European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0230DS00014.22V.1207.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
* wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe in * „durch die Verwendung der Domäne 'www.rechtsanwalt-*.at' bis heute sowie der E-Mail-Adresse 'office@rechtsanwalt‑*.at' ab einem unbestimmten Zeitpunkt bis März 2019 den irreführenden Eindruck erweckt, er betreibe eine Rechtsanwaltskanzlei in *, obwohl sein Kanzleisitz seit Gründung der Kanzlei im Jahre 2007 in * war und ist“, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.
Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er in * „durch die Verwendung der Domaine 'www.rechtsanwalt‑*.at' bis heute sowie der E-Mail-Adresse 'office@rechtsanwalt‑*.at' ab einem unbestimmten Zeitpunkt bis März 2019 den irreführenden Eindruck erweckt [habe], er betreibe eine Rechtsanwaltskanzlei in *, obwohl sein Kanzleisitz seit Gründung der Kanzlei im Jahre 2007 in * war und ist“.
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigtenwegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen s RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.
[3] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt im Ergebnis zutreffend auf, dass die Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses weder die rechtliche Annahme einer Verletzung der Berufspflichten noch die einer Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu tragen vermögen.
[4] Der Disziplinarrat ging in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen von dem im Tenor der Entscheidung referierten Sachverhalt aus, erachtete diesen Internetauftritt des Disziplinarbeschuldigten als irreführend, weil der (unrichtige) Eindruck erweckt werde, er würde „eine Kanzlei in * betreiben“ und beurteilte dieses Verhalten als – die Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall begründenden – Verstoß gegen „§ 10 RAO, § 28 RL‑BA und § 47 RL‑BA“ sowie „gefestigte Standesansichten“ (ES 3 ff).
[5] Nach § 10 Abs 5 RAO ist dem Rechtsanwalt Werbung nur insoweit gestattet, als sie über seine berufliche Tätigkeit wahr und sachlich informiert und mit seinen Berufspflichten im Einklang steht. Er ist dabei grundsätzlich zu Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit verpflichtet (§ 10 Abs 2 RAO) und hat zudem die dieses allgemeine Gebot speziell für Werbemaßnahmen inhaltlich ausgestaltende Regelung des § 47 Abs 2 RL‑BA 2015 zu beachten.
[6] Unter „Werbung“ ist jedes Mittel zu verstehen, mit welchem ein Rechtsanwalt auf sich, seine Kanzlei und seine Leistungen aufmerksam machen will. Werbemittel ist jede Kommunikationsform für den Außenauftritt des Rechtsanwalts, demnach auch Websites (Domaines) und E‑Mail-Adressen.
[7] Jeder solcher Außenauftritt des Rechtsanwalts hat demnach dem in den genannten Bestimmungen normierten Sachlichkeits- und Wahrheitsgebot zu entsprechen; er darf nicht unwahr, täuschend oder irreführend sein. Bereits fahrlässig unrichtige Formulierungen können zu disziplinärer Haftung führen (zum Ganzen Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 10 RAO Rz 30 und 42; § 47 RL‑BA 2015 Rz 3 und 11 f, § 28 RL‑BA Rz 4, 8, 15).
[8] Welchen Eindruck eine Ankündigung auf den Durchschnittsmenschen vermittelt, ist eine Rechtsfrage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt und nach objektiven Maßstäben zu lösen ist. Ob sie zur Irreführung geeignet ist, hängt davon ab, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Angabe verstehen (vgl [zu § 2 UWG] RIS‑Justiz RS0043590).
[9] Die Berufung weist deutlich genug darauf hin, dass die Feststellungen insoweit eine abschließende (rechtliche) Beurteilung nicht zulassen.
[10] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die damit notwendige Verfahrensergänzung durch Vernehmung des Beschuldigten und Verlesung der TZ 18a aus den D-Akten vorzunehmen und auf dieser Basis folgende (teils notorische und damit nicht beweisbedürftige; RIS‑Justiz RS0098570) zusätzliche Feststellungen zu treffen (§ 52 DSt):
[11] * ist eine Marktgemeinde im Bezirk *-Land und am rechten Ufer der * gegenüber der durchwegs linksufrig gelegenen Stadt * situiert. Der Kanzleisitz des Disziplinarbeschuldigten befindet sich etwa 100 Meter von der Stadtgrenze entfernt und damit im Gerichtssprengel des Bezirks- und des Landesgerichts *, Postleitzahl der Kanzleiadresse und Vorwahl der Telefonnummer entsprechen jener der Stadt *. Der Disziplinarbeschuldigte selbst ist als Rechtsanwalt überwiegend im Raum * tätig und war bei der „Ersten anwaltlichen Auskunft“ der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer für * Rechtsanwälte eingebunden.
[12] Ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen ist auf Basis dieses (ergänzten) Sachverhalts eine Irreführungseignung der verwendeten Domaine und E‑Mail-Adresse vor allem mit Blick auf den Umstand, dass der Name der Stadt * Bestandteil des Namens der Gemeinde ist, in der die Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten situiert ist, die geringe Nähe zwischen * und *, insbesonders der Stadtgrenze und der Kanzleiadresse des Beschuldigten, sowie dessen überwiegendes Tätigkeitsgebiet schon deshalb zu verneinen, weil nicht davon auszugehen ist, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Bezeichnung „*“ mit Selbstverständlichkeit jedenfalls als Hinweis auf einen unmittelbar innerhalb der Stadtgrenzen gelegenen Kanzleisitz verstehen. Ein durch den inkriminierten Internetauftritt begründeter Verstoß gegen das Sachlichkeits- und Wahrheitsgebot liegt demnach nicht vor.
[13] Das angefochtene Erkenntnis war daher in Stattgebung der Berufung aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen.
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