OGH 11Os84/22w

OGH11Os84/22w27.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Turner als Schriftführer in der Strafsache gegen * U* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. Mai 2022, GZ 61 Hv 106/21k‑83, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Mag. Ramusch LL.M., LL.M. WU, des Angeklagten sowie seines Verteidigers Mag. Kregcjk zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00084.22W.0927.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in der Unterstellung der vom Schuldspruch I umfassten Taten unter § 28a Abs 2 Z 1 SMG sowie im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

* U* wird für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I) und das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (II) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Die Anrechnung der Vorhaft wird dem Erstgericht überlassen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * U* im zweiten Rechtsgang (zum ersten vgl 11 Os 19/22m) unter verfehlter (RIS-Justiz RS0098685, RS0100041 [T5, T11, T12]; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 33), aber prozessual bedeutungsloser Wiederholung des im ersten Rechtsgang rechtskräftig gewordenen Schuldspruchs zu II des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Dezember 2021, GZ 61 Hv 106/21k‑63, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (I) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Zeitraum Ende 2016 (I/S) bis 16. September 2021 (I/AF) in W* vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, und zwar Kokain-Kugeln beinhaltend jeweils 0,4 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 % Cocain, an im Urteil namentlich genannte (I/A bis I/AE) und nicht mehr feststellbare Abnehmer (I/AF) in der dort genannten Anzahl, wobei er gewerbsmäßig handelte und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28[a] (vgl US 5) Abs 1 SMG verurteilt worden war (I).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4] Zutreffend reklamiert die Subsumtionsrüge (Z 10) das Fehlen einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage zur gewerbsmäßigen Begehung im Sinn des § 70 Abs 1 StGB und damit für die rechtliche Unterstellung nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG.

[5] Nach den tatrichterlichen Konstatierungen umfasst der Schuldspruch zu I das wiederholte (sukzessive) Überlassen von Suchtgiftquanten, die für sich die Grenzmenge des § 28b SMG jeweils nicht, in Summe jedoch mehrfach überschreiten (US 2 ff iVm US 6). Insgesamt wurde durch die Summe dieser Angriffe weder das Fünfundzwanzigfache (§ 28a Abs 4 Z 3 SMG) noch das Fünfzehnfache (§ 28a Abs 2 Z 3 SMG) der Grenzmenge des § 28 SMG überschritten (US 6).

[6] Die Begründung mehrerer nach § 28a Abs 1 SMG strafbarer Handlungen durch sukzessive Begehung in Form tatbestandsmäßiger Manipulation (etwa Überlassen) von je für sich die Grenzmenge nicht übersteigenden Suchtgiftquanten kommt seit der Entscheidung eines verstärkten Senats zu AZ 12 Os 21/17f (RIS‑Justiz RS0131856) nur mehr dann in Betracht, wenn – insbesondere zufolge Fehlens insgesamt einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage (vgl RIS‑Justiz RS0122006) – nicht nur eine, sondern mehrere tatbestandliche Handlungseinheiten und damit auch mehrere Taten vorliegen (RIS‑Justiz RS0133289; instruktiv 11 Os 93/21t).

[7] Unter Zugrundelegung der Urteilsfeststellungen ist von einer Tatbegehung durch Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch Einzelakte bei einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage und damit von einer einzigen (mit Additionsvorsatz verübten – vgl US 6 iVm US 10) Tat nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG auszugehen. Angesichts dieser Konstatierungen ist eine Subsumtion nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG iVm § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB mangels mehrfacher Tatbegehung nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0130965).

[8] Die frühere Verurteilung des Angeklagten am 24. Juni 2015 zu AZ 63 Hv 73/15p des Landesgerichts für Strafsachen Wien unter anderem wegen § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (US 5) liegt aufgrund der nachfolgenden Tatbegehung frühestens seit Ende 2016 (vgl den Schuldspruch zu I S – US 6) außerhalb des von § 70 Abs 3 StGB geforderten zeitlichen Zusammenhangs und ist daher nicht qualifikationsbegründend im Sinn des § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB (RIS‑Justiz RS0130966).

[9] Ebenso wenig bringen die tatrichterlichen Feststellungen die Absicht des Angeklagten, sich durch die wiederkehrende Begehung von – nicht „Suchtgiftverkäufen“ schlechthin (vgl nämlich US 6), sondern – jeweils die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Taten nach § 28a Abs 1 SMG längere Zeit hindurch ein den Voraussetzungen des § 70 Abs 2 StGB entsprechendes Einkommen zu verschaffen (vgl RIS‑Justiz RS0130966 [T4]), zum Ausdruck.

[10] Die rechtliche Annahme der auf § 70 Abs 1 Z 3 StGB gestützten Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG ist demnach verfehlt.

[11] Feststellungen, die eine rechtliche Beurteilung des Tatgeschehens als gewerbsmäßige Begehung nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG tragen würden, sind in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten.

[12] Demgemäß war – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil, dass im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wie aus dem Spruch ersichtlich aufzuheben und in diesem Umfang in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).

[13] Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung war mildernd das reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) und in geringem Ausmaß die teilweise objektive Schadensgutmachung durch Sicherstellung von Suchtgift zu werten. Als erschwerend war das Zusammentreffen eines Vergehens mit einem Verbrechen sowie die Fortsetzung der strafbaren Handlung durch längere Zeit (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB – vgl Ebner in WK2 StGB § 33 Rz 4), die Vielzahl der Angriffe, die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit und die Tatsache, dass der Angeklagte schon wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Taten verurteilt worden ist (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB), zu veranschlagen.

[14] Davon ausgehend und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Fünfzehnfache der Grenzmenge des § 28b SMG bloß gerade nicht überschritten wurde (vgl US 6), erweist sich eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Jahren als tat‑ und schuldangemessen.

[15] Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

[16] Die Anrechnung der Vorhaft wird dem Erstgericht überlassen (§ 400 Abs 1 StPO).

[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte