European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00218.21V.0329.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Beide Revisionenwerden zurückgewiesen.
Die klagende Partei, die die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen hat, ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,02 EUR (darin 182,67 EUR USt) bestimmten Kosten deren Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Mieterin eines Geschäftslokals in dem der Beklagten gehörigen Einrichtungshaus und betreibt dort eine Filiale ihres Handels- und Gastronomieunternehmens. Der Umsatz in der Filiale betrifft zu zwei Drittel Non‑Food‑Artikel und zu einem Drittel Kaffee. Von diesem Drittel machen zwei Drittel Röstkaffee und ein Drittel Kaffeeausschank aus. Es werden auch kleine Speisen verkauft. Der Verkaufsraum nimmt etwa zwei Drittel der gemieteten Gesamtfläche ein, auf der restlichen Fläche befinden sich das Lager, das Büro und Personalräume. Die Filiale war vom 16. 3. bis 14. 4. 2020 (Lockdown 1), vom 17. 11. bis 6. 12. 2020 (Lockdown 2) und vom 26. 12. 2020 bis 7. 2. 2021 (Lockdown 3) geschlossen. In diesen Zeiträumen wurden keine Umsätze erzielt. Die Klägerin betreibt allerdings auch einen Online‑Verkauf und setzte diesen während der drei Lockdowns fort. Es wurden aber die Waren nicht von der hier betroffenen Filiale aus versandt. Die Klägerin bietet auch „Click & Collect“ an, das heißt Kunden bestellen Ware im Internet und holen sie im Geschäft der Klägerin ab. Während der drei Lockdowns hat die Klägerin diesen Service aber aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht angeboten. Die Mitarbeiter der Klägerin waren in den Lockdowns zu 5 %, zu 18 % und zu 24 % anwesend und führten unter anderem eine Inventur durch und schickten Ware zurück. Außerdem wurde jeweils die Verkaufsfläche neu gestaltet.
[2] Die Klägerin begehrte – unter Berufung auf § 1104 ABGB – die Rückzahlung des gesamten während der drei Lockdowns gezahlten Mietzinses. Wegen der verordneten Betretungsverbote habe sie die Filiale schließen müssen und daher keine Umsätze erzielt.
[3] Die Beklagte wendete ein, sie hafte nach dem Mietvertrag nicht für einen Geschäftsausfall infolge höherer Gewalt. Darüber hinaus wäre die Klägerin verpflichtet gewesen eine Betriebsunterbrechungsversicherung abzuschließen. Die gemietete Fläche sei nur zum Teil für den Verkauf gewidmet, die Lager-, Büro- und Personalräume seien jedenfalls nutzbar gewesen. Überdies sei Online‑Handel betrieben worden und habe es während des dritten Lockdowns kein Betretungsverbot für Zwecke zweiseitig unternehmensbezogener Geschäfte gegeben.
[4] Das Erstgericht gab der Klage statt, da wegen des Betretungsverbots der Umsatz zur Gänze ausgefallen sei. Die stattgefundene Tätigkeit sei nur Ausfluss der eigentlichen Geschäftstätigkeit gewesen. Die Klägerin sei daher berechtigt, eine Mietzinsreduktion auf Null vorzunehmen.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung (nur) im Zuspruch von 31.330,76 EUR und wies das Mehrbegehren von 15.665,38 EUR ab. Die ordentliche Revision erklärte es zur Frage der Anwendbarkeit der §§ 1104 ff ABGB bzw der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage für zulässig. Es sei nicht zu einer gänzlichen Unbenutzbarkeit des Geschäftslokals gekommen, weil die Klägerin jedenfalls ca ein Drittel der Gesamtfläche als Lager, Büro bzw Personalräume nutze und diesbezüglich auch während der Betretungsverbote eine Nutzung möglich gewesen sei. Das Lager sei nicht geräumt und es seien Warenlieferungen angenommen worden bzw seien aus dem Lager auch Rücksendungen erfolgt. Darüber hinaus seien die Mitarbeiter zumindest zum Teil anwesend gewesen und hätten bestimmte Arbeiten verrichtet. Es sei daher jedenfalls eine im Vergleich mit dem Verkauf von Waren nicht gänzlich zurücktretende Nutzungsmöglichkeit gegeben gewesen, sodass keine Mietzinsminderung auf Null gerechtfertigt sei, sondern die Klägerin auch während der Betretungsverbote zur Zahlung des Mietzinses im Ausmaß von einem Drittel (§ 273 ZPO) verpflichtet gewesen sei bzw ihr die Beklagte (nur) zwei Drittel der geleisteten Mietzinszahlungen zu refundieren habe.
