OGH 7Ob180/22d

OGH7Ob180/22d23.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Faber und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D* D* und 2. I* D*, beide vertreten durch Mag. Reinhard Danninger, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch die MUSEY rechtsanwalt gmbh in Salzburg, wegen 15.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgerichtvom 7. Juli 2022, GZ 53 R 93/22s‑20, womit das Zwischenurteil des BezirksgerichtsSalzburgvom 30. März 2022, GZ 13 C 655/21p‑16, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00180.22D.1123.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 1.205,96 EUR (darin 200,99 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Zwischen den Parteien bestand zum Zeitpunkt des Schadensereignisses eine Eigenheimversicherung für das Wohnhaus der Kläger. Dem Versicherungsvertrag lagen die Besonderen Bedingungen der Beklagten für Eigenheim-Topschutz-PLUS (EH TOP PLUS 2020 G/Stufe 4) zugrunde (BB EH), die auszugsweise wie folgt lauten:

„3.  STURMVERSICHERUNG :

3.1. Schäden an Gebäuden oder Gebäudebestandteilen durch Überschwemmung , Vermurung und Lawinen und die bei diesen Schadenereignissen anfallenden Kosten (Punkte 1.12. und 1.13.) sind mit einer Versicherungssumme von € 5.000,-- auf Erstes Risiko versichert.

Überschwemmung ist die Überflutung des Grundes und Bodens des Versicherungsortes

- durch Witterungsniederschläge,

- durch Kanalrückstau als ausschließliche Folge von Witterungsniederschlägen

- durch Ausuferung von oberirdischen stehenden oder fließenden Gewässern.

[…]

3.4. Schäden an innen liegenden Gebäudebestandteilen durch Witterungsniederschläge (Niederschlagswasser, Schnee oder Hagel) sind mit einer Versicherungssumme von € 5.000,-‑ auf Erstes Risiko versichert, wenn die Witterungsniederschläge durch die Dachhaut oder durch ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren eingedrungen sind.

[...]“

[2] Darüber hinaus lagen dem Vertrag die „Besonderen Bedingungen HW/5/1“ (BB HW/5/1) zugrunde, die auszugsweise lauten:

„Abweichend von den vereinbarten Allgemeinen und Besonderen Bedingungen ist folgende Erweiterung des Versicherungsschutzes vereinbart:

Schäden an Gebäuden oder Gebäudebestandteilen durch Überschwemmung und die bei diesen Schadenereignissen anfallenden Kosten sind mit einer zusätzlichen Versicherungssumme von EUR 15.000,00 auf Erstes Risiko versichert.

Überschwemmung ist die Überflutung des Grundes und Bodens des Versicherungsortes

- durch Witterungsniederschläge,

- durch Ausuferung von oberirdischen stehenden oder fließenden Gewässern.

[... ]

Die Leistung für Schäden durch Kanalrückstau als ausschließliche Folge von Witterungsniederschlägen ist innerhalb der vereinbarten Gesamtversicherungssumme in jedem Fall mit EUR 5.000,00 begrenzt.“

[3] Am 28. Juli 2021 ereignete sich ein starker Hagelfall, der dazu führte, dass sich auf der Liegenschaft der Kläger am unteren Stiegenantrittsbereich eines nicht überdachten Kelleraußenabgangs, direkt vor der Außenzugangstür in den Keller, Hagelkörner anhäuften. Dadurch wurde der im Antrittsbereich befindliche Entwässerungsgully verlegt, sodass das Niederschlagswasser nicht mehr ausreichend abfließen konnte und sich mit dem abschmelzenden Hagelwasser anstaute. Das drückende Wasser gelangte über die geschlossene Türe in das Gebäudeinnere und beschädigte Böden und Wände im Keller des Wohnhauses.

[4] Die Kläger haben von der Beklagten aufgrund dieses Ereignisses 5.000 EUR an Versicherungssumme erhalten.

[5] Die Kläger begehren Zahlung von 15.000 EUR sA. Es habe sich die versicherte Gefahr einer Überschwemmung realisiert. Ein Kanalrückstau im Sinn der Bedingungen habe nicht vorgelegen, weshalb den Klägern eine Versicherungsleistung von 15.000 EUR zustehe.

