European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00102.22A.1017.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Begründung:
[1] Die Beklagte ist zur Ausübung des Gewerbes der Auskunfteien über Kreditverhältnisse gemäß § 152 GewO berechtigt und führt eine Datenbank, in der sie Zahlungserfahrungsdaten speichert. Unter anderem speichert die Beklagte hinsichtlich des Klägers eine am 27. 7. 2016 eröffnete und am 25. 10. 2016 zufolge positiver Erledigung geschlossene Kapitalforderung von 822,44 EUR. Zudem ist in der Datenbank der Beklagten der Forderungsstatus „außergerichtliche Betreibung“ und zur Herkunft der Information „O*“ vermerkt.
[2] Der Kläger begehrt die Löschung, hilfsweise Unterlassung der Speicherung und Weitergabe der von der Beklagten erfassten Zahlungserfahrungsdaten zu seiner Person.
[3] Die Beklagte wendet ein, die Speicherung der Zahlungserfahrungsdaten des Klägers aus dem Jahr 2016 sei rechtmäßig erfolgt.
[4] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.
[5] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Beginn des Fristlaufs für die Dauer der Eintragung ebenso fehle wie eine solche, wenn nur ein einmaliges Fehlverhalten des Schuldners vorgelegen habe.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Revision ist nicht zulässig.
[7] 1. Die Revision stützt sich auf Passagen der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 87/21v und des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) zu W214 2216836.1, aus denen sich ergebe, dass die zulässige Speicherdauer nicht ab dem Datum der positiven Erledigung, sondern ab dem „Entstehen der Eintragung“ zu bemessen sei.
Beide Entscheidungen sind aber nicht unmittelbar einschlägig:
[8] 1.1. So sprach das BVwG zu W214 2216836.1 zwar aus, dass die Verarbeitung von Informationen über vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren positiv erledigte Forderungen, die innerhalb der letzten fünf Jahre entstanden sind, erforderlich ist, nimmt damit aber ersichtlich auf den zugrundeliegenden Sachverhalt Bezug, wonach die dortigen Zahlungserfahrungsdaten der Eröffnung/Entstehung gerade noch nicht länger als fünf Jahre zurücklagen. Aus dieser Formulierung ist daher für den gegenständlichen Fall nichts abzuleiten.
[9] 1.2. Auch der Oberste Gerichtshof konnte in 6 Ob 87/21v (ErwGr 3.1.) die Frage der höchstzulässigen Speicherdauer dahingestellt lassen, weil die Daten erst drei Jahre gespeichert worden waren und dies unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVwG jedenfalls zulässig sei.
[10] 1.3. Da auch hier sowohl Eröffnung als auch positive Erledigung der Schuld des Klägers bei Schluss der Verhandlung erster Instanz innerhalb eines Fünfjahreszeitraums lagen und nach 6 Ob 87/21v (ErwGr 3.3.) im Übrigen auch eine Speicherdauer von bis zu zehn Jahren tolerabel ist, kann die Festlegung eines zwingenden Fristbeginns aus der zitierten Entscheidung nicht abgeleitet werden.
[11] 2. Hilfsweise argumentiert die Revision das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung dahin, die Entscheidung6 Ob 87/21v lasse entgegen der eindeutigen Textierung keinen (verbindlichen) Rückschluss über den Fristbeginn der Speicherfrist zu.
[12] 2.1. Zur Festlegung der Fristen bzw Kriterien, nach denen sich der Löschungszeitpunkt bestimmt, ist auf die ausführliche Darstellung in 6 Ob 87/21v (ErwGr 2.1. – 2.4.) zu verweisen, wonach es zusammengefasst auf eine Einzelfallbetrachtung anhand der konkreten Gegebenheiten ankommt und die zulässige Dauer der Aufbewahrung nach ihren Zweck erheblich variieren kann.
[13] 2.2. Ausdrücklich nimmt die Entscheidung auf die ständige Rechtsprechung des BVwG Bezug, wonach historische Zahlungsinformationen umso weniger Aussagekraft haben, je länger sie zurückliegen und je länger es zu keinen weiteren Zahlungsstockungen und Zahlungsausfällen gekommen ist (BVwG W258 2216873‑1; W274 2232028-1; W101 2213581‑1; W256 2223741‑1). Demnach kommt dem Alter der Forderung bzw dem Zeitpunkt des Feststehens des endgültigen Ausfalls der Forderung, dem Zeitpunkt etwaiger Tilgungen und dem seitherigen „Wohlverhalten“ des Schuldners bei der Abwägung entscheidende Bedeutung zu, wobei als Richtlinie Beobachtungs‑ oder Löschungsfristen in rechtlichen Bestimmungen herangezogen werden können, die dem Gläubigerschutz dienen oder die Erfordernisse an eine geeignete Bonitätsbeurteilung näher festlegen, wie etwa die Kapitaladäquanzverordnung (Verordnung [EU] Nr 575/2013), zu der der (EU‑)Verordnungsgeber davon ausgeht, dass für die Beurteilung der Bonität eines (potenziellen) Schuldners bzw des Risikos einer Forderung Daten über etwaige Zahlungsausfälle über einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren relevant sind.
[14] 2.3. Dass hierbei sehr wohl auch die positive Erledigung der Forderung zu berücksichtigen ist, kommt in den weiteren Ausführungen des BVwG (W258 2216873‑1) zu den Verarbeitungsgrundsätzen nach Art 5 DSGVO, „Zweckbindung“, „Datenminimierung“, „Richtigkeit“ und „Speicherbegrenzung“ deutlich zum Ausdruck, wonach es nicht als Verstoß gegen das Prinzip der Datenminimierung oder der Speicherbegrenzung erkannt werden kann, wenn Daten über eine Insolvenz verarbeitet werden und der Zahlungsplan zum Zeitpunkt des Löschungsbegehrens erst vor eineinhalb Jahren bzw zum Entscheidungszeitpunkt erst vor etwas mehr als drei Jahren erfüllt worden ist.
