OGH 2Ob132/22h

OGH2Ob132/22h17.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) M*, 2.) S*, 3.) mj L*, 4.) mj E*, alle *, und 5.) K*, alle vertreten durch die Wijnkamp Advocatuur/Advokatur GmbH in Imst, gegen die beklagten Parteien 1.) P*, 2.) T*, und 3.) V*, alle vertreten durch Mag. Alexandra Knapp, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen 1.) 16.922,65 EUR und Feststellung, 2.) 7.666,62 EUR und Feststellung, 3.) 1.500 EUR und Feststellung, 4.) 1.500 EUR und Feststellung und 5.) 125.739 EUR, über die Revision der fünftklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. April 2022, GZ 3 R 44/22v‑39, womit das Teil‑ und Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 30. Jänner 2022, GZ 14 Cg 58/21y‑ 31, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00132.22H.0117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die fünftklagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.441,58 EUR (darin enthalten 240,26 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

 

Begründung:

[1] Am 18. 8. 2017 kam es auf der A1 zu einem Verkehrsunfall, bei dem aus dem Alleinverschulden des Erstbeklagten die erst‑, die zweit‑, die dritt‑ und die viertklagende Partei verletzt wurden.

[2] Thema des Revisionsverfahrens ist die teilweise Verjährung von Ansprüchen der fünftklagenden Partei, die nach den Klagebehauptungen eine offene Gesellschaft nach niederländischem Recht ist. Der Erstkläger und die Zweitklägerin hätten als Betreiber einer Kinderkrippe unter der Firma der Fünftklägerin unfallbedingt über einen längeren Zeitraum nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen können. Auf Grund der Arbeitsunfähigkeit vom 18. 8. 2017 bis November 2019, also 27 Monate, betrügen die infolge des Mehraufwands der anderen Mitarbeiter und der Einstellung von Ersatzkräften um monatlich 4.657 EUR erhöhten Lohnkosten 125.739 EUR.

[3] Das Erstgericht wies – soweit relevant – das Klagebegehren der Fünftklägerin ab. Es stellte fest, dass der Korrespondenzversicherer des slowakischen Haftpflichtversicherers gegenüber der Rechtsvertretung der klagenden Parteien in Bezug auf den Unfall am 12. 8. 2020 mitteilte, namens des Haftpflichtversicherers gegenüber der erst‑ bis viertklagenden Partei bis 31. 12. 2020 auf den Einwand der Verjährung zu verzichten. Daraus folgerte das Erstgericht rechtlich, da sich die Verjährungsverzichtserklärung nicht auch auf die fünftklagende Partei beziehe, seien sämtliche ihrer Ansprüche (angesichts der Klagseinbringung am 21. 12. 2020) mit Ablauf des 18. 8. 2020 verjährt.

[4] Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht zur Auslegung der Verzichtserklärung, änderte das Urteil des Erstgerichts jedoch dahin ab, dass es aussprach, die Forderung der fünftklagenden Partei sei im Betrag von 107.111 EUR nicht verjährt. Das Mehrbegehren der fünftklagenden Partei von 18.628 EUR samt Zinsen wies es ab. Für die vier in das Jahr 2017 fallenden Monate sei das Klagebegehren verjährt (4.657 EUR x 4 = 18.628 EUR), für die in den Jahren 2018 und 2019 behaupteten Lohnmehrkosten hingegen nicht.

[5] Es ließ die Revision (ua) betreffend die fünftklagende Partei zur Klärung der Frage zu, ob ein von einem österreichischen Korrespondenzversicherer namens des ausländischen Versicherers erklärter Verjährungsverzicht auch für den Versicherungsnehmer des ausländischen Versicherers und Mitversicherte gilt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Gegen den klagsabweisenden Teil richtet sich die Revision der fünftklagenden Partei, die keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzeigt.

[7] 1. Die in der Zulassungsbegründung genannte Rechtsfrage spricht die Revision nicht an (RS0102059).

