OGH 4Ob170/22m

OGH4Ob170/22m22.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Schwarzenbacher, Dr. Tarmann‑Prentner, MMag. Matzka und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH, *, vertreten durch Mag. Günther Holzapfel, Rechtsanwalt in Andorf, gegen die beklagte Partei G*, Montenegro, vertreten durch die Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 9.750 EUR sA, über den ordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 15. Juni 2022, GZ 21 R 79/22h‑32, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 15. Februar 2022, GZ 2 C 918/20z‑26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00170.22M.1122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

 

Spruch:

DemRevisionsrekurswird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zur Gänze – einschließlich der Kostenentscheidung – wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.529,52 EUR (darin 254,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte ist Österreicher mit Wohnsitz in Montenegro. Er ist Hälfteeigentümer einer im Sprengel des Erstgerichts gelegenen Liegenschaft mit Wohnhaus; auf seinem Hälfteanteil ist seit 1999 zugunsten der anderen Hälfteeigentümerin, seiner Ehefrau, ein Belastungs‑ und Veräußerungsverbot einverleibt. Der Beklagte ist weiters Stifter und Begünstigter einer österreichischen Privatstiftung.

[2] Der Beklagte kaufte bei einer Messe in Tulln von der in Oberösterreich ansässigen Beklagten einen Whirlpool um 9.750 EUR, trat jedoch einige Tage später vom Kaufvertrag zurück, was die Klägerin jedoch nicht akzeptierte.

[3] Die Klägerin begehrt die Zahlung des Kaufpreises.

[4] Der Beklagte wendet mangelnde internationale Zuständigkeit ein, weil er in Montenegro lebe, wohne und arbeite und keine Vermögenswerte in Österreich habe.

[5] Das Erstgericht verwarf die Unzuständigkeitseinrede. Der Beklagte habe zwar keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, besitze mit seiner Liegenschaftshälfte jedoch Vermögen; die Klägerin habe sich erkennbar auf § 99 JN gestützt.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beklagten Folge, erklärte das Erstgericht für international unzuständig und wies die Klage zurück. Eine Zwangsversteigerung der Liegenschaft des Beklagten komme aufgrund des Belastungs- und Veräußerungsverbots nicht in Frage, und zu einer Zwangsverwaltung fehle Vorbringen der Klägerin, ob dadurch die Forderung überhaupt hereingebracht werden könnte. Auch in Ansehung der Privatstiftung fehle jedes Vorbringen der Klägerin, welche Forderungen dem Beklagten gegenüber der Stiftung, der eigene Rechtspersönlichkeit zukomme, zustünden. Es liege damit kein exekutiv verwertbares Vermögen im Inland vor.

[7] Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage gebe, ob seit der ZVN 1983 ganz allgemein – abgesehen von der sachlichen Immunität – nur mehr exekutiv verwertbares Vermögen zur Begründung des Vermögensgerichtsstands nach § 99 JN in Betracht komme.

[8] Dagegen erhebt die Klägerin Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Beklagte beantragt, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

[11] 1. Im Revisionsrekursverfahren nicht mehr in Frage gestellt wird, dass sich die Zuständigkeit des Erstgerichts hier nur aus § 99 JN ergeben könnte; dessen Abs 1 lautet seit der ZVN 1983:

„Gegen Personen, die im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand haben, kann wegen vermögensrechtlicher Ansprüche bei jedem Gericht eine Klage angebracht werden, in dessen Sprengel sich Vermögen dieser Personen oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand selbst befindet. Der Wert des im Inland befindlichen Vermögens darf jedoch nicht unverhältnismäßig geringer sein als der Wert des Streitgegenstandes; für dessen Berechnung gilt der § 55 Abs 3 nicht.“

 

[12] 2.1. Unter Vermögen iSd § 99 JN ist jeder im Inland lokalisierte wirtschaftliche Wert zu verstehen; dazu gehören auch Forderungen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Einbringung der Klage; eine nachträgliche Änderung oder der Wegfall des Vermögens, etwa durch Veräußerung oder Verbringung, Pfändung, Verpfändung oder sicherungsweise Abtretung, beseitigt den Gerichtsstand nicht, selbst wenn durch den Fortfall des Vermögensgerichtsstands die Möglichkeit der Anhängigmachung des Anspruchs im Inland wegfiele. Ergibt sich jedoch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Einrede der Unzuständigkeit, dass die im Zeitpunkt der Klagseinbringung fehlenden Voraussetzungen des Vermögensgerichtsstands inzwischen eingetreten sind, dann ist die Klage nicht mehr wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen (RS0046756; vgl 6 Ob 208/02k).

[13] 2.2. Nach den Materialien zur ZVN 1983, BGBl 1983/135, sollten mit der Abgrenzung, dass der Wert des im Inland befindlichen Vermögens in keinem auffallenden Missverhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehen darf, „die ärgsten Auswüchse“ einer allgemein als international unerwünscht angesehenen „competence exorbitante“ beseitigt werden. Maßstab für die Abgrenzung solle besonders der zu erwartende Prozesskostenaufwand sein, wobei vergleichbar zu § 63 Abs 1 ZPO ein durchschnittlicher Prozessablauf zugrundezulegen sei (RV 669 BlgNR 15. GP  39 f).

[14] 3.1. Nach älterer Rechtsprechung werde in § 99 JN nur gefordert, dass ein ausreichendes Vermögen vorliege, nicht aber auch, dass dieses exekutiv verwertbar sein müsse, sodass der Gerichtsstand des Vermögens auch dann begründet werde, wenn das Vermögen wegen exekutiver Pfändungsbeschränkungen der Exekution entzogen sei (Nachweise bei Simotta in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 99 JN [2013] Rz 27 [FN 60]).

