European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00060.21P.1129.000
Spruch:
Beide Revisionen werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen 314,64 EUR (darin 52,44 EUR USt) an Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger war bei der Beklagten ab 4. 2. 2019 als Techniker beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung. Mit Wirksamkeitsbeginn September 2019 schlossen die Streitteile als Zusatz zum Dienstvertrag für einen Auslandseinsatz eine „Nettolohnvereinbarung“ über monatlich 6.300 EUR ab. Nach dem Inhalt der Vereinbarung sollten in diesem Nettolohn sämtliche Mehr- und Überstunden, alle im Zuge der Tätigkeit anfallenden Zulagen und Zuschläge inklusive Wochenendarbeit und Entgelt für Rufbereitschaft inkludiert sein. Während der Rufbereitschaft anfallende Arbeitsstunden sollten gesondert vergütet werden.
[2] Der Kläger war als überlassener Arbeitnehmer bis 13. 3. 2020 in Tschechien im Einsatz. Wegen einer Erkrankung kehrte er in Absprache mit dem Beschäftiger nach Hause zurück.
[3] Vom 1. 3. bis 31. 5. 2020 wurde der Kläger mit seinem Einverständnis zur Kurzarbeit auf Grundlage der „Sozialpartnervereinbarung-Einzelvereinbarung zur Corona‑Kurzarbeit“ (Formularversion 6.0) und des „Side‑Letter für Zeitarbeitsbetriebe zur Sozialpartnervereinbarung Corona‑Kurzarbeit in Umsetzung der Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA‑Covid 19)“ angemeldet. Der Kläger sollte in dieser Zeit in Rufbereitschaft sein, um die Arbeit in Tschechien wieder aufnehmen zu können. Wegen interner Probleme (Ein- und Ausreiseprobleme) kam es auf Wunsch der tschechischen Beschäftiger nicht mehr dazu.
[4] Am 28. 5. 2020 vereinbarten die Streitteile die nahtlose Verlängerung der Kurzarbeit bis 31. 8. 2021. Mit Schreiben vom 12. 6. 2020 wurde der Kläger zum 26. 6. 2020 gekündigt.
[5] In seiner Klage begehrt er Differenzen an Lohn und Sonderzahlungen und Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 27. 6. bis 17. 7. 2020. Das Kurzarbeitsgeld sei unrichtig berechnet und Sonderzahlungen seien nicht bezahlt worden. Die Kündigung sei fristwidrig unter Missachtung der einmonatigen Behaltefrist aufgrund der Kurzarbeitsvereinbarung ausgesprochen worden.
[6] Das Erstgericht stellte mit Zwischenurteil fest, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht.
[7] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten teilweise Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, dass das Begehren auf Zahlung von 12.277,78 EUR und 4.133,22 EUR brutto sA dem Grunde nach zu Recht bestehe. Das Mehrbegehren von 10.058,82 EUR brutto sA wies es ab.
[8] Der Bemessung des Kurzarbeitsentgelts liege nach Punkt IV.4.c der Kurzarbeitsvereinbarung das statische Bezugsprinzip zugrunde, während Punkt VI.3 Abs 3 die Berechnung während des Krankenstands oder einer Dienstfreistellung nach dem Ausfallprinzip anordne. Es komme daher für das Kurzarbeitsentgelt nicht darauf an, ob die Nettolohnvereinbarung der Streitteile nur für die Dauer des Auslandseinsatzes des Klägers gelten sollte. Eine Herausrechnung von Überstundenanteilen habe bei einem pauschalen All‑In‑Entgelt nicht stattzufinden.
[9] Zwischen den Streitteilen sei nicht der Grund des Anspruchs an sich, sondern nur die Berechnungsmethode des Kurzarbeitsentgelts strittig. Die erstgerichtliche Entscheidung sei daher in teilweiser Abweichung vom Klagebegehren mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der Berechnung des Kurzarbeitsentgelts die Nettolohnvereinbarung zugrunde zu legen sei.
