European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00059.22A.0705.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Beschluss vom 27. Oktober 2021, GZ 314 HR 12/20z‑74, erklärte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die vom Justizministerium der Republik Serbien mit Ersuchen vom 1. Februar 2021, Zahl 713‑01‑02768/2018‑08 (ON 58 und ON 61) begehrte Auslieferung des serbischen Staatsangehörigen * P* zur Vollstreckung der vom Höheren Gericht Kragujevac am 27. Juni 2016 zur Zahl SPK-7/16 verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und zur Strafverfolgung wegen einer weiteren dem Ersuchen samt Unterlagen zugrunde liegenden Straftat, die nach österreichischem Recht als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu qualifizieren sei, für zulässig. Der dagegen gerichteten Beschwerde des Betroffenen gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 22. März 2022, AZ 22 Bs 293/21f (ON 81), nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
[2] Mit seinem dagegen fristgerecht erhobenen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens macht der Betroffene eine Verletzung von Art 3 und Art 6 MRK geltend.
[3] Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag (RIS‑Justiz RS0122228) gelten alle bezogen auf die Anrufung dieses Gerichtshofs normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und Art 35 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737, RS0128394). Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung jedenfalls der Sache nach und gemäß den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS-Justiz RS0122737 [T13]).
[4] Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 16), hat ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in sämtlichen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er (auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seiner Argumentation die Sachverhaltsannahmen der bekämpften Entscheidung zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 363a Rz 5/1).
[5] Diesen Erfordernissen wird das gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien gerichtete Vorbringen nicht gerecht.
Zur behaupteten Verletzung von Art 3 MRK:
[6] Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn ein konkretes Risiko besteht, dass der Betroffene im Empfangsstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erreicht und demnach mit Art 3 MRK unvereinbar ist. Dabei hat der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr einer Art 3 MRK nicht entsprechenden Behandlung schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Die bloße Möglichkeit drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung reicht nicht aus. Vielmehr muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein reales, anhand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko bestehen, der Betroffene werde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt (RIS‑Justiz RS0123201, RS0123229; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 19 Rz 7 f, 18).
[7] Bei der Prüfung des den Betroffenen konkret treffenden Risikos einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung im ersuchenden Staat ist dessen Zugehörigkeit zu einer besonders vulnerablen Gruppe beachtlich, soweit sich aus dieser Zugehörigkeit (vor allem durch objektive Quellen zu dokumentierende) hinreichend bestimmte Anhaltspunkte für eine zu erwartende Konventionsverletzung ergeben. Im Übrigen ist der Nachweis stichhaltiger Gründe für die Annahme einer individuellen Gefahr aber bloß in extremen Ausnahmefällen (ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen im Zielstaat) verzichtbar (RIS‑Justiz RS0123229 [insbesondere T12]; Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 19 ARHG Rz 7 mwN, 16).
[8] Geht die behauptete Gefahr nicht von staatlicher Seite aus, so muss neben der Unmittelbarkeit der Bedrohung auch nachgewiesen werden, dass die staatlichen Autoritäten nicht in der Lage sind, vor einer von Seiten Privater ausgehenden konkreten Gefahr zu schützen (RIS‑Justiz RS0123229 [T1]), oder dass sie ihre diesbezüglich bestehende Schutzpflicht nicht ausreichend wahrnehmen (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 20 Rz 73 ff).
[9] Bei einer Auslieferung an einen Konventionsstaat ist die Verantwortlichkeit des ausliefernden Staats im Übrigen eingeschränkt, soweit der Betroffene im Zielstaat rechtzeitig und effektiv Rechtsschutz gegen Konventionsverletzungen erlangen kann (RIS‑Justiz RS0123229 [T6 und T8]; Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 19 ARHG Rz 10 mwN).
