OGH 7Nc30/21b

OGH7Nc30/21b13.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache des mj L***** P*****, geboren ***** 2012, Mutter Mag. H***** B***** vertreten durch Dr. Agnes Maria Kienast, Rechtsanwältin in Korneuburg, Vater Dr. P***** P*****, vertreten durch die Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070NC00030.21B.1213.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 4. August 2021, GZ 7 Ps 164/19y‑10, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Traun wird genehmigt.

 

Begründung:

[1] Der 9‑jährige Sohn befindet sich nach der im Scheidungsvergleich der Eltern getroffenen Vereinbarung in Obsorge beider Elternteile; seine Hauptbetreuung erfolgt im Haushalt der Mutter. Die Mutter zog mit dem in ihrem Haushalt wohnenden Sohn im Juli 2021 in den Sprengel des Bezirksgerichts Traun. Der Sohn besucht dort die örtliche Volksschule.

[2] Der Vater beantragte, unter Aufrechterhaltung der Obsorge beider Elternteile die hauptsächliche Betreuung (vorläufig) in seinem Haushalt festzulegen und der Mutter ein (vorläufiges) Kontaktrecht einzuräumen. Die Anträge des Vaters sind bislang unerledigt. Beweisaufnahmen wurden vom Bezirksgericht Döbling nicht durchgeführt.

[3] Aufgrund des ständigen Aufenthalts des Minderjährigen übertrug das Erstgericht die Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Traun, das die Übernahme mit der Begründung ablehnte, es stehe nicht fest, ob der Aufenthalt des Minderjährigen in seinem Sprengel bleibe oder – aufgrund des Antrags des Vaters – wieder im Sprengel des übertragenden Gerichts sein werde.

[4] In der Folge wurde über Auftrag des Obersten Gerichtshofs zu 7 Nc 22/21a der Übertragungsbeschluss den Eltern zugestellt, die keine Rechtsmittel dagegen erhoben.

[5] Nunmehr legte das Bezirksgericht Döbling den Akt dem Obersten Gerichtshof neuerlich zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

[6] Die Übertragung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht nach § 111 Abs 1 JN setzt voraus, dass dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Das trifft dann zu, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird (RIS‑Justiz RS0046929). Die Bestimmung nimmt darauf Bedacht, dass ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Pflegebefohlenen in der Regel zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung ist, weshalb die Pflegschaftsaufgaben grundsätzlich von jenem Gericht wahrgenommen werden sollen, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt der Lebensführung liegt (RS0047300; vgl RS0047027 [T10]; RS0049144 [T5, T6]).

[8] Der Wohnsitz des 9‑jährigen Sohnes liegt seit Juli 2021 im Sprengel des Bezirksgerichts Traun. Er besucht dort die örtliche Volksschule. Seine Mutter ist in der näheren Umgebung beschäftigt. Mag auch der Wohnsitz in L***** erst seit kurzem begründet worden sein, liegt nunmehr der Mittelpunkt der Lebensführung des Sohnes im Sprengel des Bezirksgerichts Traun.

[9] 2. Offene Anträge sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung (vgl RS0046929 [T3]), es sei denn, dem übertragenen Gericht käme zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zu (RS0047032; vgl RS0047027 [T14]). Letzteres trifft im vorliegenden Fall nicht zu, weil das übertragende Gericht bislang keine Beweisaufnahmen durchgeführt hat. Schließlich können durch die Zuständigkeitsübertragung auch die aktuellen Lebens‑ und Wohnverhältnisse des Kindes bei den anstehenden Entscheidungen besser berücksichtigt werden.

[10] 3. Die Übertragung ist daher zu genehmigen.

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