[10] Hinsichtlich der Sonderzahlungen, die nach dem Kollektivvertrag auf Basis des Sechsmonatsdurchschnitts vor Fälligkeit gebührten, sei nach der Kurzarbeitsvereinbarung vom fiktiven Ausfallsprinzip auszugehen. Der Anspruch sei danach zu berechnen, welches Entgelt dem Kläger von Dezember 2019 bis Mai 2020 gebührt habe oder hätte, wenn keine Kurzarbeit vereinbart worden wäre. Dabei komme zum Tragen, dass die Nettolohnvereinbarung nach dem eindeutigen und unbestrittenen Willen der Streitteile nur für die Dauer des tatsächlichen Einsatzes in Tschechien gelten sollte und der ab 14. 3. 2020 fiktiv gebührende Entgeltanspruch daher noch einer Erörterung im fortgesetzten Verfahren bedürfe.
[11] Anspruch auf Kündigungsentschädigung bestehe nicht, weil aus den Behaltefristregeln der Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz abzuleiten sei. Darüber hinaus sei auch jener Teil der Sonderzahlungsforderung in Höhe von 3.545,42 EUR abzuweisen, der durch eine unstrittig erfolgte, im Klagebegehren noch nicht berücksichtigte Teilzahlung getilgt wurde.
[12] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Auslegung der Sozialpartnervereinbarung‑Einzelvereinbarung zur Corona‑Kurzarbeit sowohl im Hinblick auf die Berechnung des Kurzarbeitsentgelts als auch im Hinblick auf die Frage eines besonderen Kündigungsschutzes über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.
[13] Gegen diese Entscheidung erheben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Revision. Der Kläger begehrt die Abänderung des Zwischenurteils in ein Endurteil unter Zuspruch eines Betrags von 22.924,40 EUR brutto sA, in eventu die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung. Die Beklagte strebt die Abänderung des Teilzwischenurteils in eine vollinhaltliche Klagsabweisung an. Beide Revisionswerber stellen hilfsweise auch Aufhebungsanträge.
Rechtliche Beurteilung
[14] 1. Die in der Revision des Klägers angesprochenen Rechtsfragen erfüllen die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO nicht. Die Begründung der Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich in diesem Fall auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
[15] 1.1. Zur Frage eines besonderen Kündigungsschutzes aufgrund der Behaltefristklauseln der Sozialpartnervereinbarung zur Covid‑Kurzarbeit liegt bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung vor. Der Oberste Gerichtshof hat in der Rechtssache 8 ObA 48/21y mit Urteil vom 22. 10. 2021 festgehalten, dass der Zweck dieser Regelung in der Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes besteht und aus ihr kein darüber hinausgehender individueller Kündigungsschutz abzuleiten ist, zumal die Möglichkeiten einer Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG auch während und nach der Kurzarbeit unberührt bleiben. Aus den Bestimmungen des § 37a AMSG in Verbindung mit der Regelung des Punktes IV Abs 2 lit a bis c der ersten Sozialpartner‑Kurzarbeitsvereinbarung ergibt sich keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und ‑termine (vgl auch 8 ObA 50/21t).
[16] In der Revision des Klägers werden keine Gründe geltend gemacht, die zu einer Abweichung von dieser rechtlichen Beurteilung Anlass geben könnten.
[17] 1.2. Die Teilabweisung der begehrten Sonderzahlungen wird in der Revision nicht bekämpft.
[18] 1.3. Den allgemeinen Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zur Berechnung des Kurzarbeitsentgelts und der Sonderzahlungen stimmt der Kläger in seiner Revision zu. Er wendet sich gegen die Auffassung, dass er bei der Berechnung seines Begehrens von dieser Berechnungsmethode des Berufungsgerichts abgewichen sei.
[19] Mit dem Zwischenurteil hat das Berufungsgericht über den Grund des Anspruchs und die vom Revisionswerber als solche nicht bestrittene Berechnungsmethode erkannt. Die im Rechtsmittel enthaltenen Ausführungen zur konkreten Höhe des Anspruchs sind für die rechtliche Überprüfung des Zwischenurteils nicht relevant, sondern werden im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein.
