OGH 6Ob137/22y

OGH6Ob137/22y29.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. N*, geboren am * 2007, *, und 2. A*, geboren am * 2008, *, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN, über den Rekurs der Mutter *, vertreten durch Dr. Ernst Blasl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 12. Mai 2022, GZ 12 Nc 1/22x‑3, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00137.22Y.0829.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die mit Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 10. Dezember 2021, GZ 6 Ps 167/21g‑127, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Floridsdorf hinsichtlich der mj N* nicht genehmigt, hingegen hinsichtlich der mj A* genehmigt wird.

 

Begründung:

[1] Zu AZ 6 Ps 4/22p (vormals AZ 16 P 106/14z, 6 P 167/21g) des Bezirksgerichts Tulln ist die Pflegschaftssache hinsichtlich der Minderjährigen N*, geboren am * 2007, und A*, geboren am * 2008, anhängig. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil vom 4. 7. 2017 geschieden. Die häusliche Trennung erfolgte bereits 2014.

[2] Mit Beschluss vom 19. 8. 2015 wurde vorläufig die gemeinsame Obsorge der Eltern mit hauptsächlichem Aufenthalt für N* beim Vater (im Sprengel des Bezirksgerichts Tulln) und für A* bei der Mutter festgelegt. Hinsichtlich A* wurde die Obsorge der Mutter alleine zugesprochen. Der Antrag des Vaters, hinsichtlich A* den hauptsächlichen Aufenthalt bei gemeinsamer Obsorge in seinem Haushalt festzulegen, wurde abgewiesen. A* lebt bei ihrer Mutter im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf.

[3] Mit an das Bezirksgericht Tulln gerichteter Eingabe vom 2. 12. 2021 stellte der Vater einen Kontaktrechtsantrag hinsichtlich A*, über den nach der Aktenlage noch nicht entschieden ist. Daraufhin beantragte die Mutter die Teilung des Pflegschaftsakts und Übermittlung des A* betreffenden Akts an das Bezirksgericht Floridsdorf.

[4] Mit Beschluss vom 10. 12. 2021 übertrug das Bezirksgericht Tulln die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache (hinsichtlich beider Kinder) mit der Begründung an das Bezirksgericht Floridsdorf, A* halte sich im Sprengel der Bezirksgerichts Floridsdorf auf und es sei daher zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Floridsdorf die Pflegschaftssache führe. Es übermittelte den Akt dem Bezirksgericht Floridsdorf.

[5] Das Bezirksgericht Floridsdorf stellte den Akt dem Bezirksgericht Tulln mit dem Hinweis zurück, es sei nicht ersichtlich, inwieweit die Interessen der Minderjährigen durch eine Übertragung des Verfahrens an das Bezirksgericht Floridsdorf gefördert würden, zumal N* weiterhin im Sprengel des Bezirksgerichts Tulln lebe.

[6] Mit rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 27. 4. 2022 wurde der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 11. 3. 2022 bestätigt, womit über Antrag der mj N* deren Mutter die Obsorge für sie entzogen und sie dem Vater allein übertragen wurde.

[7] Das Bezirksgericht Tulln legte den Akt dem Oberlandesgericht Wien zur Klärung des Zuständigkeitskonflikts vor.

[8] Mit dem angefochtenen Beschluss genehmigte das Oberlandesgericht Wien die vom Bezirksgericht Tulln ausgesprochene Übertragung nicht. Hinsichtlich N* sei ein Obsorgeverfahren anhängig, es sei vorhersehbar, dass in Zukunft Maßnahmen bezüglich beider Schwestern aufeinander abzustimmen sein würden bzw ein Informationsaustausch zwischen den Pflegschaftssachen notwendig sei.

[9] Dagegen richtet sich der Rekurs der Mutter mit dem Antrag, die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Floridsdorf zu genehmigen.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist teilweise, nämlich hinsichtlich A*, berechtigt.

[11] Aus dem Pflegschaftsakt ergibt sich weiters, dass die mj N* nach eigener Aussage seit Jahren keinen Kontakt mit ihrer Mutter hat und einen solchen offensichtlich auch in Zukunft ablehnt (Protokoll vom 21. 2. 2022, ON 131).

Rechtlich folgt:

[12] Betreffend N* sind pflegschaftsgerichtliche Maßnahmen in Zukunft nicht mehr zu erwarten, weil das Obsorgeverfahren mittlerweile rechtskräftig im Sinn der Minderjährigen beendet ist, sie einen Kontakt mit der Mutter ablehnt und ein Kontaktrechtsantrag der Mutter nicht vorliegt. Selbst wenn die Mutter einen Kontaktrechtsantrag stellen sollte, könnte diesem angesichts des Alters von N* (15) und deren ablehnender Haltung kaum ein Erfolg beschieden sein (vgl 6 Ob 173/00k).

[13] Für die im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf bei der Mutter wohnhafte A* (13) hingegen ist der Kontaktrechtsantrag des Vaters offen. Für diese Minderjährige ist somit die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Floridsdorf zweckmäßiger.

[14] Im Allgemeinen ist zwar die Pflegschaft für mehrere aus derselben Ehe stammende Kinder bei einem Gericht zu führen (RS0047074 [T2, T3]). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt: Eine Trennung der Obsorgeverfahren von Geschwistern ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Sie kann etwa dann erfolgen, wenn wegen der vom Pflegschaftsgericht zu regelnden Fragen und des Alters der Kinder ein wechselseitiges Abstimmen von Maßnahmen oder ein besonderer Informationsaustausch nicht mehr im Vordergrund steht (RS0047074 [T17]). So wurde die Trennung etwa auch dann für berechtigt erachtet, wenn – wie hier – sich die Lebensmittelpunkte der Geschwister in verschiedenen Bezirksgerichtssprengeln befanden, sich die Minderjährigen in fortgeschrittenem Alter befinden und ein wechselseitiges Abstimmen von Maßnahmen oder ein besonderer Informationsaustausch nicht im Vordergrund steht (8 Nc 31/15y; 6 Nc 4/17s; RS0047300 [T27], RS0047074 [T17]).

[15] Im vorliegenden Fall liegen somit die Voraussetzungen für die Trennung des Pflegschaftsverfahrens für beide Kinder und für die Übertragung an das Bezirksgericht Floridsdorf betreffend A* vor, weshalb der Rekurs der Mutter insoweit Erfolg hat.

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