OGH 11Os63/22g

OGH11Os63/22g27.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Turner als Schriftführer in der Strafsache gegen * A* wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 7. April 2022, GZ 16 Hv 13/21m‑41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00063.22G.0927.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte * A* zweier Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB (A./1./ und 2./) sowie eines Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in V* und andernorts gegen nachstehende Personen durch Misshandlungen am Körper und Begehung vorsätzlich mit Strafe bedrohter Handlungen gegen Leib und Leben eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar

A./ von Dezember 2015 bis zum 7. Oktober 2020 gegen die Unmündigen

1./ T*, geboren am * 2010, indem er ihr etwa jeden zweiten Tag mit der flachen Hand gegen die Arme, den Rücken oder in das Gesicht schlug, wodurch die Genannte wiederholt Hämatome erlitt;

2./ Ah*, geboren am * 2007, indem er ihm etwa zehn Mal pro Monat Schläge mit der flachen Hand gegen die Beine und den Kopf versetzte, wodurch der Genannte wiederholt Hämatome erlitt;

B./ von Dezember 2015 bis November 2020 gegen Am*, indem er ihr mehrfach Schläge mit der flachen Hand und mit der Faust gegen ihren Oberkörper versetzte, wodurch sie wiederholt Hämatome erlitt und indem er sie einmal so gewaltsam stieß, dass sie rücklings auf eine eingeschaltete Herdplatte fiel, wodurch sie sich Verbrennungen zuzog.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) wurde durch die Ausfolgung einer übersetzten Anklageschrift an den Angeklagten (erst) in der Hauptverhandlung am 10. März 2022 (ON 34 S 2) die gemäß § 221 Abs 2 StPO einzuräumende Vorbereitungsfrist nicht verletzt.

[5] Hat der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte – wie hier – einen Verteidiger, ist nur diesem – fristauslösend (vorliegend am 11. November 2021; vgl den an ON 22 angeschlossenen Zustellnachweis) – zuzustellen; diese Zustellung wahrt auch die Verteidigungsrechte des Angeklagten in ausreichendem Ausmaß (Roitner, Zum Einfluss der Übersetzungshilfe auf Rechtsmittelfristen, ÖJZ 2021/46, 324 f, 329 mwN; 13 Ns 17/17d). Im Übrigen gab der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 10. März 2022 an (ON 34 S 2), die Anklageschrift „erhalten und verstanden“ und „mit seinem Verteidiger besprochen“ zu haben).

[6] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 34 S 17) des Antrags des Angeklagten auf auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis der mangelnden Realitätsbezogenheit der Angaben der Zeugin T* (ON 37 S 16) dessen Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[7] Eine Hilfestellung durch einen Sachverständigen bei der – dem Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zukommenden (§ 258 Abs 2 StPO) – Prüfung der Glaubhaftigkeit von Zeugen ist nur in besonders gelagerten Fällen, etwa bei (durch Beweisergebnisse indizierten) Bedenken gegen die allgemeine Wahrnehmungs- oder Wiedergabefähigkeit des Zeugen oder dessen (vom Einzelfall unabhängige) Aussageehrlichkeit (RIS‑Justiz RS0097576), bei abwegiger Veranlagung in psychischer oder charakterlicher Hinsicht sowie bei Entwicklungsstörungen oder sonstigen Defekten desselben erforderlich (RIS‑Justiz RS0097733). Anhaltspunkte für solche Ausnahmekonstellationen zeigte der Antrag, der das Erinnerungsvermögen der Zeugin an Übergriffe „seit ihrem zweiten Lebensjahr“ in Frage stellt und sich darauf beruft, dass die Genannte überdies – nicht näher konkretisiert – „nach eigenen Angaben seit Jahren in psychotherapeutischer Behandlung“ sei, nicht auf, sodass der Antrag auf die unzulässige Aufnahme eines Erkundungsbeweises abzielte (RIS‑Justiz RS0097576). In der Nichtigkeitsbeschwerde als Versuch einer Antragsfundierung nachgetragene Argumente sind wegen des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

[8] Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall, der Sache nach auch Z 5 vierter Fall) zuwider stützte das Erstgericht seine Konstatierungen zur Häufigkeit der vom Angeklagten im verurteilten Zeitraum ausgeübten Gewalt – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit oder Vollständigkeit der Erörterung nicht zu beanstanden – auf die als glaubwürdig erachteten, das Ausmaß der konstatierten Gewalt tragenden Angaben der drei Opfer, die jeweils auch ihre Wahrnehmungen zur gegenüber den jeweils anderen ausgeübten Gewalt schilderten (US 6 ff), untermauert durch Aussagenweiterer Zeugen, vorliegende Lichtbilder sowie – im Umfang dessen letztlich teilgeständiger Verantwortung – auch auf die Einlassung des Angeklagten (US 5). Insoweit der Angeklagte eine über seine eigenen Depositionen hinausgehende Gewaltausübung bestritt, folgte ihm das Erstgericht mit Blick auf obige Belastungen nicht.

[9] Entgegen dem Beschwerdevorbringen setzte es sich dabei auch mit den Abweichungen in den Aussagen der Zeugen zur Häufigkeit der ausgeübten Gewalt auseinander, indem es erwog, dass Am* bei der Gewalt gegenüber den Kindern nicht jedesmal zugegen gewesen sei, ihre diesbezüglichen Angaben in der Hauptverhandlung konkretisiert habe (US 8) und sich die Deponate der Zeugen trotz minimaler Abweichungen in den einzelnen Aussagen zu einem schlüssig nachvollziehbaren Gesamtbild zusammensetzen würden (US 10).

[10] Die Rüge zeigt insgesamt kein formelles Begründungsdefizit (dazu RIS‑Justiz RS0098646, RS0118317) auf, sondern bekämpft bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld die Beweiswürdigung des Erstgerichts.

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers – daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[12] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte