung der unzulässigen Tatprovokation (US 8 f) – die verhängte Freiheitsstrafe auf fünf Jahre und drei Monate herab.
[4] Mit über Klage des Verurteilten ergangener Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 24. 1. 2023, 54664/16, J*/Österreich), stellte dieser in Ansehung der gegenständlichen Strafsache eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK fest, weil – zusammengefasst – eine bloße, selbst signifikante Strafreduktion die fallbezogen infolge festgestellter staatlicher Tatprovokation bewirkte Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK nicht hinreichend auszugleichen vermag.
[5] Gestützt auf diese Entscheidung des EGMR beantragt der Verurteilte die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO.
Rechtliche Beurteilung
[6] Wird in einem Urteil des EGMR eine Verletzung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt, so ist das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte (§ 363a Abs 1 StPO).
[7] Nach Lage des Falls ist die Möglichkeit einer nachteiligen Auswirkung der festgestellten Grundrechtsverletzung zu bejahen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Strafgerichte bei – wie oben dargestellter – konventionskonformer Vorgangsweise im Verfahren zu einer für den Angeklagten günstigeren Entscheidung gekommen wären.
[8] Demgemäß war gemäß § 363b Abs 3 StPO bei nichtöffentlicher Beratung dem Erneuerungsantrag wie aus dem Spruch ersichtlich stattzugeben.
[9] Einer förmlichen Aufhebung der auf dem kassierten Urteilsspruch beruhenden Anordnungen, Beschlüsse und Verfügungen bedarf es nicht (RIS-Justiz RS0100444).
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