OGH 12Os43/22y

OGH12Os43/22y2.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen * V* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 2. Dezember 2021, GZ 620 Hv 3/21p‑50, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00043.22Y.0602.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Freisprüche enthält, wurde * V* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (I./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III./B./, C./, D./) und der Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.

[2] Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, hat er danach in K*

I./ nachts zum 12. Juni 2020 eine wehrlose Person, nämlich die am * 2005 geborene, stark alkoholisierte, gerade aus dem Schlaf erwachende und somit wehrlose * W*, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr Vaginalverkehr vornahm;

II./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen, und zwar:

A./ vom 24. Oktober 2006 bis zum 10. Oktober 2007 an der am * 1993 geborenen, somit unmündigen J* B*, indem er ihr in mehreren Angriffen oberhalb der Kleidung auf ihre Scheide griff und sie an ihren Brüsten über dem BH streichelte;

B./ vom 24. Oktober 2006 bis zum 24. Oktober 2007 an der am * 1993 geborenen, somit unmündigen L* B*, indem er ihr in mehreren Angriffen oberhalb der Kleidung auf ihre Scheide und ihre Brüste griff und teilweise direkt unter dem BH ihre nackten Brüste streichelte;

III./ mit minderjährigen Personen, die seiner Ausbildung und Aufsicht unterstanden, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von diesen Personen an sich vornehmen lassen, und zwar:

B./ mit der am * 2004 geborenen * M* als ihr Ausbildner bei der Freiwilligen Feuerwehr K*

1./ am 18. April 2019, indem er sie nach einer Feuerwehrübung nach Hause brachte und sie auf dem Heimweg dazu veranlasste, in seinem PKW Oralverkehr bis zum Samenerguss an ihm durchzuführen,

2./ am 30. Mai 2019, indem er sie dazu veranlasste, zu ihm in seine Wohnung zu kommen, dort erneut Oralverkehr an ihm durchzuführen und in weiterer Folge selbst Oralverkehr und schließlich Vaginalverkehr an und mit ihr durchführte;

C./ vom 24. Oktober 2006 bis zum 10. Oktober 2007 mit der am * 1993 geborenen J* B* als ihr Ausbildner bei der Freiwilligen Feuerwehr K* durch die unter Punkt II./A./ angeführten Handlungen;

D./ mit der am * 1993 geborenen L* B* als ihr Ausbildner bei der Freiwilligen Feuerwehr K*

1./ vom 24. Oktober 2006 bis zum 24. Oktober 2007 durch die unter Punkt II./B./ angeführten Handlungen,

2./ vom 23. Jänner 2008 bis zum 20. Dezember 2011, indem er ihr in mehreren Angriffen oberhalb der Kleidung auf ihre Scheide und ihre Brüste griff und teilweise direkt unter dem BH ihre nackten Brüste sowie ihre nackte Scheide streichelte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 5, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

[4] Der gegen den Schuldspruch I./ gerichteten Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) ist voranzustellen, dass schon der (bloße) Schlafzustand die nach der ersten Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB geforderte Wehrlosigkeit des Opfers begründet (RIS‑Justiz RS0102727, RS0095097). Damit spricht die Beschwerde mit der Kritik an angeblich widersprüchlichen – zur objektiven und subjektiven Tatseite getroffenen – Entscheidungsgründen zur Frage, ob * W* wegen ihrer Alkoholisierung oder wegen bloßer Übermüdung schlief, keine entscheidenden Tatsachen an.

[5] Die in Bezug auf die Schuldsprüche II./A./ und III./C./ erhobene Rüge (Z 5 vierter Fall, der Sache nach Z 5 erster Fall) entzieht sich einer sachbezogenen Antwort, weil das Schöffengericht gar nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass dem Angeklagten die Unmündigkeit der J* B* „bekannt war bzw bekannt sein musste“. Vielmehr nahmen die Tatrichter insoweit nur das konkrete Alter des Mädchens in den Blick, während sie hinsichtlich der Unmündigkeit ohnedies von Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) ausgingen (vgl US 16, 19; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19).

[6] Die weitere Beschwerde (Z 5 vierter Fall) erblickt in den die Schuldsprüche II./A./ und B./; III./B./ und C./ betreffenden Urteilspassagen, wonach dem Angeklagten das unmündige Alter der Opfer „natürlich“ bewusst war (US 16, 19, 21), eine bloße Scheinbegründung. Sie übersieht jedoch die Bezugnahme des Erstgerichts auf die Rolle des Angeklagten als Ausbildner und Aufsichtsorgan der Opfer bei der Freiwilligen Feuerwehr und vernachlässigt solcherart prozessordnungswidrig die Gesamtheit der Entscheidungsgründe (vgl RIS‑Justiz RS0119370).

[7] Soweit der Beschwerdeführer eine Begründung für die Ausnützung des konstatierten Autoritätsverhältnisses (§ 212 Abs 1 Z 2 StGB) in Form seiner Ausbildungs- und Aufsichtsfunktion gegenüber den Opfern (US 7) in subjektiver Hinsicht vermisst (Z 5 vierter Fall; Schuldsprüche III./D./1. und 2./), geht er daran vorbei (vgl erneut RIS‑Justiz RS0119370), dass das Schöffengericht die jeweilige innere Tatseite aus dem objektiven Geschehen ableitete (US 19). Dies ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit auch nicht zu beanstanden (vgl RIS‑Justiz RS0116882).

[8] Aus welchem Grund den Feststellungen, wonach der Angeklagte bei den jeweiligen Tathandlungen seine Stellung als Ausbildner, Vorgesetzter und Aufsichtsorgan von Jungfeuerwehrleuten gegenüber den jeweils minderjährigen Opfern ausnutzte (US 6 f), der erforderliche Sachverhaltsbezug fehlen soll (vgl RIS‑Justiz RS0119090 [insb T2, T3]), gibt der Beschwerdeführer weder in der Rechtsrüge (Z 9 lit a; Schuldsprüche III./B./ und D./2./), noch in der Subsumtionsrüge (Z 10; Schuldsprüche III./C./ und D./1./) bekannt.

[9] Die Sanktionsrüge (Z 11) erstattet mit der Kritik an der Ablehnung bedingter Strafnachsicht durch das Schöffengericht lediglich ein Berufungsvorbringen (vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.238).

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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