European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00055.22B.0628.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde P* W* – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – zweier Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I/ und II/) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 6. August 2021 in E* nachgenannten Personen vorsätzlich (US 5 f) eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zuzufügen versucht, und zwar
I/ * E*, indem er ihm einen Faustschlag gegen das Gesicht und – als dieser am Boden lag – zwei bis drei (US 5) wuchtige Fußtritte gegen den Kopf versetzte, wodurch der Genannte Hämatome und Schwellungen im Gesichtsbereich erlitt, sowie
II/ * D*, indem er ihr einen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte, sie am Hals packte, würgte und sie zu Boden zerrte, ihr, als sie am Boden lag, mit dem Fuß auf ihr Gesicht eintrat, wodurch sie eine Rissquetschwunde an der linken Augenbraue erlitt, sodann mit einem Messer auf die Genannte losging, ihr gegenüber schreiend ankündigte, er werde sie abstechen, und ihr unmittelbar folgend durch eine Hiebbewegung mit dem Messer (US 6) eine 15 cm lange Schnittwunde im Bereich der linken Hüfte unter dem Rippenbogen zufügte, wobei er das Fett- und Bindegewebe durchtrennte, sodass die Wunde von außen und innen genäht werden musste.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Die Feststellungen zur objektiven Tatseite zu II/ (US 5 f) gründeten die Tatrichter insbesondere auf die Aussagen der Zeugen * K* und * Eb* sowie auf das Gutachten des chirurgischen Sachverständigen Dr. * F* und den Umstand, dass der Angeklagte bereits in der Vergangenheit wegen eines Körperverletzungsdelikts zum Nachteil seiner (damaligen) Lebensgefährtin D* rechtskräftig verurteilt worden war. Die leugnende Verantwortung des Angeklagten, wonach sich das Opfer die Verletzung selbst zugefügt habe, die als widersprüchlich erachteten Angaben der Zeugin D*, die insgesamt vier Versionen zum Tathergang als Verletzungsursache unterbreitet und in der – nach der Erstattung des Gutachtens des chirurgischen Sachverständigen gewählten – letzten Version angegeben hatte, sich die Schnittverletzung durch eine „Selbstritzung“ mit einer Glasscherbe zugefügt zu haben, sowie die Aussage der nicht unmittelbaren Tatzeugin R* W*, wurden ausführlich erörtert und dargelegt, aus welchen Gründen das Erstgericht diesen nicht zu folgen vermochte (US 10 ff).
[5] Zur prozessförmigen Ausführung einer Tatsachenrüge (Z 5a) sind die ins Treffen geführten aktenkundigen Beweismittel in Hinsicht auf ihre Eignung, erhebliche Bedenken gegen bekämpfte Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen hervorzurufen, an der Gesamtheit der diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen des Schöffengerichts zu messen (RIS‑Justiz RS0117446 [T1]).
[6] Diesem Erfordernis entspricht die Rüge nicht, weil sie bloß einzelne der oben angeführten Beweismittel oder einzelne Passagen daraus isoliert hervorhebt und daraus für den Angeklagten günstigere Schlüsse zieht als das Erstgericht.
[7] Vielmehr bekämpft der Beschwerdeführer solcherart – außerhalb der Anfechtungskriterien der Z 5a – die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (RIS‑Justiz RS0100555 [insb T16]).
[8] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird Nichtigkeit aus Z 5a nicht angesprochen (RIS‑Justiz RS0102162).
[9] Indem die zu I/ und II/ einen Schuldspruch nach § 83 Abs 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) auf der Basis eigenständiger Beweiswerterwägungen Feststellungen zum Vorsatz auf Herbeiführung einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) bestreitet, geht sie nicht von den gerade dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 5 f) aus. Damit erweist sie sich als nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt (RIS‑Justiz RS0099724).
[10] Soweit die Rüge zu II/ zudem auf das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 5a) verweist, vernachlässigt sie den wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0115902).
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
[12] Hinzuzufügen ist, dass der Strafausspruch mit – von der Staatsanwaltschaft unbekämpft gebliebener – Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO behaftet ist, weil das Erstgericht ausgehend von der Strafdrohung des § 84 Abs 4 StGB und unter (zutreffender) Anwendung des § 39 Abs 1 StGB von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe ausging (US 17). Zusätzlich (§ 39a Abs 3 erster Satz StGB, Flora in WK2 StGB § 39a Rz 18) wäre nämlich – angesichts der zu II/ unter Einsatz eines Messers vorsätzlich angewendeten Gewalt (US 2, 6) – auch die die Strafuntergrenze zwingend erhöhende Bestimmung des § 39a Abs 1 Z 4 StGB zu beachten gewesen, weil im Zusammenhang mit Bestimmungen zur Strafbemessung als „Waffe“ eine solche im funktionalen Sinn (RIS‑Justiz RS0093928) zu verstehen ist (jüngst 11 Os 16/22w, 12 Os 7/21b je mwN). Demnach erhöht sich vorliegend die Strafuntergrenze für das dem Angeklagten zu II/ zur Last gelegte Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB auf ein Jahr Freiheitsstrafe (§ 39a Abs 2 Z 3 StGB), sodass das Erstgericht von einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe auszugehen gehabt hätte. Dieser Rechtsfehler gereicht dem Angeklagten jedoch nicht zum Nachteil, weshalb kein Anlass zu einer amtswegigen Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) besteht.
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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