[10] Mit der Behauptung, „die Berichte des CPT als auch der Staatendokumentation“ wären vom Oberlandesgericht Wien „nicht ausreichend gewürdigt“ worden, wird bezogen auf die Annahme, dem Antragsteller wäre es nicht gelungen, ein ihn betreffendes, konkretes Gefährdungspotential (iSd Art 3 MRK) nachzuweisen (BS 9), ein Begründungsmangel nicht aufgezeigt. Im Übrigen setzte sich das Beschwerdegericht nicht nur mit den Berichten des Europäischen Ausschusses zur Verhütung der Folter (CPT) und der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, sondern auch – vom Antrag übergangen (vgl aber RIS‑Justiz RS0124359) – mit dem Bericht des Justizattachés der Österreichischen Botschaft Belgrad ausführlich auseinander (BS 7 f).
[11] Soweit der Antragsteller vorbringt, seine Verurteilung wegen Suchtgifthandels wäre politisch motiviert gewesen, er hätte Feinde in Serbien (Anhänger der Partei SNS) und fürchte mit Blick auf die Tötung einer Person mit demselben Namen in einer serbischen Haftanstalt, dass ein Mordanschlag auf ihn unternommen werde, vermag er eine aktuelle, ernsthafte (gewichtige) Gefahr einer Art 3 MRK nicht entsprechenden Behandlung nicht nachzuweisen. Außerdem unterlässt er eine argumentative Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Beschwerdegerichts zum Vorliegen eines reinen Kriminalfalls ohne politischen Kontext (BS 9 f; RIS‑Justiz RS0123229 [T24]).
[12] Dass der Erneuerungswerber – entgegen den Annahmen des Oberlandesgerichts Wien (BS 9) – mit Blick auf seine politische Gesinnung in der Republik Serbien keinen wirksamen Rechtsschutz erwarten könne, wird gleichermaßen bloß unsubstantiiert behauptet.
[13] Aus welchen Gründen eine nicht näher konkretisierte „Zusicherung vom ersuchenden Staat“ einzuholen gewesen wäre, erklärt der Antrag nicht.
Zum behaupteten Verstoß gegen Art 6 MRK:
[14] Das Auslieferungsverfahren selbst fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK (RIS‑Justiz RS0132638). Dessen Verfahrensgarantien können für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung aber (ausnahmsweise) Relevanz erlangen, wenn der Betroffene nachweist, dass er im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Prozesses erfahren musste oder eine solche droht (RIS‑Justiz RS0123200; Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 19 Rz 14). Zum Nachweis einer Verletzung von Art 6 MRK im Strafverfahren des ersuchenden Staates sind substantiierte Gründe vorzubringen. Ein pauschaler Einwand mangelnder Rechtsstaatlichkeit genügt ebenso wenig wie der Umstand, dass es im Zielstaat in der Vergangenheit regelmäßig Konventionsverstöße gab (Göth-Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 19 Rz 15).
[15] Eine insoweit konkret drohende Konventionsverletzung wird mit der – unter teilweiser Wiederholung des Vorbringens zum reklamierten Verstoß gegen Art 3 MRK aufgestellten – Behauptung, der Antragsteller hätte Feinde in Serbien und werde politisch verfolgt, nach der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl werde Folter zur Erpressung von Geständnissen gelegentlich angewendet und er selbst hätte glaubwürdig ausgesagt, dass sein Geständnis erzwungen worden wäre, aber nicht dargestellt.
[16] Die Kritik des Erneuerungswerbers am Unterbleiben der Einholung – nicht näher bezeichneter – „zusätzliche[r] Informationen vom ersuchenden Staat“ sowie an der behaupteten Verletzung von Zuständigkeitsbestimmungen des serbischen Verfahrensrechts (Abgrenzung von gerichtlicher und verwaltungsbehördlicher Zuständigkeit) setzt sich erneut nicht mit der Argumentation der als grundrechtswidrig reklamierten Entscheidung des Oberlandesgerichts (BS 5 f) auseinander.
[17] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher – wie auch die Gerneralprokuratur zutreffend aufzeigt – schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und 2 StPO).
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