OGH 15Os72/21h

OGH15Os72/21h15.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lampret als Schriftführer in der Strafsache gegen R***** W***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten R***** W***** und P***** M***** sowie die Berufungen des Angeklagten T***** F***** und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 19. Februar 2021, GZ 19 Hv 39/20v‑135, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00072.21H.0915.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten W***** und M***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurdenR***** W***** und P***** M***** jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB (A./I./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B./), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 SMG (C./) und des Vergehens der Entziehung von Energie nach § 132 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (R***** W***** als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB; D./ und E./) sowie P***** M***** des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (F./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – in D***** und anderen Orten im Zeitraum Juni 2018 bis Juni 2020

A./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch Anbau, Aufzucht und Ernten von Cannabispflanzen erzeugt bzw zu I./2./ zu erzeugen versucht, und zwar

I./ R***** W***** und P***** M***** im bewussten und gewollten arbeitsteiligen Zusammenwirken, indem sie „Mittäter zur Anmietung von Räumlichkeiten zum Betrieb der Indooranlagen bestimmten, die Mietkosten übernahmen, die Indooranlagen installierten, den Zugang zu den Häusern kontrollierten, die Stecklinge organisierten, anlieferten und anpflanzten sowie Plantagen regelmäßig inspizierten, Erntehelfer anwarben und zum Teil auch bei der Ernte mitarbeiteten“, und zwar

1./ insgesamt 152,32 Kilogramm Marihuana,

2./ am 16. Juni 2020 insgesamt 6,48 Kilogramm Marihuana;

...

B./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch Verkäufe und Übergaben an großteils unbekannte Dritte anderen überlassen, und zwar

I./ R***** W***** und P***** M***** im bewussten und gewollten arbeitsteiligen Zusammenwirken insgesamt 147 Kilogramm Marihuana;

II./ R***** W***** insgesamt ca 50 Gramm Kokain an S***** H*****;

III./ P***** M***** insgesamt ca 10 Gramm Kokain an M***** U*****;

C./ R***** W***** und P***** M***** im bewussten und gewollten arbeitsteiligen Zusammenwirken insgesamt 914 Cannabispflanzen in einer Indooranlage zum Zweck der Gewinnung von Suchtgift in einer das 15fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz angebaut, dass dieses in Verkehr gesetzt werde;

D./ P***** M***** mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, dadurch dass er bei den Objekten *****, und *****, vor dem Stromzähler der V***** ein Kabel an das öffentliche Stromnetz anschloss und elektrischen Strom für den Betrieb der Indooranlagen abzweigte, aus einer Anlage, die der Zuführung von Energie dient, elektrische Energie in einem Wert von 37.427,84 Euro entzogen;

E./ R***** W***** den P***** M***** zu der zu D./ bezeichneten strafbaren Handlung bestimmt, indem er ihn beauftragte, die Manipulationen an den elektrischen Anlagen vorzunehmen.

...

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, von R***** W***** auf Z 3, 5, 9 lit a und 11, von P***** M***** auf Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützt. Sie verfehlen ihr Ziel.

 

[4] Zur Nichtigkeitsbeschwerde des R***** W*****:

[5] Als Verletzung des § 260 Abs 1 Z 1 StPO kritisiert die Verfahrensrüge (Z 3), dass im Urteilsspruch zu A./, B./ und C./ der „Mindest‑THC‑Gehalt“ des tatverfangenen Suchtgifts nicht angeführt wurde (US 2).

[6] Dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) kommt die Aufgabe zu, die in den Entscheidungsgründen festgestellten Tatsachen, soweit sie für die rechtliche Unterstellung entscheidend sind, im Urteilsspruch zum Zweck der Abgrenzung von anderen Sachverhalten festzuhalten (RIS‑Justiz RS0116587; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 9).

[7] Vorliegend ist dies durch die Angabe der Bruttomengen bzw der Anzahl der Cannabispflanzen und die die qualifikationsbegründenden Umstände darlegende Beschreibung, dass dadurch Suchtgift in einer das 25fache bzw das 15fache der Grenzmenge übersteigenden Menge erzeugt und überlassen bzw angebaut wurde (US 2), in nicht zu beanstandender Weise geschehen. In den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO), die zur Verdeutlichung des Referats nach Z 1 herangezogen werden können (RIS‑Justiz RS0116587 [T2]), wurde dann der – von der Beschwerde reklamierte – Reinheitsgehalt an THCA und Delta-9-THC angeführt (US 13 ff).

