OGH 2Ob74/22d

OGH2Ob74/22d30.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* GmbH, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. O*, 2. T* GmbH, *, 3. G* AG, *, alle vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen (eingeschränkt) 5.495,26 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 24. Februar 2022, GZ 53 R 246/21i‑18, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 23. November 2021, GZ 26 C 343/21a‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00074.22D.0530.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 720,12 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 120,02 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Erstbeklagte bog, aus einer Zufahrtsstraße kommend, nach links in eine geradlinig verlaufende, dem Durchzugsverkehr dienende Straße ein. Auf dieser hatten, aus Sicht der Erstbeklagten von links kommend, ein Linienbus und dahinter drei weitere Fahrzeuge angehalten. Der Lenker des Klagsfahrzeugs fuhr, ebenfalls von links kommend und für die Erstbeklagte vom Bus verdeckt, auf der linken Fahrbahnhälfte an diesen Fahrzeugen vorbei. Als er die einbiegende Erstbeklagte wahrnahm, konnte er nicht mehr anhalten. Beim Zusammenstoß wurden beide Fahrzeuge beschädigt.

[2] Die Vorinstanzen nahmen Alleinverschulden der Erstbeklagten an. Bei der Zufahrtsstraße habe es sich um eine untergeordnete Verkehrsfläche iSv § 19 Abs 6 StVO gehandelt, weswegen die Erstbeklagte den Vorrang des Klagsfahrzeugs verletzt habe. Zwar sei das Vorbeifahren nach § 17 Abs 1 StVO nur gestattet, wenn dadurch andere Straßenbenützer, insbesondere Entgegenkommende, weder gefährdet noch behindert würden. Der Schutzzweck dieser Bestimmung erfasse aber nicht wartepflichtige Fahrzeuge.

[3] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Rechtsprechung in Zweifelsfällen eine „deutliche Tendenz zum Rechtsvorrang“ erkennen lasse und ein vergleichbarer Fall noch nicht zu beurteilen gewesen sei.

[4] Die Revision der Beklagten ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshofs nicht bindenden Ausspruchs nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Die Beurteilung der Vorrangfrage kann die Zulässigkeit der Revision nicht begründen.

[6] 1.1. Ob eine Verkehrsfläche den in § 19 Abs 6 StVO – nicht taxativ (RS0074560) – angeführten, gegenüber dem fließenden Verkehr benachrangten Verkehrsflächen gleichzuhalten ist, ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen (RS0074521). Wesentlich ist das äußere Erscheinungsbild der Verkehrsfläche in ihrer Gesamtheit (2 Ob 154/16k mwN; RS0074625). Von Bedeutung sind objektive Merkmale (etwa Befestigung, Asphaltierung, Verkehrszeichen, Fahrbahnbreite, Straßenverlauf, Widmung etc) der betroffenen Flächen, die während der Fahrt deutlich erkennbar sind, wobei auf die Erkennbarkeit für beide am Unfallgeschehen beteiligte Straßenbenützer abzustellen ist (2 Ob 154/16k; RS0074597). Ob eine bestimmte Verkehrsfläche unter § 19 Abs 6 StVO fällt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann daher nur dann eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung begründen, wenn das Berufungsgericht seinen der Natur der Sache nach bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat (vgl RS0074506 [T2]).

[7] 1.2. Im vorliegenden Fall war die von der Erstbeklagten befahrene Verkehrsfläche eine Zufahrt zu Parkplätzen und wenigen Häusern. Der Zufahrtcharakter ergab sich – abgesehen vom allgemeinen Erscheinungsbild – auch daraus, dass Schilder an der Einmündung in die Durchzugstraße und ein Hausnummernschild an einem Laternenpfahl auf die Häuser bzw deren Nutzer hinwiesen. Die Verkehrsfläche lag zudem tiefer als die Durchzugstraße, sodass Fahrzeuge beim Einbiegen eine deutlich erkennbare Rampe hinauffahren mussten. Auch der Fahrbahnbelag war unterschiedlich. All das war für die Benutzer beider Verkehrsflächen objektiv erkennbar. Auf dieser Grundlage ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Erstbeklagte sei von einer untergeordneten Verkehrsfläche iSv § 19 Abs 6 StVO gekommen, nicht zu beanstanden.

[8] 2. Soweit die Beklagten zudem geltend machen, dass der Lenker des Klagsfahrzeugs gegen § 17 Abs 1 StVO verstoßen habe, sind sie auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichts zu verweisen: Wer aufgrund einer Vorrangbestimmung gegenüber dem Vorbeifahrenden wartepflichtig ist, hat diesem gegenüber keinen Anspruch auf Nichtbehinderung (2 Ob 27/20i, 2 Ob 297/04x; 8 Ob 250/81 ZVR 1982/209; RS0074094 [T1]). Die Erstbeklagte war daher nicht vom Schutzzweck des § 17 Abs 1 StVO erfasst. Damit ist unerheblich, ob der Lenker des Klagsfahrzeugs im konkreten Fall gegen diese Bestimmung verstoßen hat.

[9] 3. Aus diesen Gründen ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen. Da die Klägerin in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit hingewiesen hat, sind die Beklagten zum Ersatz von deren Kosten verpflichtet.

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