OGH 15Os108/22d

OGH15Os108/22d16.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski in Gegenwart der OKontr. Gsellmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen * M* und eine Beschuldigte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 351 HR 187/22k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerden des * M* und der * H* gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien vom 4. Oktober 2022, AZ 18 Bs 273/22m und AZ 18 Bs 274/22h, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00108.22D.1116.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

* M* und * H* wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerden werden abgewiesen.

 

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien führt gegen * M* und * H* ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen.

[2] Mit Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. September 2022 wurde über die Genannten die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO verhängt (ON 62, 64).

Rechtliche Beurteilung

[3] Den dagegen erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschlüssen vom 4. Oktober 2022, AZ 18 Bs 273/22m und AZ 18 Bs 274/22h (ON 80.3, 81.3), nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.

[4] Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts sind * M* und * H* dringend verdächtig, im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter in W*

I./ zumindest seit Jänner 2021 noch festzustellenden Abnehmern in zumindest 5.659 Angriffen

A./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen zu haben, nämlich zumindest 255 Stück 2c‑b, 356 Gramm 4‑mmc (beinhaltend 4‑Methyl‑Methcathinon), 120 Stück MDMA‑hältige Ecstasy‑Tabletten, 294 Gramm Cannabisharz (beinhaltend zumindest 1,36 % Delta‑9‑THC und 17,90 % THCA), 64,5 Gramm Kokain (beinhaltend zumindest 64,01 % Cocain), 1.232 Gramm MDMA (beinhaltend zumindest 34,88 % MDMA), 191 Gramm Methamphetamin (beinhaltend zumindest 76,11 % Methamphetamin), 6.100 Gramm Speedpaste und 483 Gramm getrocknetes Speed (jeweils beinhaltend zumindest 10,23 % Amphetamin), 165‑Trips (beinhaltend LSD) sowie noch festzustellendes Suchtgift in weiteren 3.851 Angriffen;

B./ mit dem Vorsatz, daraus einen Vorteil zu ziehen, eine mit Verordnung gemäß § 3 NPSG bezeichnete oder von einer gemäß § 3 NPSG definierten chemischen Substanzklasse umfasste Neue Psychoaktive Substanz mit dem Vorsatz, dass sie von einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet wird, anderen überlassen zu haben, und zwar 1.007 Gramm Ketamin sowie weitere noch festzustellende Mengen noch festzustellender Neuer Psychoaktiver Substanzen;

II./ von einem noch festzustellenden Zeitpunkt bis 19. September 2022 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 1.146,1 Gramm Kokain (beinhaltend zumindest 64,01 % Cocain), 8.379,8 Gramm Speedpaste und 722,1 Gramm Speed (jeweils beinhaltend zumindest 10,23 % Amphetamin), 4.854,8 Gramm MDMA‑hältige Ecstasy-Tabletten, 2.868 LSD-Trips (beinhaltend LSD), 656,5 Gramm Cannabisharz (beinhaltend zumindest 1,36 % Delta‑9‑THC und 17,90 % THCA), 3.267,3 Gramm MDMA (beinhaltend zumindest 34,88 % MDMA), 197,1 Gramm Methamphetamin (beinhaltend zumindest 76,11 % Methamphetamin) und 107,9 Gramm 4‑mmc (beinhaltend 4‑Methyl‑Methcathinon) mit dem Vorsatz besessen zu haben, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem sie dieses im Suchtgiftlager bunkerten und * H* dieses am 19. September 2022 teilweise bereits im Rucksack zur Versendung an weitere Abnehmer transportierte.

[5] Diesen als sehr wahrscheinlich angenommenen Sachverhalt subsumierte das Beschwerdegericht den Tatbeständen nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./A./), § 4 Abs 1 vierter Fall NPSG (I./B./) sowie § 28 Abs 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (II./).

[6] Gegen diese Beschlüsse des Oberlandesgerichts richten sich die – in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten – Grundrechtsbeschwerden des * M* und der * H*, mit welchen sie die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr sowie die Nichtanwendung gelinderer Mittel bekämpfen. Den Beschwerden kommt keine Berechtigung zu.

[7] Die rechtliche Annahme von Haftgründen überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens nur dahin, ob sie aus den im angefochtenen Beschluss angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich, demnach als nicht oder als offenbar unzureichend begründet angesehen werden muss (RIS‑Justiz RS0117806, RS0118185).

[8] Entgegen der Kritik der Grundrechtsbeschwerde hat das Oberlandesgericht die Tatbegehungsgefahr nicht „allein aus dem Tatverdacht“ abgeleitet, sondern es gründete die Prognoseentscheidung auf den Umstand, dass den Beschwerdeführern wiederholte Handlungen über einen längeren Zeitraum mit einer Vielzahl an Angriffen zur Last gelegt werden, sodass im Zusammenhalt mit den „tristen Vermögensverhältnissen“ der qualifizierte Verdacht bestehe, dass die Beschwerdeführer eine „deutlich ausgeprägte, massive kriminelle Bereitschaft“ zeigten, „die Rechtsgüter Leib und Leben sowie fremdes Vermögen nicht zu achten“ (jeweils BS 8).

[9] Damit aber wurden bestimmte Tatsachen angeführt, aus denen das Oberlandesgericht die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO genannten Gefahr willkürfrei ableiten konnte.

[10] Indem die Beschwerde moniert, das Oberlandesgericht habe sich mit den „geänderten Verhältnissen“, nämlich der Abnahme der elektronischen Kommunikationsmittel und dem erstmaligen Verspüren des Haftübels, nicht hinreichend auseinandergesetzt (vgl dazu BS 9), und aus den in den angefochtenen Beschlüssen angesprochenen Vermögensverhältnissen unter eigenständiger Würdigung für die Beschuldigten günstigere Schlüsse zieht, vermag sie eine willkürliche Annahme des Haftgrundes nicht darzutun (RIS‑Justiz RS0117806 [T11]).

[11] Beruft sich die Grundrechtsbeschwerde auf die Erreichbarkeit der Haftzwecke durch gelindere Mittel, hat sie diese konkret zu bezeichnen und darzulegen, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit verneint hat, ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]). Diesen Erfordernissen werden die Beschwerdeführer nicht gerecht, indem sie bloß behaupten, das Oberlandesgericht habe die mangelnde Eignung gelinderer Mittel zur Substituierung der Tatbegehungsgefahr unrichtig beurteilt.

[12] Die Beschwerden waren daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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