OGH 12Ns88/21v

OGH12Ns88/21v12.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Jänner 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafvollzugssache des * S*, AZ 46 BE 169/21y des Landesgerichts Salzburg, im Kompetenzkonflikt zwischen diesem Gericht und dem Landesgericht Wiener Neustadt nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120NS00088.21V.0112.000

 

Spruch:

Die Strafvollzugssache ist vom Landesgericht Salzburg zu führen.

 

Gründe:

[1] Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 4. Dezember 2020, GZ 47 BE 329/20p‑6, wurde * S* mit 19. Dezember 2020 unter Anordnung von gerichtlicher Aufsicht (§ 52a StGB) und Bewährungshilfe sowie Erteilung der Weisung, sich einer Psychotherapie zu unterziehen, bedingt entlassen.

[2] Nachdem der Verurteilte bei seiner Entlassung einen in Klagenfurt gelegenen Wohnsitz bekanntgegeben hatte (ON 7), informierte NEUSTART Salzburg das Landesgericht Wiener Neustadt am 23. Dezember 2020 über die „Aktabtretung“ an NEUSTART Klagenfurt, weil S* an der von ihm genannten Adresse seinen Wohnsitz genommen habe. Tatsächlich war der Verurteilte zunächst unsteten Aufenthalts, wobei er zwischen Salzburg und Klagenfurt pendelte, um eine Wohnsitznahme entweder in Klagenfurt oder Salzburg zu organisieren (ON 9 und 10). Letztlich verlegte er „Anfang Jänner [2021] seinen Lebensmittelpunkt nach Salzburg“ (ON 10 S 55), wo er nach wie vor seinen Wohnsitz hat und von NEUSTART Salzburg betreut wird. Den Akten ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass er zwischen der Entlassung und der tatsächlichen Aufenthaltsbegründung im Sprengel des Landesgerichts Salzburg einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 66 Abs 2 JN) im Sprengel des Landesgerichts Wiener Neustadt oder eines anderen Landesgerichts hatte.

[3] Erst am 29. Oktober 2021 trat das Landesgericht Wiener Neustadt das Verfahren dem Landesgericht Salzburg „gemäß § 179 StVG zur Weiterführung“ ab (ON 26).

Rechtliche Beurteilung

[4] Dieses verweigerte die Übernahme des Verfahrens und legte die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung des Kompetenzkonflikts vor (§ 38 StPO iVm § 17 Abs 1 Z 3 und § 180 Abs 1 StVG).

[5] Werden im Zusammenhang mit einer bedingten Entlassung Weisungen erteilt oder Bewährungshilfe angeordnet und nimmt der Verurteilte unmittelbar nach seiner (tatsächlichen) Entlassung seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel eines Landesgerichts, das nicht im selben Bundesland liegt wie das Vollzugsgericht, so ist jenes Landesgericht zur weiteren Führung der Vollzugssache zuständig, auch wenn – wie hier – die Rechtskraft der Entscheidung über die bedingte Entlassung und die damit im Zusammenhang stehenden Anordnungen bereits vor der tatsächlichen Entlassung eingetreten ist. Ein späterer Wohnsitzwechsel berührt die Zuständigkeit dagegen nicht (§ 179 Abs 1 StVG analog; RIS‑Justiz RS0088481; Drexler/Weger, StVG4 § 179 Rz 1).

[6] Da das Verstreichen von cirka zwei Wochen von der tatsächlichen Entlassung bis zur Wohnsitznahme in Salzburg allein auf organisatorische Gründe zurückzuführen ist und der Verurteilte in dieser Zeit weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 66 Abs 2 JN) im Sprengel des Landesgerichts Wiener Neustadt (oder eines anderen Landesgerichts) hatte, erfolgte die Wohnsitzbegründung im Sprengel des Landesgerichts Salzburg (noch) unmittelbar nach der Entlassung. Demnach ist dieses Gericht zur Führung der Strafvollzugssache zuständig.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte