OGH 14Os88/21d

OGH14Os88/21d12.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in der Strafsache gegen S***** C***** und eine Beschuldigte wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 333 HR 169/21d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 5. Juli 2021, AZ 31 Bs 194/21p, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00088.21D.0812.000

 

Spruch:

 

S***** C***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

[1] Im von der Staatsanwaltschaft Wien zu AZ 208 St 97/21s (unter anderem) gegen S***** C***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Ermittlungsverfahren setzte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 14. Juni 2021 die am 30. Mai 2021 über den Genannten verhängte (ON 4 und 5) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a, b und d StPO fort (ON 21 und 22).

[2] Der dagegen vom Beschuldigten ergriffenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den bisher herangezogenen Haftgründen mit Wirksamkeit bis zum 6. September 2021 (aus jenem der Verdunkelungsgefahr mit Wirksamkeit bis 30. Juli 2021) fort.

[3] Gestützt auf – auch die Verletzungen des Opfers dokumentierende – Polizeiberichte (ON 2, 7 und 19), die belastenden Aussagen der Zeugin M***** C***** (ON 7 Punkt 20.1 ff; ON 19 S 9 ff) sowie auf die – Gewaltanwendungen des Beschuldigten am 24. Mai 2021 gegenüber dem Opfer bestätigenden – Angaben der Beschuldigten D***** C***** und der Zeugen Me***** C***** sowie O***** C***** ging es vom dringenden Verdacht aus, S***** C***** habe in W*****

A./ zumindest seit Herbst 2012 bis 26. Mai 2021 gegen seine am ***** 2006 geborene, sohin bis ***** 2020 unmündige Tochter M***** C***** länger als ein Jahr fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie durchschnittlich vier Mal wöchentlich ohrfeigte oder mit einem Gürtel oder Nudelholz schlug und ihr zuletzt über mehrere Stunden im Zeitraum von 24. bis 26. Mai 2021 neben zahlreichen Schlägen mit einem Gürtel auch Faustschläge versetzte, wovon die Genannte im Gesicht und an den Extremitäten teils großflächige Hämatome davontrug;

B./ von 24. bis 26. Mai 2021 M***** C***** und eine ihr nahestehende Person zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr gegenüber wiederholt äußerte, er werde sie und ihren ehemaligen Freund töten.

[4] Das Beschwerdegericht subsumierte dieses Verhalten dem Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB (A./) sowie den Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (B./).

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten, die sich gegen die Annahme dringenden Tatverdachts sowie die herangezogenen Haftgründe wendet.

[6] Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts über eine Haftbeschwerde – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS-Justiz RS0121605 [T3]). Dabei kann die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts (nur) nach Maßgabe der Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO angefochten werden (RIS‑Justiz RS0110146; vgl auch Kier in WK 2 GRBG § 2 Rz 26 ff).

[7] Die Beschwerde behauptet zusammengefasst, M***** C***** wäre die einzige Zeugin, welche den Beschuldigten „ohne Nachweis (!) für die vorgeworfene fortgesetzte Gewaltausübung“ belaste, da die Vorwürfe belegende Lichtbilder, Chatnachrichten oder „objektive Beweise“ nicht existieren würden und aus den Polizeiberichten hiezu nichts zu gewinnen sei. Das Oberlandesgericht habe willkürlich die Schilderungen des Opfers nicht hinterfragt, obwohl dessen Aussagen „widersprüchlich und lebensfremd“ seien und weder die übrigen haushaltszugehörigen Familienmitglieder noch familienfremde Personen (Ärzte, Lehrer oder sonstige Vertrauenspersonen des Opfers) die zur Last gelegte fortgesetzte Gewaltausübung wahrgenommen hätten.

[8] Damit versucht die Grundrechtsbeschwerde mit eigener Beweiswürdigung die Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts in Zweifel zu ziehen, ohne Begründungsmängel (im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO) aufzuzeigen oder Aktenbestandteile zu benennen, die beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken an den dem dringenden Tatverdacht zugrunde liegenden Tatsachen wecken sollen.

[9] Dass das Oberlandesgericht – gestützt auf die Angaben des Opfers – von fortgesetzter und nicht bloß einmaliger Gewaltanwendung ausgegangen ist, obwohl es sich nach der Verantwortung des Beschuldigten und den – in der Entscheidung erörterten – Aussagen zweier Geschwister und der Mutter des Opfers um den ersten Übergriff des Vaters gehandelt habe, macht die Begründung des Beschwerdegerichts – der Grundrechtsbeschwerde zuwider – weder willkürlich noch „nicht nachvollziehbar“. Denn aus Sicht des Oberlandesgerichts standen die Schilderungen des Opfers von einer mehrstündigen Gewaltanwendung durch den Beschuldigten mit dem dokumentierten Verletzungsbild im Einklang, weshalb es die Angaben desselben ersichtlich generell für glaubwürdig hielt (BS 4). Diese beweiswürdigenden Erwägungen sind insgesamt unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

[10] Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung eines grob unvernünftigen Gebrauchs des Beweiswürdigungsermessens, weil der dringende Tatverdacht ausschließlich auf die belastenden Aussagen einer einzigen Zeugin gestützt würde, die „offensichtlich den Bruch mit der Familie suchte“, argumentiert nicht nach den Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5a StPO und ist daher von vornherein nicht geeignet, von der Beschwerde angestrebte erhebliche Bedenken gegen den Verdachtsausspruch zu wecken (RIS‑Justiz RS0112012 [T8, T9]).

[11] Dem Einwand von Unvollständigkeit zuwider hat das Oberlandesgericht die Verantwortung des Beschuldigten nicht unberücksichtigt gelassen, ist aber der von ihm behaupteten Einmaligkeit der Gewalteinwirkung durch zwei Ohrfeigen nicht gefolgt (BS 4 f).

[12] Ein Begründungsdefizit iSd Z 5 des § 281 Abs 1 StPO wird weder mit der Behauptung angesprochen, die „im Einklang mit der Verantwortung des Beschuldigten stehenden“ Aussagen der Zeugen Me***** C***** und O***** C***** sowie der Beschuldigten D***** C***** seien „nicht entsprechend gewürdigt“ worden (vgl aber BS 4), noch mit der These bloßer Scheinbegründung der Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht, weil diese „nicht mit vorgekommenen Ermittlungsergebnissen in nachvollziehbarer Weise begründet“ worden seien.

[13] Das selbe gilt einerseits für das Vorbringen, die Annahme des Oberlandesgerichts, Spuren von Misshandlungen wären „aufgrund deren Örtlichkeit für Dritte im bekleideten Zustand“ nicht wahrnehmbar gewesen und Ohrfeigen hätten maximal kurzfristig optisch wahrnehmbare Folgen nach sich gezogen (BS 4 f), sei nicht nachvollziehbar und lebensfremd, andererseits für die bloße Behauptung von – zudem unerheblichen – Widersprüchen in den Angaben des Opfers in Bezug auf die Häufigkeit der Gewaltanwendungen durch den Beschuldigten (vier Mal pro Woche bzw ein bis drei, vier Mal pro Woche) und hinsichtlich von Schlägen gegen die Genannte auch durch die Mitbeschuldigte D***** C*****.

[14] Nach Maßgabe der durch § 1 Abs 1 GRBG verlangten nicht bloß formalen sondern auch inhaltlichen Ausschöpfung des Instanzenzugs hat die im Verfahren über die Grundrechtsbeschwerde erstmals – unter Hinweis auf das Beschleunigungsgebot (§ 9 StPO) – erhobene Kritik, die kontradiktorische Vernehmung des Opfers sei erst fast zwei Monate nach der Festnahme des Beschuldigten erfolgt und die Vernehmung von Außenstehenden wie Ärzten oder Lehrern sei noch nicht durchgeführt worden, auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0114487 [T20]).

[15] Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren prüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens (nur) dahin, ob sie aus den vom Oberlandesgericht in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich (mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet [vgl dazu RIS‑Justiz RS0118317]) angesehen werden müsste (RIS‑Justiz RS0117806; Kier in WK 2 GRBG § 2 Rz 49).

[16] Das Beschwerdegericht stützte seine Überzeugung vom Vorliegen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO zunächst auf den Umstand, dass dem Beschuldigten ein seit mehreren Jahren fortgesetztes Handeln angelastet werde, welches zuletzt wegen unerwünschter Verhaltensweisen seiner Tochter eskaliert sei und zu massiven gewaltsamen Übergriffen und zahlreichen verbalen Drohungen geführt habe. Darüber hinaus indiziere der vom Beschuldigten nicht geschätzte Lebensstil des Opfers eine konkrete Gefahr neuerlicher Tatbegehung, wobei weder der Entzug der Obsorge, noch die für die elterliche Wohnung bestehende einstweilige Verfügung sowie die Unterbringung der Kinder des Beschuldigten in einem Krisenzentrum geeignet seien, die zu erwartende und mit Gewalt sowie Drohungen einhergehende Einflussnahme des Beschuldigten zu verhindern. Die nicht gewährleistete familiäre Unterstützung der Tochter, welche sich altersbedingt auch außerhalb ihrer Unterkunft aufhalten werde, führe zu einem beträchtlich erhöhten Risiko, erneut Opfer des Vaters zu werden (BS 7 f).

[17] Indem die Grundrechtsbeschwerde zwar zu den Haftgründen nach § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit a StPO inhaltliche Ausführungen erstattet, zur Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO aber lediglich behauptet, dass „auch die Voraussetzungen des § 173 Abs 2 Z 3 lit b [und lit d] StPO“ nicht vorliegen würden, zeigt sie keine Willkür der Begründung zum oben dargelegten Haftgrund auf, sondern zieht ohne inhaltliche Argumentation andere Schlüsse als das Oberlandesgericht.

[18] Da bereits der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt sich eine Erörterung des Vorbringens zu den weiteren herangezogenen Haftgründen (vgl RIS‑Justiz RS0061196 und Kier in WK 2 GRBG § 2 Rz 44).

[19] Dennoch bleibt zu den auf § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO bezogenen Argumenten anzumerken, dass Vergleichsbasis der Willkürprüfung – mit Blick auf § 173 Abs 2 StPO, der nur verlangt, dass die angenommenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen beruhen – nur die der Prognoseentscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Tatsachen sind (RIS‑Justiz RS0120458). Indem der Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin in Abrede stellt, auf seine eigene Verantwortung sowie die Aussagen weiterer Familienmitglieder und den Umstand verweist, dass er unbescholten ist und keine weiteren Strafverfahren gegen ihn anhängig sind, zeigt er auch damit keine willkürliche Begründung der Prognoseentscheidung auf.

[20] Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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