[8] Ob der Angeklagte die finanzielle Abhängigkeit von S***** H***** und J***** F***** als Druckmittel einsetzte, betrifft keine entscheidende Tatsache (zum Begriff RIS-Justiz RS0117264). Daher stellt es – dem Einwand der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider – keine Unvollständigkeit dar, wenn das Erstgericht die entsprechenden Teile der Aussagen dieser Zeuginnen nicht erörtert hat.

[9] Dass W***** dem M***** den „Auftrag“ zur Entziehung von Energie gab (E./), leiteten die Tatrichter– logisch und empirisch mängelfrei – aus dem umfassenden Schuldeingeständnis des Erstgenannten in der Hauptverhandlung (ON 134 S 3) ab (US 24; Z 5 vierter Fall).

[10] Mit der ersten (polizeilichen) Aussage der S***** H*****, sie habe vom Erstangeklagten kein Kokain bezogen (ON 101 S 95), haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt, diese aber nicht für überzeugend erachtet (US 30; Z 5 zweiter Fall).

[11] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) Feststellungen zum Reinsubstanzgehalt des Suchtgifts (Marihuana bzw Kokain) vermisst, finden sich diese in den – maßgeblichen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) – Gründen auf US 9, 13, 14, 15, 19 („13,95 % THCA, 1,07 % Delta‑9‑THC) und US 17 f (ca 65 % Cocainbase). Dies wurde mit dem Verweis auf das Resultat der Auswertung des sichergestellten Marihuanas durch das Untersuchungslabor des Bundeskriminalamts (US 40 f) bzw mit gerichtsnotorischen Erfahrungswerten zu Kokain „wirklich guter Qualität“ (US 30) auch zureichend begründet (Z 5 vierter Fall).

[12] Die Erwägungen der Tatrichter zur inneren Tatseite kritisiert der Beschwerdeführer pauschal als Scheinbegründung (der Sache nach Z 5 vierter Fall). Entgegen diesem Einwand wurden die entsprechenden Konstatierungen von den Tatrichtern – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden – auf die Verantwortung des Angeklagten im Zusammenhalt mit einer lebensnahen Betrachtung des „objektivierbaren Tatgeschehens“ gegründet (US 42 f).

[13] Dem Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) zuwider stellt die aggravierende Wertung der Tatbegehung aus „rein gewinnsüchtigen Motiven“ (US 43) keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar, weil dieses nur das Heranziehen von Strafbemessungsgründen verbietet, die bereits „die Strafdrohung bestimmen“ (§ 32 Abs 2 StGB). Bestimmend in diesem Sinn sind aber nur subsumtionsrelevante Umstände, zu denen das Tatmotiv– jedenfalls vorliegend – nicht zählt (RIS‑Justiz RS0130193).

 

[14] Zur Nichtigkeitsbeschwerde des P***** M*****:

[15] Mit Mängelrüge (Z 5) macht der Beschwerdeführer zu A./ geltend, es lägen keinerlei Beweisergebnisse dahingehend vor, dass auch er (und nicht nur der Erstangeklagte) Erntehelfer angeworben habe. Mit Blick auf die anderen festgestellten Tathandlungen (Bestimmung anderer zum Anmieten von Räumlichkeiten, Installierung der Indooranlagen, Kontrolle des Zugangs, Organisation der Stecklinge, Anlieferung, Anpflanzung und Inspektion der Plantagen sowie Mitarbeit bei der Ernte; US 2, 7 ff) spricht die Beschwerde damit allerdings keine entscheidende Tatsache an (zum Begriff vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0117264), sodass sie ins Leere geht.

[16] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

[17] Soweit die Rüge (Z 5a) die Feststellungen des Erstgerichts kritisiert, wonach sich die beiden Angeklagten den gesamten Erlös „hälftig“ aufteilten (US 19), weil dies im Widerspruch zu den Ausführungen der Tatrichter stünde, wonach der Zweitangeklagte dem Erstangeklagten („Manager“ bzw „Organisator“; US 7 f) untergeordnet war, richtet sie ihr Augenmerk neuerlich nicht auf einen für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage relevanten Tatumstand.

[18] Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) dieses Angeklagten kritisiert, der Urteilsspruch enthalte „keine Ausführungen zu der Beschaffenheit der Suchtmittel“, vernachlässigt dabei aber – entgegen den Anforderungen der Verfahrensordnung (RIS-Justiz RS0099810) – die entsprechenden Konstatierungen des Erstgerichts in den Urteilsgründen (US 9, 13, 14, 15, 19 bzw 17 f).

[19] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[20] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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