OGH 2Ob31/23g

OGH2Ob31/23g21.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch die MUSEY rechtsanwalt gmbH in Salzburg, wegen zuletzt 97.084,21 EUR sA, über die Rekurse beider Parteien (Rekursinteresse klagende Partei: 19.600 EUR; Rekursinteresse beklagte Partei: 56.751,41 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. November 2022, GZ 2 R 155/22k‑151, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 29. Juli 2022, GZ 7 Cg 63/18b‑138, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00031.23G.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 920,34 EUR (darin enthalten 153,39 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Rekursverfahrens ist das – mangels insoweit rechtskräftiger Erledigung – noch verbliebene Zahlungsbegehren der Klägerin über 9.600 EUR Schmerzengeld, 10.000 EUR Verunstaltungsentschädigung sowie 37.151,41 EUR Verdienstentgang für den Zeitraum 2016 bis Ende April 2018 im Zusammenhang mit einem 2015 vom Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs allein verschuldeten Verkehrsunfall.

[2] Die gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO erhobenen Rekurse sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Auch die Zurückweisung solcher Rekurse kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691).

I. Rekurs der Klägerin:

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Die Klägerin wendet sich in ihrem Rekurs nicht gegen die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, die festgestellte, auf die Verfahrensdauer, die Ergebnisse des Verfahrens sowie die zahlreichen „Kränkungen“ nach dem Unfall zurückzuführende posttraumatische Verbitterungsstörung sei kausale Folge des Verkehrsunfalls und liege innerhalb des Adäquanzzusammenhangs. Auch tritt sie der Beurteilung, die festgestellten Narben seien eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung ihres äußeren Erscheinungsbilds, die einen Ersatzanspruch nach § 1326 ABGB eröffne, nicht entgegen. Allerdings sei das Verfahren betreffend die Positionen Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung im Sinne einer Stattgebung ihrer Klage spruchreif, das Verfahren bzw die Feststellungen nicht ergänzungsbedürftig.

[4] 2. Zwar kann auch jene Partei gegen einen Aufhebungsbeschluss im Berufungsverfahren Rekurs erheben, die selbst die Aufhebung erwirkt hat (RS0007094 [T5]). Allerdings kann nur insoweit Rekurs erhoben werden, als die rechtliche Beurteilung, von der das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss ausgegangen ist, bekämpft wird (RS0043817). Ob die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen auf der Grundlage seiner gar nicht bekämpften Rechtsauffassung notwendig ist, hat der Oberste Gerichtshof hingegen nicht zu prüfen (RS0042179 [T19]).

[5] Der Rekurs der Klägerin, der sich im Ergebnis ausschließlich gegen die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung der Feststellungsgrundlage wendet, war daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO im Zusammenhang mit der vom Berufungsgericht zur adäquaten Verursachung der posttraumatischen Verbitterungsstörung und Verunstaltungsentschädigung vertretenen Rechtsauffassung zurückzuweisen.

II. Rekurs der Beklagten:

[6] 1. Mag das Erstgericht im Rahmen der Feststellungen auch ausgeführt haben, die auf die lange Verfahrensdauer, die Verfahrensergebnisse und die nach dem Unfall erlittenen „Kränkungen“ zurückzuführende posttraumatische Verbitterungsstörung sei keine Unfallfolge, geht das Berufungsgericht mit seiner Annahme, diese sei (dennoch) kausal im Sinn der conditio sine qua non auf den Unfall zurückzuführen, nicht vom festgestellten Sachverhalt ab. Schon allein die Bezugnahme auf das Verfahren, das ohne den Unfall nicht geführt worden wäre, macht deutlich, dass natürliche Kausalität (auch) des Unfalls in Bezug auf die eingetretene Verbitterungsstörung festgestellt wurde (vgl zur „natürlichen“ Kausalität als Tatfrage und „juristischen“ Kausalität als Rechtsfrage der Adäquanz: 2 Ob 115/18b Pkt 1. mwN). Worin die zahlreichen „Kränkungen“ lagen und inwieweit diese in einem kausalen Zusammenhang mit dem Schaden stehen, ist ohnehin Gegenstand des weiteren Verfahrens.

[7] 2. Ein Schaden ist adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (RS0022906). Der Schädiger haftet für alle, auch für zufällige Folgen, mit deren Möglichkeit abstrakt zu rechnen gewesen ist, nur nicht für einen atypischen Erfolg (RS0022944). Das Hinzutreten einer gewollten, rechtswidrigen Handlung eines Dritten ist ebenfalls adäquat, wenn diese nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt (RS0022940). Auch wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu tritt, ist die Adäquanz zu bejahen, wenn nach den allgemeinen Erkenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RS0022918). Krankheitserscheinungen, die durch den Unfall nur deshalb ausgelöst wurden, weil die Anlage zur Krankheit beim Verletzten bereits vorhanden war, sind im Sinne der Adäquanz in vollem Umfang Unfallsfolge, sofern die krankhafte Anlage nicht auch ohne die Verletzung in absehbarer Zeit den gleichen gesundheitlichen Schaden herbeigeführt hätte. Dies gilt gleichermaßen für Krankheiten, die ihre Ursache nicht mehr nur in der Verletzung durch den Unfall, sondern auch in der Persönlichkeitsstruktur des Verletzten haben (2 Ob 221/18s Pkt 4.1 [posttraumatische Verbitterungsstörung aufgrund enttäuschter Erwartung, arbeitsfähig zu sein]).

[8] 3. Wegen der Einzelfallbezogenheit kann die Beurteilung der Adäquanz nur dann die Zulässigkeit des Rekurses begründen, wenn das Berufungsgericht seinen Beurteilungsspielraum, der sich in dieser Wertungsfrage aus den Leitlinien der genannten Rechtsprechung ergibt, überschritten hat (RS0110361).

[9] 4. Derartiges zeigt die Beklagte aber nicht auf. Die Annahme des Berufungsgerichts, eine (auch) auf die Verfahrensdauer, die Verfahrensergebnisse sowie die nach dem Unfall erlittenen – im Rahmen der aufgetragenen Verfahrensergänzung auch im Zusammenhang mit deren Stellung im Kausalverlauf noch näher zu präzisierenden – „Kränkungen“ zurückzuführende posttraumatische Verbitterungsstörung sei adäquat verursachte Schadensfolge, stellt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

[10] 5. Entgegen der Behauptung im Rekurs, hat sich das Berufungsgericht auch bei seinen Ausführungen zur Verunstaltungsentschädigung nicht einem Privatgutachten angeschlossen und sich über die Feststellungen des Erstgerichts zum Erscheinungsbild der Klägerin hinweggesetzt, sondern diese explizit seiner Beurteilung zu Grunde gelegt und lediglich detailliertere Feststellungen zur Sichtbarkeit im Behandlungsverlauf und den sonstigen, für die Bemessung maßgeblichen Umständen (Alter, Familienstand, etc) gefordert.

[11] 6. Mit der bloßen Behauptung, die Verneinung einer Verunstaltungsentschädigung durch das Erstgericht liege innerhalb der Bandbreite der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird die Rechtsrüge mangels Auseinandersetzung mit der ausführlich begründeten Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043603 [T9]). Dem Obersten Gerichtshof ist es daher verwehrt, auf materiell‑rechtliche Fragen im Zusammenhang mit § 1326 ABGB einzugehen.

[12] 7. Der Rekurs der Beklagten war daher ebenfalls zurückzuweisen.

III. Kosten:

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Im vorliegenden Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit der Rekurse gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO gibt es keinen Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO (RS0123222 [T2]). Da beide Seiten in ihren Rekursbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen haben, dienten ihre Schriftsätze jeweils der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Aufgrund des unterschiedlichen Rekursinteresses, ergibt sich ein Kostenzuspruch zu Gunsten der Klägerin.

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