[15] 3.2. Nach der – nach der ZVN 1983 ergangenen, sich auf die Materialien hierzu beziehenden – Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien seien Liegenschaften, auf denen sich die Botschaft und das Kulturinstitut eines ausländischen Staats befänden, sowie deren Einrichtungen sachlich immun, der Exekution entzogen und daher kein Vermögen iSd § 99 JN (11 R 1/87, EvBl 1988/76).

[16] 3.3. In der Folge hat der Oberste Gerichtshof die Frage, ob seit der ZVN 1983 ganz allgemein – abgesehen von der sachlichen Immunität – nur mehr exekutiv verwertbares Vermögen zur Begründung des Vermögensgerichtsstands in Betracht komme, ausdrücklich offen gelassen (6 Ob 208/02k; jüngst ebenso 6 Ob 126/22f).

[17] In 6 Ob 208/02k wurde aber die Ansicht, dass übermäßig mit Hypotheken belastete Liegenschaften von vornherein kein wirtschaftlich verwertbares Vermögen seien, nicht gebilligt und ausgeführt, dass im Hinblick auf den Umfang des fraglichen Liegenschaftsbesitzes, die Unabwägbarkeit wirtschaftlicher Entwicklungen und die zu bedenkende Möglichkeit der Umwidmung von Grundstücken die beabsichtigte Rechtsverfolgung – die exekutive Durchsetzung des geltend gemachten Anspruchs – nicht als „offenbar aussichtslos“ (vgl § 63 Abs 1 ZPO) zu qualifizieren sei.

[18] 4. Im Schrifttum wird einhellig das Abstellen auf exekutiv verwertbares Vermögen – abgesehen vom Fall völkerrechtlicher Immunität – kritisiert, weil damit unnötigerweise die sonst erst im Exekutionsverfahren auftauchenden Probleme des Pfändungsschutzes in den Zivilprozess hineingetragen würden; der Gerichtsstand des Vermögens werde auch dann begründet, wenn das Vermögen wegen exekutiver Pfändungsbeschränkungen der Exekution entzogen sei (Simotta aaO; ihr folgend Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 99 JN [2019] Rz 5; und Braun in Höllwerth/Ziehsack, ZPO‑TaKomm, § 99 JN [2019] Rz 9 f).

[19] 5. Diese Ansicht, dass das Verfahren zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit nicht mit – oft diffizilen – Fragen der Pfändbarkeit von Vermögensgegenständen belastet werden soll, ist überzeugend. Zudem ist die Absicht des historischen Gesetzgebers der ZVN 1983 unmissverständlich darauf gerichtet gewesen, an sich geringfügiges, zum verfolgten Anspruch außer Relation stehendes und nicht einmal die voraussichtlichen Prozesskosten deckendes Vermögen auszuschließen; auf die Verwertbarkeit wurde dabei nicht abgestellt.

[20] Der Senat schließt sich daher der einhelligen Meinung im Schrifttum an, dass – abgesehen vom hier nicht zu beurteilenden Fall völkerrechtlicher Immunität – die unmittelbare exekutive Verwertbarkeit von Vermögensgegenständen nicht erforderlich ist, um den Vermögensgerichtsstand nach § 99 Abs 1 JN zu begründen; ein auf einer Liegenschaft lastendes – die Zwangsversteigerung (nur) für die Dauer seines Bestehens verhinderndes (RS0002537) – rechtsgeschäftliches Belastungs- und Veräußerungsverbot steht daher der Annahme eines Vermögensgerichtsstands nach § 99 Abs 1 JN nicht entgegen.

[21] 6.1. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass das inländische Vermögen des Beklagten ungeachtet des darauf lastenden Belastungs- und Veräußerungsverbots den Vermögensgerichtsstand nach § 99 Abs 1 JN begründet.

[22] 6.2. Dass der Hälfteanteil an der Liegenschaft hier zum Wert des betriebenen Anspruchs von unter 10.000 EUR nicht außer Relation steht (vgl RS0046752), ist evident und wird vom Beklagten in seiner Revisionsrekursbeantwortung auch ausdrücklich nicht bestritten.

[23] 6.3. Auf die schon vom Rekursgericht erwogene Frage, ob hinreichendes Vorbringen dazu vorliegt, dass durch eine – vom Veräußerungs- und Belastungsverbot schon nach bisheriger Rechtsprechung nicht gehinderte (RS0002751) – Verwertung durch Zwangsverwaltung der Liegenschaft die Hereinbringung des Klagsbetrags erzielt werden könnte, kommt es damit hier nicht an. Einem von der Klägerin in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmangel fehlt es an Relevanz, sodass nicht erörtert werden muss, ob die Darlegungen im Revisionsrekurs zu jenem Vorbringen, das die Klägerin, über die relevante Rechtsansicht zur Auslegung des § 99 JN informiert, erstattet hätte (RS0120056 [T8]), ausreichend wären.

[24] 6.4. Der im Ergebnis zutreffende erstgerichtliche Beschluss war daher wiederherzustellen.

[25] 7. Da die Klägerin den Unzuständigkeitseinwand des Beklagten erfolgreich abgewehrt hat, hat sie nach § 41 ZPO (für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO) die gesamten, von der Hauptsache abgrenzbaren Kosten des Zwischenstreits von ihm ersetzt zu erhalten (vgl RS0035955 [T4, T8, T17]; RS0036009 [T1]; 10 Ob 74/16d; Obermaier, Kostenhandbuch3 [2018] Rz 1.327 ff).

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