[8] 2. Die Auslegung von Willenserklärungen hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet nur bei einem unvertretbaren Auslegungsergebnis eine erhebliche Rechtsfrage (RS0044358 [T6, T11] ua). Derartiges zeigt die Revision nicht auf.

[9] 3. Die Revisionswerberin behauptet, das Berufungsgericht habe ihre Rechtsnatur als V.O.F. (Venootschap onder firma) nach niederländischem Recht verkannt. Sie sei zwar partei‑, aber nicht rechtsfähig. Diese Argumentation zielt darauf ab, dass es sich um – vom Verjährungsverzicht erfasste – Forderungen (der Gesellschafter) handeln soll.

[10] 4. Für die Rechtsanwendung des fremden Rechts in seinem ursprünglichen Geltungsbereich fehlt es der Rechtsprechung des Revisionsgerichts an der in § 502 Abs 1 ZPO zugrunde gelegten Leitfunktion (RS0042948 [T1]). Die Revision wäre etwa dann zulässig, wenn eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre (RS0042948 [T7]). Wenn der Revisionswerber nicht darlegt, dass dies der Fall ist, liegt eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht vor (vgl RS0042948 [T9]).

[11] 5. Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Entscheidung des niederländischen Obersten Gerichtshofs (Hoge Raad) vom 17. 2. 2020, ECLI:NL:HR:2020:1315, bezieht sich auf die Haftung der Gesellschafter einer V.O.F. für Gesellschaftsschulden. Hier geht es um die Frage, ob bzw wann Gesellschaftsforderungen verjähren. Nach dem ausdrücklichen Vorbringen der Fünftklägerin über die Rechtsnatur einer V.O.F. kann diese ein eigenes Vermögen haben und klagen. Dann ist es aber konsequent, die Verjährung von eigenen Ansprüchen der V.O.F. unabhängig von der Verjährung von Ansprüchen der Gesellschafter zu beurteilen.

[12] 6. Die Behauptungs‑ und Beweislast für die die Verjährung begründenden Umstände trifft denjenigen, der die Verjährungseinrede erhebt (RS0034456 [T4]). Es genügt, wenn die Einwendung der Verjährung allgemein (ohne Anführung von bestimmten Tatsachen) erhoben wird. In einem solchen Fall ist der gesamte Prozessstoff zu berücksichtigen (RS0034198). Es sind nicht stets explizite Tatsachenbehauptungen erforderlich, wenn angesichts des betreffenden Prozessstoffs typischerweise von einer bestimmten Sachverhaltskonstellation ausgegangen werden kann. Bei Schadenersatzansprüchen ist mangels abweichender Behauptungen die Kenntnis vom Ersatzpflichtigen mit dem Unfalldatum gleichzusetzen, sofern nicht im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände Abweichendes zu gelten hat (RS0034198 [T5, T6]).

[13] 7. Wenn die Vorinstanzen angesichts des Verjährungseinwands die Verjährungsfrist grundsätzlich mit dem Unfalldatum beginnen ließen, entspricht diese Beurteilung der Rechtsprechung. Zwar beginnt nach der Rechtsprechung (RS0034527) für nicht vorhersehbare neue Wirkungen eines Schadensfalls die Verjährungsfrist vom Zeitpunkt der Kenntnisnahme neu zu laufen. Es war nach dem Klagsvorbringen aber bereits unmittelbar nach dem Unfall klar, dass der Erstkläger und die Zweitklägerin über einen längeren Zeitraum ihrer Arbeit (in der von der Fünftklägerin betriebenen Kinderkrippe) nicht mehr nachgehen würden können. Die Fünftklägerin macht – soweit noch relevant – Lohnmehrkosten (als Folge des Mehraufwands der anderen Mitarbeiter) bereits für die Zeit ab Unfallstag bis Ende 2017 geltend.

[14] 8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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