[15] 2.4. Auch die Datenschutzbehörde folgt in Abweichung von ihrer früheren Ansicht einer fixen Aufbewahrungsdauer nunmehr einer Einzelfallbetrachtung und kam etwa für Kredite in nicht unbeträchtlichem Ausmaß, die zwar vor mehr als zehn Jahren entstanden sind, aber erst 2017 im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zumindest teilweise erledigt wurden, zum Ergebnis, dass vor allem aufgrund der Höhe der einzelnen Forderungen sowie der erst kurzen Zeit, die zwischen dem Löschungsbegehren sowie der Erfüllung des Zahlungsplans vergangen ist (unter zwei Jahre), davon ausgegangen werden könne, dass das berechtigte Interesse der Kreditauskunftei an der Verwendung der Daten über „Kreditverhältnisse“ des Beschwerdeführers gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers an der Löschung der Daten überwiegt (DSB‑D123.319/0002‑DSB/2019).
[16] Dagegen bejahte die Datenschutzbehörde unter Verweis auf die Einzelfallbeurteilung eine Verletzung des Löschungsrechts hinsichtlich einer Forderung von knapp 500 EUR, die im Juni 2010 entstanden und im Februar 2013 positiv erledigt worden war, und führte aus, dass aufgrund der geringen Höhe der Forderung sowie der Begleichung der Schuld vor über fünf Jahren nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Verarbeitung dieser Daten noch bonitätsrelevant und somit für die berechtigten Interessen der Gläubiger noch von Interesse sei. Hinsichtlich einer ganz ähnlichen Forderung, die ebenfalls 2010 entstanden, aber erst im April 2018 positiv erledigt worden war, lehnte die Datenschutzbehörde indes das Löschungsbegehren ab, weil kein Grund ersichtlich sei, die Eintragung – wenngleich keinesfalls zu einer beträchtlich hohen Forderung – bei so kurzer Zeit seit der Begleichung der Forderung zu löschen (vgl DSB‑D123.193/0003‑DSB/2018; bestätigt durch BVwG [W101 2213581‑1/5E]).
[17] 3. Die Umstände, dass es sich um einen einzelnen Zahlungsausfall handelte, der bereits nach drei Monaten positiv erledigt wurde, mögen das Interesse potenzieller Gläubiger zwar abstrakt verringern, zugleich bilden die Bonitätsdaten dann aber auch keine besonders schwache Zahlungsmoral ab. Zudem wird hier der Umstand des vereinzelt gebliebenen Zahlungsausfalls bis zu einem gewissen Grad dadurch ausgeglichen, dass der Betrag (822,44 EUR) die Summe der Beträge in 6 Ob 87/21v (508,99 EUR) überstieg. Auch auf den Aspekt der damaligen Minderjährigkeit des Klägers kann es vor dem Hintergrund seiner damit verbundenen nicht vollkommenen Geschäftsfähigkeit jedenfalls in Zusammenschau mit der erfolgten Zustimmung seiner Eltern im Hinblick auf den bezweckten Gläubigerschutz nicht entscheidend ankommen.
[18] 4. Wenn die Revision darauf verweist, dass eine massive Belastung des schuldnerischen wirtschaftlichen Fortkommens (im Rahmen der nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO gebotenen Interessenabwägung) entsprechend zu berücksichtigen sei, so trifft dies zwar zu. Eine unzumutbare Beschneidung der Möglichkeit am Wirtschaftsleben teilzunehmen (vgl 6 Ob 87/21v [ErwGr 4.10.]), ist im gegenständlichen Fall aber nicht ersichtlich bzw kann auch den Feststellungen, die lediglich auf sechs Bonitätsanfragen von vier Kreditinstituten im ersten Halbjahr 2020 verweisen, nicht entnommen werden.
[19] Wenn die Revision weiters kritisiert, die in Frage stehenden Daten seien „überhaupt nicht mehr bonitätsrelevant“, weil sie nichts mit der jetzigen Einkommens- und Vermögenssituation zu tun hätten, entfernt sie sich von den konkreten Sachverhaltsfeststellungen, die nur den damaligen Prämienbezug und das Fehlen eines weiteren geregelten Einkommens festhalten, denen eine grundlegend veränderte Einkommens- und Vermögenssituation aber nicht zu entnehmen ist.
[20] Im Übrigen macht – wie der Oberste Gerichtshof schon zu 6 Ob 87/21v (ErwGr 4.8.) ausführte – der bloße Umstand, dass die in der Datenbank der Beklagten bereitgestellten Datensätze als solche keinen verlässlichen Rückschluss auf den spezifischen Grund des (temporären) Zahlungsausfalls zulassen, die Information für künftige Gläubiger nicht wertlos: Ausgehend davon, dass unberichtigt gebliebene Forderungen von der Beklagten dann nicht in der Datenbank gespeichert werden, wenn sie der Schuldner bestritten hat, hat auch die – hier einzelne – Datenbankeintragung betreffend den Kläger insoweit Aussagekraft, als sie ein durchaus beachtliches Indiz für einen entweder zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Schuldner sein kann.
[21] 5. Eine Einzelfallentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm, konkret bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs der Unzumutbarkeit korrigiert werden müsste. Bewegt sich das Berufungsgericht – wie hier – im Rahmen der Grundsätze einer ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und trifft es seine Entscheidung ohne krasse Fehlbeurteilung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, so liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (vgl RS0044088 [T8, T9, T58]: ausdrücklich zur nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO vorzunehmenden Interessenabwägung).
[22] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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