[6] Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen der Klägerin sowie der Beklagten mit dem Antrag auf vollständige Klagestattgebung (Klägerin) bzw gänzlicher Abweisung (Beklagte).
[7] Beide Revisionen sind, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – berufungsgerichtlichen Zulassungsausspruchs, in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und somit zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[8] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, dass die COVID‑19‑Pandemie als „Seuche“ im Sinn des § 1104 ABGB zu werten ist und aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordnete Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten zu deren Unbenützbarkeit führen (3 Ob 78/21y, 3 Ob 184/21m, 5 Ob 192/21b, ua).
[9] 1.2. Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so kommt es gemäß § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode. Dabei ist die Unbrauchbarkeit bzw Unbenützbarkeit des Bestandobjekts – ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck – anhand eines objektiven Maßstabs zu beurteilen, wobei die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit den Bestandnehmer trifft (8 Ob 131/21d). Bei der Ermittlung des Restnutzens ist erforderlichenfalls § 273 ZPO anzuwenden (5 Ob 192/21b).
[10] 2.1. Die gegenständliche Filiale der Klägerin war während der drei Lockdowns geschlossen und es wurden dort keine Umsätze erzielt. So gesehen hat das Geschäftslokal für die Klägerin keinen Nutzen gebracht. Es stellt sich aber die Frage, ob im Zusammenhang mit den nicht dem Kundenverkehr dienenden (mitgemieteten) Räumen nicht dennoch ein Restnutzen zu veranschlagen ist.
[11] 2.2. Das Berufungsgericht nahm einen Restnutzen von einem Drittel an, weil die Klägerin die Möglichkeit gehabt habe, ein Drittel der Räume als Lager, Büro und Personalraum zu nutzen und auch so genutzt habe.
[12] 3.1. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Größenverhältnisse zwischen Verkaufsräumen und Lager bzw sonstigen Räumen nicht der allein entscheidende Faktor zur Bemessung des Restnutzens sind. Abzustellen ist vielmehr auf den Vertragszweck bzw auf den dem Vertrag zugrunde gelegten Geschäftszweck (vgl 8 Ob 131/21d).
[13] 3.2. Der vertraglich festgelegte Geschäftszweck der konkreten Geschäftsraummiete ist hier der Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts mit Verkauf von Kaffee und Non‑Food‑Artikeln samt der Verabreichung von Getränken und Speisen zum sofortigen Verzehr. Die Klägerin betreibt diese Filiale im Rahmen ihres weiträumigen Filialnetzes. Im Zusammenhang mit diesem tätigt sie auch Online‑Verkäufe, und zwar auch während der Lockdowns. Die hier gegenständliche vermietete Geschäftsfläche war daher – zumindest zum Teil – auch während der behördlich verordneten Sperre für den Kundenbetrieb dem Geschäftsbetrieb der Klägerin dienlich. Wie weit sie diese dafür einsetzte, oblag ihrer autonomen kaufmännischen Disposition. Jedenfalls aber nützte sie die Räumlichkeiten – wie festgestellt – auch teilweise für ihren Geschäftsbetrieb im Rahmen ihres Filialnetzes.
[14] 3.3. Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte (tatsächliche Nutzung sowie mögliche Nutzung im Rahmen ihres ausgedehnten Geschäftsbetriebs) hat das Berufungsgericht die – immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängige (RS0021324 [T3]) – Höhe der Mietzinsminderung auf Basis eines Restnutzens im Ausmaß eines Drittels des Gesamtnutzens der Geschäftsräumlichkeit im Ergebnis vertretbar festgesetzt; dies auch unter Berücksichtigung der – von der Beklagten thematisierten – Umstände, dass an Sonn- und Feiertagen das Geschäftslokal in jedem Fall geschlossen gewesen wäre und dass während des dritten Lockdowns zweiseitige unternehmensbezogene Geschäfte möglich gewesen wären, sowie unabhängig vom Vorliegen einer Betriebsunterbrechungsversicherung.
[15] 3.4. Vertretbar ist auch die Vertragsauslegung der Vorinstanzen, wonach die Vereinbarung, dass die Beklagte für keinen Geschäftsausfall, höhere Gewalt oder Fremdverschulden hafte, es sei denn, dem Mieter stehen diesbezüglich gesetzliche Rechte zu, so zu verstehen ist, dass die hier geltend gemachten Rechte nach §§ 1104 ff ABGB vom Haftungsausschluss ausgenommen wurden.
[16] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 41 und 50 ZPO. Nur die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.
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