[20] 2. Die Revision der Beklagten wendet sich gegen die Rechtsansicht, dass die zwischen den Streitteilen abgeschlossene Nettolohnvereinbarung als „All‑Inclusive‑Vereinbarung“ zu interpretieren sei. Bei der Bemessungsgrundlage für das Kurzarbeitsentgelt seien Überstundenentgelt und widerrufliche Überstundenpauschalen, unabhängig davon ob sie tatsächlich widerrufen wurden, nicht einzubeziehen. Der Grundstundenanteil ergebe sich im Fall des Klägers aus dem Dienstvertrag, der darüber hinausgehende vereinbarte Nettolohn sei daher wie eine Überstundenpauschale zu behandeln.
[21] 2.1. Mit diesen Ausführungen wird die Auslegung eines bestimmten Vertrags angesprochen, der typischerweise keine über die Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung zukommt, sofern die Beurteilung der Vorinstanzen mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang steht (RIS‑Justiz RS0042936; RS0042776 [T16]; RS0112106 [T1]).
[22] Die Revision zeigt nicht auf, inwiefern das Berufungsgericht bei der Beurteilung des konkreten Vertragsinhalts von den Grundsätzen der Rechtsprechung abgegangen wäre. Allein die Möglichkeit, dass auch eine andere Auslegung denkbar wäre, würde die Revisionszulässigkeit nicht begründen (RS0042779 [T5]; RS0042776 [T2]). Entgegen dem Standpunkt der Revision kann der Umstand, dass aufgrund des Dienstvertrags ein Grundgehalt ermittelt werden könnte, das dem Kläger ohne den Abschluss der späteren Nettolohnvereinbarung gebührt hätte, schon deswegen nicht zu dem Ergebnis führen, dass die darüber hinausgehenden Nettobeträge als Überstundenanteile zu werten wären, weil nach dem Wortlaut der Vereinbarung auch alle im Zuge der Tätigkeit anfallenden Zulagen und Zuschläge inklusive Wochenendarbeit und Entgelt für Rufbereitschaft im Pauschalentgelt enthalten sind.
[23] Die hier vorliegende Befristung der pauschalen Entgeltvereinbarung auf die Dauer einer bestimmten Entsendung darf nicht mit der Zulässigkeit eines Teilwiderrufs (der dann während der Entsendung möglich wäre) verwechselt werden.
[24] 2.2. Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Nettolohnvereinbarung der Streitteile keine „Widmung“ eines abgrenzbaren Teils als Entgelt für Überstunden entnommen werden kann, ist im Wortlaut gedeckt und stellt keine im Sinn des § 502 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Der Umstand, dass sich durch die gewählte All‑In‑Pauschalierung ein höheres Kurzarbeitsentgelt für den Kläger ergibt als es bei einer anderen, ebenfalls zulässigen Gestaltung der Fall gewesen wäre, begründet keine „planwidrige Lücke“ der Sozialpartner-Vereinbarung.
[25] Soweit die Revision sich gegen die Berechnungsmethode der gebührenden Sonderzahlungen wendet, stellt sie die Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit nicht in Frage, als sie ebenfalls davon ausgeht, dass dasjenige Entgelt zugrundezulegen ist, das im Beobachtungszeitraum ohne Kurzarbeit gebührt hätte. Weshalb dieses Entgelt im Fall der Arbeitskräfteüberlassung anhand des nach Abschluss der Entsendung wieder geltenden ursprünglichen Dienstvertrags nicht ermittelbar wäre, legt die Revision nicht dar.
[26] 3. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO waren beide Revisionen zurückzuweisen.
[27] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO. Beide Streitteile haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Gegenseite hingewiesen und daher wechselseitig Anspruch auf Kostenersatz. Saldiert ergibt sich daraus der zuerkannte Betrag.
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