[6] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Es liege keine Überschwemmung im Sinn der Versicherungsbedingungen vor, weil sich dafür eine erhebliche Wassermenge auf der Geländeoberfläche des versicherten Orts ansammeln müsse, was hier nicht der Fall sei.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Zwischenurteil dem Grunde nach statt. Die versicherte Gefahr habe sich realisiert, weil eine Überschwemmung schon bei Überflutung von einzelnen, abgrenzbaren Teilen des Versicherungsorts anzunehmen sei. Im weiteren Verfahren sei zu klären, ob die Überschwemmung durch Witterungsniederschläge oder durch Kanalrückstau als ausschließliche Folge von Witterungsniederschlägen verursacht worden sei. Daran anschließend sei die Schadenshöhe zu ermitteln.

[8] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im Sinn einer Klagsabweisung ab. Einerseits liege keine Überschwemmung vor und andererseits sei der Schaden auf einen Kanalrückstau zurückzuführen, sodass die Versicherungssumme nach der Bedingungslage jedenfalls mit 5.000 EUR begrenzt sei.

[9] Da der Auslegung von Versicherungsbedingungen bei Überschwemmung durch Witterungsniederschläge in der Eigenheimversicherung über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zukomme, ließ es die Revision zu.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[13] 1. Da es sich beim Schriftsatz der Kläger vom 12. September 2020 (ON 23) lediglich um ein Duplikat der ersten Revision (ON 22.2) handelt, ist eine Zurückweisung des zweiten (späteren) Rechtsmittels nach dem Grundsatz der Einmaligkeit nicht erforderlich (vgl 10 ObS 251/00k mwN). Die Revision der Kläger ist auch nicht verspätet, weil ihnen die Berufungsentscheidung am 13. Juli 2022 zugestellt wurde und sie nach Weiterleitung des Berufungsgerichts spätestens am 12. September 2022 beim Erstgericht einlangte.

[14] 2. Die behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft, liegen jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[15] 3.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[16] 3.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahr und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]).

[17] 3.3.1. Die BB HW/5/1 verlangen für den Versicherungsfall „Überschwemmung des versicherten Grundstücks“ eine „Überflutung des Grundes und Bodens des Versicherungsortes“. Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ist eine – in den Bedingungen nicht näher definierte – Überflutung von Grund und Boden des Versicherungsorts dann anzunehmen, wenn sich dort erhebliche Wassermengen ansammeln (vgl BGH VersR 2005, 828 mwN in der deutschen Lehre; v. Rintelen in Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4 § 8 Rn 54). Der Begriff der „Überschwemmung“ bzw „Überflutung“ impliziert darüber hinaus, dass sich Wasser auf einem nicht unerheblichen Teil von Grund und Boden des Versicherungsorts ansammelt (ähnlich Langheid/Wandt in MünchKommVVG² 230. Elementarschadenversicherung Rn 39; Gierschek in Dietz/Fischer/Gierschek, Wohngebäudeversicherung3 § 4 A Rn 62; v. Rintelen in Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4 § 8 Rn 60), was immer nur anhand des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden kann (Hoenicke in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess4 § 4 Rn 121; Hoenicke in Wälder/Hoenicke/Krahe, Sach- und Betriebsunterbrechungsversicherung – Versicherte Gefahren – F II. Rn 18).

[18] 3.3.2. Im vorliegenden Fall kann keine Rede davon sein, dass sich erhebliche Wassermengen auf einem nicht unerheblichen Teil von Grund und Boden des Versicherungsorts angesammelt haben, hat sich das Wasser doch nur auf dem wenige Quadratmeter großen Antrittsbereich einer außenliegenden Kellertreppe angestaut. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend erkannt, dass schon die primäre Risikobegrenzung der „Überschwemmung“ nicht gegeben ist. Damit muss weder die Frage, ob es sich bei der Außentreppe samt Antrittsbereich um „Grund und Boden des Versicherungsortes“ im Sinn der Versicherungsbedingungen handelt, noch die weitere Frage, ob ein „Kanalrückstau“ auch dann vorliegt, wenn Hagelkörner einen Entwässerungsgully verlegen, sodass das Niederschlagswasser nicht mehr ausreichend abfließen kann und sich deshalb ansammelt, beantwortet werden.

[19] 3.3.3. Da die Kläger im vorliegenden Fall eine 5.000 EUR übersteigende Entschädigung unstrittig nur bei Vorliegen einer „Überschwemmung“ im Sinn der BB HW/5/1 beanspruchen können, hat das Berufungsgericht das Klagebegehren zutreffend abgewiesen.

[20] 4. Die Revision ist daher erfolglos.

[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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